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Val McDermid – Der Lange Atmen der Vergangenheit

Autorin Val McDermid © Gary Calton /eyevine

Der hochangesehenen britischen Autorin Val McDermid neuestes Werk beginnt wie viele Kriminalromane: Mit einem Toten. Eigentlich mit zweien. Eine Leiche ist ganz frisch, mit durchgeschnittener Kehle liegt der Mann in Kreta auf der Schwelle seiner Wohnung. Die andere ist nur noch ein Skelett und liegt seit gut 7 Jahren hoch oben in einem unzugänglichen Turm eines historischen Gebäudes. Der Baukostenanalyst Fraser Jardine hat es gefunden, als er vor Höhenangst schwitzend und zitternd die Dachaufbauten untersuchen musste, um die Kosten für die Renovierung festzustellen.

Die Kriminalistin Karen Pirie, zuständig für ungelöste Fälle (Cold Cases), ist wenig erfreut, über den Fund. Aber sie kniet sich hinein in den Fall, als sie ein Einschussloch im Kopf des Mannes, der vermutlich selbst als Fassadenkletter hinauf gekommen ist, festgestellt hat.
Danach wird aus einem gewöhnlichen Krimi eine Geschichte auf drei Ebenen, die nicht nur aus der Suche nach zwei Tätern (oder ist es doch nur einer?) besteht sondern auch zurück in den Balkankrieg am Ende des 20. Jahrhunderts führen.
Drei Frauen sind die handelnden Personen, konterkariert von einem männlichen Duo, das dem Mörder von Kreta, dessen Handschrift auch andere Tote tragen, auf der Spur ist. Diese zwei Detektive sind dem internationalen Strafgerichtshof in den Haag zugeordnet und sollen ein Rätsel lösen, das ihnen jene Angeklagten aus dem Balkan aufgeben, die knapp vor ihrer Verhaftung ermordet werden.Mit Kriegsverbrechern hat auch die Anwältin Tessa Minogue zu tun und die ist die innige Vertraute von Maggie Blake, einer Professorin für Geopolitik, die den Krieg in Dubrovnik hautnah miterlebt hat. Dort hat sie sich auch in einen kroatischen Offizier verliebt, Mitja, der später für die UN gearbeitet hat, mit ihr in Oxford gelebt hat und eines Tages ohne Abschied verschwunden ist. Die Liebe ist geblieben und Maggie denkt auch nach sieben Jahren noch, er sei nach Hause zu seiner Familie zurückgekehrt. Die Leserin denkt an das Skelett im Turm. Altes Universitättsgebäude in der Drummond-Street, Edinburgh © geograph.org.uk

Die Autorin denkt an die Schrecken des Krieges, schildert in Tagebüchern und Erinnerungen Maggies, authentische Vorkommnisse, erzählt von Bomben und Massakern. Als die beiden für Den Haag arbeitenden Polizisten bei Maggie aufkreuzen, weil „ihr“ Mitja irgendwie auf die Liste der als Opfer, Täter oder Zeugen Gesuchten geraten ist, beginnt sie sich allmählich der Vergangenheit zu stellen. Die Autorin hilft dem Zufall nach und lässt sowohl die noch immer liebende Maggie Blake als auch die Chefinspektorin Karen Pirie zur gleichen Zeit nach Kroatien in den Geburtsort von Mitja reisen. Sie nehmen das selbe Mietauto.

McDermid belässt es nicht bei den Zeitsprüngen zwischen heute und (nahezu bereits) Vorgestern, bei den Reisen zwischen Schottland, England und Kroatien, sondern webt auch gesellschaftspolitische Aktualität wie das schottische Unbhängigkeitsreferendum oder den Themenkreis des Nationalismus (der auch religiös begründet sein kann) ein. Und sie weiß, dass kein Mensch nur gut oder nur böse ist. Die Frage ist, was muss passieren, dass Hass, Wut und Rachedurst die Oberhand gewinnen, die dünne Schale der Ziviisation zerbricht und jede(r) zur reißenden Bestie wird? Klar wird, dass Rache kein Wiederherstellen des Gleichgewichts ist, sondern immer neue Bluttaten gebiert. Das Ende dieses sowohl spannenden wie zum Nachdenken anregenden Romans ist düster.

Mit der dicklichen Schottin Karen Pirie hat Mcdermid, selbst eine in Oxford ausgebildete Schottin, eine Detektivin geschaffen, die ihr berühmtes Paar, Tony Hill und Carol Jordan, ablösen könnte. Cold Cases bieten gerade durch die Schwierigkeit, sie zu lösen, reichlich Romanstoff.

Buchcover, DroemerÜbrigens hat Val McDermid zwei reale Frauengestalten als Vorbild für ihre fiktive Geschichte: Kathy Wilkes († 2003), eine Philosophieprofessorin in Oxford und Sue Black, Leiterin des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Dundee. Wilkes war (wie die Romanfigur Maggie) im besetzten Dubrovnik geblieben und unterstützte Stadt und Bewohner unter ungeheurem Einsatz. Sie erhielt dafür eine Auszeichnung vom kroatischen Staat; in Dubrovnik ist ein Platz nach ihr benannt.

Val McDermid: Der lange Atem der Vergangenheit, übersetzt von Doris Styron, Droemer 2015. 448 S. € 20,60.

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