Skip to main content

Ilir Ferra: „Rauchschatten“ neu aufgelegt

Autor Ilir Ferra im Wienerwald. © Clemens Fantur

Mit seinem ersten Roman, „Rauchschatten“, hat Ilir Ferra Leserinnen und Kritikerinnen begeistert. In einer vom Autor überarbeiteten Fassung ist „Rauchschatten“ nun als Taschenbuch neu aufgelegt worden. Die Geschichte des jungen Erlind unterhält und berührt gleichermaßen. „Minus“ heißt sein ebenfalls als Taschenbuch erschienener zweiter Roman über die Menschen in Wettlokalen.

Ilir Ferra ist 1974 in Albanien geboren, in der Hafenstadt Durrës, in der man wie unter einem Glassturz leben musste. Kein Kontakt zur Außenwelt, keine Kommunikation mit dem Klassenfeind. Im Sommer tat sich eine Lücke auf: Das italienische Fernsehprogramm negiert alle Grenzen, am Nachmittag dürfen die Kinder den Uomo Tigre (Tigerman) in der gleichnamigen Anime-Serie sehen.

Erlind, junger Protagonist und auch Ich-Erzähler der Familienchronik, berichtet auch davon, denn l’Uomotigre ist sein Held und Italien das Land seiner Sehnsucht. Ferra erzählt also von Kindheit und Jugend im Albanien der 1980er Jahre. Enver Hodxa (Hodscha) war noch an der Macht, drohend reckt seine Statue den Arm, in Amtsstuben und Schulen hält er seine Untertanen unter Beobachtung. „Unter zwei Leuten findest du drei Spione“, lautet ein geflügeltes Wort. Niemand traut niemandem, Spitzel, Spione, Verräter sind am Stammtisch und im Schlafzimmer. Auch das Kind Erlind spürt diese eisige Atmosphäre und flüchtet sich in Träume. Eines Tages wird er übers Meer fahren. Ferra. "Ich saz ûf eime steine,…" © Clemens Fantur

Neben dem heranwachsenden Erlind macht uns der Autor auch mit dem Großvater, einem pensionierten Oberst mit guten Verbindungen, und dem Vater, Lundrin, der in einer Fernsehfabrik arbeitet, revolutionäre Ideen zur Verbesserung der Arbeit und eine Geliebte hat, bekannt. Ferra wechselt immer wieder die Perspektive, lässt Erlind ebenso als Kind wie rückblickend als Erwachsenen auftreten und auch den anonymen Beobachter.
Daraus ist keine chronologisch fortschreitende Geschichte entstanden, doch fesseln die einzelnen Szenen, die abwechselnd die drei Hauptpersonen zum Mittelpunkt haben, durch die lebendige Schilderung und den immer wieder aufblitzenden Humor. Verrat und Verleumdung zerstören auch die Familie, Vater und Großvater sind von der Welt enttäuscht, fühlen sich ihr nicht mehr zugehörig. Erlind aber ist erwachsen geworden.

Hodxa ist 1985 gestorben, 1990 wurde das kommunistische Regime gestürzt. Albanien ist seit 2014 offizieller Beitrittskandidat der Europäischen Union. Mit einem biometrischen Pass dürfen albanische Bürger_innen in alle Schengen-Staaten ohne Visum einreisen und 90 Tage (als Touristen, ohne Erwerbstabsicht) bleiben.

Ferra kam 1991 mit seinen Eltern nach Wien und lebt hier als Schriftsteller und Übersetzer hier. Sein makelloses Deutsch lernte er im Gymnasium in der Diefenbachgasse im 15. Wiener Bezirk. Hart und schnell ist die Sprache, wenn die Erwachsenen sprechen, doch wenn der zehnjährige Erlind selbst erzählt, wird der Stil weich, Poesie mildert das eisige Klima. Besonders verbunden fühlt sich Erlind mit einem italienischen Buben über den das geliebte italienische Fernsehen berichtet. Die Geschichte ereignete sich 1981. Der Sechsjährige Alfredo Rampi war in einen Brunnenschacht gefallen und die Rettungsaktion scheiterten an der Enge des Schachtes. Der Bub konnte nur noch tot geborgen werden. Wie die Schmeißfliegen hefteten sich die Fernsehkameras an den Unglücksort, die ganze Welt sah dem Sterben des kleinen Alfredo zu. Erlind jedoch auf besonders einfühlsame Weise. So wechselt Ferra immer wieder von Tatsachen zur Fiktion.

Buchcover /HollitzerEine Methode, die er in seinem zweiten Roman verlassen hat. „Minus“ ist ein Roman über das Glücksspiel, ein Einblick in die Welt der Wettlokale. Nahezu eine Reportage. Der Icherzähler arbeitet dort, was Ferra tatsächlich getan hat, um die Menschen die in solchen Lokalen mehr oder weniger leben zu studieren. Mit diesen geht es immer weiter bergab, sie landen wie der Titel sagt im Minus. Im Gegensatz zu „Rauchschatten“ kann ich in der Wett- und Glücksspielwelt nicht warm werden. Die Menschen, die dort ihr Geld lassen und ihr Leben aufgeben, „Bis sie nur noch Gegenstände sind“, sind mir fremd. Diese Hölle langweilt mich, sie gehört nicht zu meiner Welt. Allgemein wurde jedoch „Minus“ wegen der minutiösen Recherchearbeit gelobt.

Rauchschatten Buchcover / HollitzerIlir Ferra, Romane als Taschenbuch im Verlag Hollitzer:
Rauchschatten, 2015, 168 S. € 8,90.
Auch als E-Book erhältlich.
Minus, 2015, 440 S. € 9,90.

Bestellen bei Amazon.