Jodi Picoult: Die Spuren meiner Mutter
23 Romane hat die Amerikanerin Jodi Picoult bereits geschrieben. Alle sind erfolgreich und für nahezu alle verwendet sie das gleiche Rezept: Fakten und Fantasie werden zu einer spannenden leicht zu lesenden Geschichte gemischt. In dem jüngst übersetzten, „Die Spuren meiner Mutter / Leaving Time“ erzählen die Personen der Handlung selbst. Nur die Elefanten, die eine zentrale Rolle in dem Roman spielen, können nicht sprechen. Über sie berichtett Alice, die Mutter der 13jährigen Jenna, die auf der Suche nach ihr ist. Niemand weiß, ob Alice nicht schon lange tot ist.
Mit drei Jahren war Jenna plötzlich allein. Im Elefantenreservat, das ihr Vater geleitet hat, war ein schrecklicher Unfall passiert: Eine Mitarbeiterin war von einem Tier tot getrampelt worden, womöglich aber auch ermordet. Jennas Vater muss mit einer Psychose in die Psychiatrie eingeliefert werden, wo er auch nach zehn Jahren noch ist. Jenna besucht ihn selten. Er erkennt sie ohnehin nicht. Alice, die Mutter, ist verschwunden und mit ihr ihr Geliebter, Gideon. Jenna wächst bei der Großmutter auf, die ihre Tochter niemals als vermisst gemeldet hat und auch nicht über sie sprechen will. Doch Jenna ist besessen von der Suche nach ihrer Mutter, bleibt eine Einzelgängerin ohne Freundinnen und andere Interessen. Die Großmutter behütet den Teenager auch wie eine Glucke.
Auf ihrer abenteuerlichen Suche findet Jenna eine Helferin und auch einen Helfer. Serenity Jones ist eine Hellseherin, die nach einer falschen Prognose nur noch Dunkelheit sieht und sich Jenna nur unwillig anschließt. Ebenso unwillig wie der ehemalige Polizist Virgil Stanhope, der vor zehn Jahren das Geschehen im Elefantenpark untersuchen sollte, sich aber von der Obrigkeit zurückpfeifen ließ. Er ist, wie Serenity, ein eher blindes Huhn mit schlechtem Gewissen, kann aber dem Charme von Jenna nicht widerstehen.
Auf einer zweiten Ebene, geht es um die hochinteressante Verhaltensforschung bei Elefanten. Die Berichte von Alice und ihre Aufzeichnungen in einem von Jenna aufbewahrten Tagebuch, basieren vor allem auf den Beobachtungen der Tiere im „Elephant Sanctuary Hohenwald“ / Tennessee und sind zum großen Teil nachprüfbar. Dass die Elefanten nichts vergessen, ist keine Legende. Doch nachtragend und rachsüchtig, so lässt Picoult Alice feststellen, sind sie nicht.
Als weit ausholende Metapher setzt die Autorin das Familienleben der Elfentanten, ihr Verhalten bei Verlust und Tod mit dem Verhalten der Menschen gleich. Sie erzählt von Liebe und Freundschaft, von Verlust und Trauer, Elternfürsorge und einsamen Kindern, vom Festhalten und Loslassen. Die Hellseherin bringt eine gute Portion Esoterik in die Geschichte, doch Picoult präsentiert das Unsichtbare, Paranormale mit trockener Ironie, sodass ich gerne geneigt bin, mich darauf einzulassen.
Das Ende von Jennas, Virgils und Serenitys Suche nach Alice ist so überraschend, dass die Leserin noch lange daran zu knabbern hat.
Auch wenn Jenna sich manchmal benimmt und ausdrückt, als wäre sie nicht 13 sondern so alt wie ihre Mutter, ist sowohl sie als auch ihre kleine Familie, Serinity und Virgil, lebendig gezeichnet. Alle drei haben ihre eigene, fesselnde Geschichte, die an sich einen Roman wert wäre. Die ernsthaften Überlegungen zwischen den Zeilen geben Picoults Roman(en) die nötige Tiefe. Sich mit ihnen zu vergnügen, ist keineswegs verschwendete Zeit.
Jodi Picoult „Die Spuren meiner Mutter“, aus dem Amerikanischen übersetzt von Elfriede Peschel, C. Bertelsmann. 512 S. € 20.60