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Die Toten gehen nicht, weil sie das Leben lieben

Ayanna Lloyd Banwo: Großartiges Debüt. © repeatingislands.com

Ayanna Lloyd Banwo, 1980 in Trinidad geboren, hat bisher vor allem Kurzgeschichten veröffentlicht. Doch nun macht sie mit ihrem ersten Roman Furore: „Als wir Vögel waren“ ist der vielversprechende Titel einer Geschichte, die so farbig, so musikalisch und so sonnenwarm ist wie die Heimat der Autorin. Lloyd Banwo erzählt eine Liebesgeschichte, eine Gespenstergeschichte, eine politische Geschichte, eine Geschichte vom Tod als Teil vom Leben. 

Plan von Trinidad und Tobago. © wikipedia / gemeinfreiVon den Vögeln erzählt Großmutter Catherine ihrer Enkelin Yejide. Von den Corbeaux, schwarzen Rabenvögeln, Fabelwesen, die an der Grenzen zwischen Leben und Tod schweben. Sie warten auf die Leichen und fressen sie auf, denn nur dadurch können die Seelen der Verstorbenen frei werden. Doch die Großmutter ist schon lange tot, Yejide ist erwachsen und muss die schwierige Aufgabe übernehmen, die Toten zu hüten. Ihre nicht sehr liebevolle Mutter gibt ihr diese Aufgabe weiter, eine schwere Last, die in der Kultur auf Trinidad den Frauen vorbehalten bleibt. Wie die Gene wird die Verantwortung für die Toten und für die Tradition vererbt. So wirbt Trinidad um Besucher:innen. Die Quinam-Bucht an der Südküste der Insel. © Kalamazadkhan / wikiYejide hat anderes im Sinn, sie ist verliebt. Verliebt in einen jungen Totengräber, der als Rastafari gar nichts mit dem Tod zu tun haben darf. Emmanuel Darwin aber muss den Job annehmen, um seine alte Mutter zu ernähren, mit der er bisher fern von der Stadt Port Angeles mehr schlecht als recht gelebt hat. Jobs sind rar in Trinidad und als ihm vom Arbeitsamt der Posten am Friedhof angeboten wird, muss er zusagen, auch wenn er seiner frommen Mutter damit ins Herz tritt. Sie will ihn nicht mehr sehen, doch er schafft es, ihr das nötige Geld zum Leben zukommen zu lassen. Die Mutter will nicht wissen, von wem die Unterstützung kommt. Emmanuel gewöhnt sich an die Toten, die nicht stumm bleiben wollen, und auch gegen die Einsamkeit kämpfen. An die kriminellen Machenschaften des Chefs und seiner Mitarbeiter, lange hat er sie für Freunde gehalten, gewöhnt er sich nicht. Eine Steelband in Port of Spain in den frühen 1950er-Jahren. Die Steel Pan oder Steel Drum wurde in den 1930er-Jahren auf Trinidad erfunden und ist dort das Nationalinstrument. © wikipedi / gemeinfrei
Nicht nur der neue Job treibt Emmanuel in die Stadt, sondern auch die Suche nach seinem Vater. Die Mutter ist alleinerziehend, spricht über Emmanuels Erzeuger nicht und der Sohn kann sich nur noch dunkel an den Vater erinnern. Emmanuel Darwin ist kein Kind mehr, aber er leidet noch immer daran, dass der Vater verschwunden ist und sich nie mehr gemeldet hat. Es dauert lange, und die Begegnung mit Yejide spielt dabei sicher eine Rolle, bis er den Vater findet und von ihm erfährt, dass die Toten die Lebenden nicht verlassen, dass sie diese behüten, wie sie von ihnen behütet werden wollen. Der Lapeyrouse Friedhof in Port of Spain / Trinidad, Vorbild für Fidelis. ©  findagrave.comEmmanuel, der Rastafari und Yejide, die romantische junge Frau, die mit einer strengen, kalten Mutter aufgewachsen ist, treffen einander zums ersten Mal vor dem Friedhof mit Namen Fidelis, der Treue. Wer im Friedhof eine Wohnung bezogen hat, bleibt immer dort, treu und zuverlässig auf immer. Yejide besucht den großen Park der Toten, weil ihre Mutter dort begraben sein will. Ein flüchtiger Blick genügt, und sie bekommt den jungen Totengräber ebenso wenig aus dem Sinn, wie er die wunderschöne junge Frau aus besseren, ein wenig besseren Kreisen. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, natürlich nicht auf gerader Linie, sondern über Hügel und Gräben, Abwege und Umwege, doch am Ende wird die Tradition fortgestzt, und über dem jungen Paar fliegen keine schwarzen Corbeaux, sondern bunte Papageien. Divalis, Öllämpchen, die vor allem bei den Festen der Hinus auf Trinidad angezündet werden.  Etwa 40 % der Bevölkerung auf Trinidad sind Christen, 24 % Hindus, Moslems und Juden sind in der Minderzahl. © wikipediaDenn das waren die Corbeaux früher, hat Großmutter Catherine erzählt, bevor der Krieg unter den Tieren und unter den Menschen und zwischen den Menschen und Tiere ausgebrochen ist.
Nicht grundlos erinnert mich Ayanna Lloyd Banwo an die wunderbare schottische Erzählerin Ali Smith, zählt diese doch, neben vielen anderen, zu den AutorinnenDas bunte Coverbild für den Roman aus Trinidad. © Diogenes Verlag , die Lloyd Banwo beeinflusst und inspiriert haben. Neben der Magie, die den gesamten Roman prägt und so natürlich ist wie die Natur magisch, zeichnet sich das fulminante Debüt auch durch unkonventionellen Humor aus. Ohne Pathos, aber mit viel Fantasie erzählt die Autorin frisch vom Leben und Sterben auf der Insel, vom Einfluss der Ahnen auf die Nachkommen und natürlich von der Liebe, die die schwarzen Krähen in bunte Papageien verwandelt. 

Alle Geistergeschichten sind Liebesgeschichten. Wir trauern, weil wir diejenigen lieben, die wir verloren haben, und die Toten gehen nicht, weil sie die Menschen und das Leben, das sie zurückgelassen haben, lieben.
Ich erzähle von vielen verschiedenen Lieben – zwischen Eltern und Kindern, Liebenden, Geschwistern, Freunden, zwischen den Lebenden und den Toten. Es zeigt, wie gut es uns tut, sich um unsere Toten zu kümmern, um unsere Vorfahren. Das ist Liebe in ihrer höchsten Form. (Auszug aus einem Interview, das Stefanie Uhlig / Diogenes Verlag mit der Autorin geführt hat.)

Ayanna Lloyd Banwo: „Als wir Vögel waren“, aus dem trinidad-kreolischen Englisch von Michaela Grabinger, Diogenes, 2023. 352 Seiten. € 24,70. E-Book: € 20,99.
Auszug aus dem Interview: © Diogenes Verlag AG Zürich.