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Martin Sieghart: „Übergänge“, Autobiografie

Martin Sieghart dirgiert das Brucknerorchester. © Liva / Brucknerhaus

Der Cellist, Chorleiter und Dirigent Martin Sieghart ist im Frühjahr 70 Jahre alt geworden und hat sich Zeit genommen, Bilanz zu ziehen. Am Schreibtisch. „Ein Musikerleben in 50 Kapiteln“ ist der Untertitel seiner Erinnerungen mit dem Titel „Übergänge“. Wie er im Vorwort sagt, geht es um Vergangenes, Erlebtes und auch um Zukünftiges, Erträumtes und eben die Übergänge zwischen den beiden Polen. Bekenntnisse und Erinnerungen, Fantasien und Tatsachen, die sich flüssig lesen.

Aus dem Volksschullehrbuch für Dirigenten: "Taktfiguren", Holzschnitt, 1831.  © Wikipedia / public domainViele haben's getan, Daniel Barenboim und Kent Nagano, Leonard Bernstein und Nikolaus Harnoncourt und zuletzt der aktuelle Chefdirigent an der Wiener Staatsoper, Philipp Jordan, der sich wie viele andere auch für die Niederschrift Unterstützung geholt hat. Manche nennen ihre Helfer oder Helferinnen, die oft Ghostwriter genannt werden, andere verschweigen diese inspirierenden Geister. Jordan ist eigentlich noch nicht im Alter der Rückblicke, feiert er doch erst im Herbst 2024 seinen 50. Geburtstag. Ein Star ist er schon längst, unterboten wird er, was das für Rückblicke geeignete Alter betrifft, von der schon als Teenagerin mit Starruhm dekorierten Geigerin Midori Goto, die bereits im zarten Alter von 34 Jahren ihre dennoch lange Erfolgsbiografie unter dem Titel „Schlicht Midori“ veröffentlicht hat. Also warum nicht auch Martin Sieghart, der einiges zu erzählen hat. Bevor Martin Sieghart ein Orchester dirigieren durfte, hat er gelernt, die vier Saiten des Cellos zu streichen. © gemeinfrei

Sieghart stammt aus einer bürgerlichen Familie, der Vater war Arzt, die Mutter kam aus einer whlhabenden Fabrikanenfamilie. Als 5. Kind ist er früh mit Kunst und Kultur in Berührung gekommen, die Eltern gingen gern ins Konzert und liebten auch die Oper. Sie hinderten Martin nicht, die Musikerlaufbahn zu ergreifen. Die hat einige Stationen, führt vom Cellisten und Organisten zum Chorleiter und Dirigenten, von Wien nach Stuttgart und Linz, von da nach Arnhem und Graz. Kürzere Stationen machte Sieghart als Gast in Tokyo und London, Rotterdam und Hannover und selbstverständlich auch in Salzburg.

Das Brucknerhaus in Linz, wo Sieghart zehn Jahre lang als Chef des Hausorchesters gewirkt hat. © Rita Newman / Design-Center, LinzWie seine schreibenden oder schreiben lassenden Kollegen aus aller Dirigenten Länder, lobt Sieghart die Musikerfreunde, Lehrer und Borbilder, die er kennen lernen durfte, die ihn inspiriert haben. Und auch seine Lieblingskomponisten kennen die Leserinnen jetzt. Was alle Autobiografen eint, ist das Lob der Stille. Stille ist, nimmt man es genau, nicht nur für Dirigenten eine Kraftquelle, ein Freiraum, in dem Inspiration und Selbsterkenntnis geschenkt wird. Der Dirigent Franz Welser-Möst plädiert bereits im Titel seiner von Axel Brüggemann notierten Autobiografie gegen den „Lärm der Welt“: „Als ich die Stille fand“ ist 2020 bei Brandstätter erschienen.
Was Martin Sieghart von anderen Dirigenten-Autobiografien abhebt, ist seine erzählerische Fantasie, Ene besondere Zuneigung hegt der Wiener Martin Sieghart für die Musikerfamilie Strauß. © Arte Nova classicsdie er in erdachten Geschichten auslebt. Die biografischen  Miniaturen erfundener Personen sind vergnüglich zu lesen und erzählen durch den innewohnenden Wahrheitsgehalt mehr über Musik und Musiker:innen, als in dürren Worten auszudrücken ist. Da wird ein ferner Urahn, von dem der Vater einmal erzählt hat, zur Inspiration für die Geschichte des rumänischen Pianisten Johann, der als Janos mit der Quetschen zum Star der Wiener Heurigenmusiker wird. Eine junge Klarinettistin tritt auf und alternder Tenor tritt ab. Die kleinen Geschichten sind nicht nur Erholung von den Listen, Martin Sieghart: "Übergänge", Buchcover. © Hollizer Verlagdie sich mit Namen von Toten und Lebenden aus jeder Musikerbiografie zusammenstellen lassen, sie erzählen auch einiges über die Hürden, die sich dem Leben und der Karriere aller, die im Bereich Musik tätig sind, entgegenstellen. Martin Sieghart blickt auf seine Karriere und am Ende auch auf seine Tätigkeit als Lehrer, dabei legt er den Schwerpunkt auf das Schöne, Positive und Erfolgreiche in seinem Leben als Dirigent hier und dort. Merksätze und Belehrungen wird man in der Bilanz des Musikerlebens ebenso wenig finden wie lustige Anekdoten oder giftige Bemerkungen über Zunftkollegen und Kolleginnen. „Übergänge“ wird vor allem jene interessieren, die Martin Sieghart als Chorleiter oder im Konzertsaal erlebt haben.

Martin Sieghart: „Übergänge. Ein Musikerleben in 50 Kapiteln“, Hollitzer, 2021. 316 Seiten. € 22,00.