Zum Hauptinhalt springen

Julian Schnabel: „An der Schwelle zur Ewigkeit“

Willem Dafoe ist der Maler Van Gogh

Faszinierend und bewegend. Julian Schnabels Porträt des Malers Vincent van Gogh (1853–1890) ist keine Biografie. „Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“ sind intensive, impressionistische Szenen, Gedanken und Emotionen des Malers während der letzten Phase seines Lebens. Verkörpert wird dieser Künstler im Schaffensrausch von Willem Dafoe. Der Oscar für den besten Darsteller war dem 64jährigen sicher. Den Pinsel des Künstlers hat Bennoît Delhomme mit der Kamera geführt.

Schnabels Film zeigt die Landschaft Südfrankreichs, wo van Gogh seine letzten Monate verbracht hat, mit den Augen des Malers, flirrend, leuchtend im gleißenden Licht, lässt die Bilder lebendig werden und die Emotionen des Künstlers spüren. Paul Gaugin (Oscar Isaac) trifft Vincent van Gogh (Willem Dafoe). Die Freundschaft währt nicht lange.Die historischen Fakten sind berücksichtigt, aber nicht das Zentrum des Films, der nicht nur von den Gedanken und Emotionen van Goghs erzählt, sondern auch über die Kunst und die Künstlerseele an sich. Allerdings, interpretiert von Regisseur Schnabel, der van Gogh als gar nicht so unglücklich und krank darstellt, eher als Außenseiter, als Fremder in der alltäglichen Welt, der sich seiner sicher ist und fühlt, "dass Gott ihn auserwählt hat, etwas Gültiges zu schaffen, etwas für die Ewigkeit". So zumindest sagt er in der Nervenheilanstalt Saint Rémy zum Priester, der van Goghs Gemälde zwar als Schrott verachtet, doch prüfen soll, ob er entlassen werden kann. „Vielleicht sind meine Bilder für Menschen gemacht, die noch gar nicht geboren sind“, sinniert er im Kreuzgang.

In Saint Rémy hat van Gogh 1890 auch das Bild gemalt, das den Filmtitel vorwegnimmt.van Gogh: "Trauernder alter Mann" auch „At Eternity‘s Gate“ genannt. © gemeinfrei. Bild: scan by user:Mefusbren69 / de.wikipedia. „Trauernder alter Mann“ heißt das Bild, das im Kröller-Müller Museum von Otterlo in den Niederlanden beheimatet ist. Im Catalogue raisonné wird das Bild des gebeugt, die Ellenbogen auf den Knien, das Gesicht in den Händen verborgen, auf einem Sessel mitten im Raum sitzenden Mann „At Eternity‘s Gate“ genannt. Ob van Gogh die ihm von Schnabel in den Mund gelegten Worte je gesagt hat, ist jedoch unwichtig, er spricht auch relativ wenig, darf stattdessen brüllen, heulen, seufzen. Meist sieht man ihn durch die Landschaft wandern, die Staffelei aufstellen, Kinder verjagen, die ihn stören, im Gewitter heimeilen. Ein einsamer Mann, der nur seine Farben und seine Bilder hat. Als Paul Gaugin, der eine Zeitlang mit Vincent in Arles gelebt hat (nachdem ihm Vincents Bruder, Theo, die Reise bezahlt und eine Unterstützung versprochen hat), ihn verlässt, bricht Vincent in Tränen aus. Dem Arzt erklärt er, er habe sich das Ohr abgeschnitten, um es Paul als Geschenk zu überreichen.

Ganz in den Film eintauchen (und danach nur schwer wieder herausfinden) kann man mit Bennoît Delhomme und seiner Kamera samt allerlei wunderbaren, aber auch verwirrenden filmischen Effekten (Überblendungen, Loops, Doppelbelichtung, Beleuchtungstricks, Animation, …) Vincent sucht immer neue Perspektiven (Willem Dafoe). Wenn nicht anders angegeben: © Filmladen Flmverleihund natürlich auch an der Hand Willem Dafoes, der van Gogh nicht darstellt, sondern van Gogh ist. Physische Ähnlichkeit ist dabei nicht von Belang, doch macht der großartige amerikanische Schauspieler verständlich, was es bedeutet, anders als alle anderen zu sein, Gedanken zu haben, die niemand verstehen will und auch niemanden zu haben, mit man abends ein Glas Wein trinken und sich vom Tag erzählen kann. Die Dreiheit, Dafoe, Schnabel, Delhomme, schafft es, den Rausch des künstlerischen Schaffens begreiflich zu machen, ja die Zuschauerin tatsächlich selbst in einen Rausch zu versetzen, in einen wirbelnden Orkan aus leuchtendem Blau und flirrendem Gelb, von Gewalt und Melancholie.

Seit Jahrzehnten beschäftigt der Maler und sein Werk Schriftsteller*innen und Filmregisseure. Bruder Theo besucht Vincent im Irrenhaus (Dafoe, Rupert Friend)Das van Gogh-Bild meiner Jugendjahre haben der Autor Irving Stone und der Schauspieler Kirk Douglas geprägt. Nach Stones Roman „Van Gogh – ein Leben in Leidenschaft“ hat Vincente Minelli 1956 mit Kirk Douglas in der Titelrolle und Anthony Quinn als Paul Gaugin den gleichnamigen Film gedreht. Vier Oscars waren die Ernte, die Kritik war begeistert, vor allem wegen der Faktentreue. Am Ende der langen Liste steht der Animationsfilm „Loving Vincent“ von Dorota Kobiela und Hugh Weichman (2017), eine als Kriminalfilm angelegte Biografie, in der vor dem Hintergrund der bekannten Bilder auch die Darsteller in Öl nachgemalt sind. Die anderthalb Stunden werden ob der Unbeholfenheit der Bild für Bild erzeugten Bewegung bald etwas mühsam anzusehen. "An der Schwelle zur Ewigkeit", Filmplakat.Mit Schnabels Meisterwerk (dank Willem Dafoe) hat „Loving Vincent“ die Lösung des Rätsels von van Goghs Tod durch einen Bauchschuss gemeinsam. Auch Schnabel votiert für die zurzeit aktuelle Version eines Unfalls durch spielende Buben. Bisher ist die Schusswunde, an der der Maler gestorben ist, als Selbstmordversuch erklärt worden.

Sei’s drum, richtig oder falsch sind für Schnabels Film keine Kriterien. Schnabel, 1951in New York geboren, hat nicht nur bereits einen Künstlerfilm gedreht, „Basquiat“, über den mit 27 Jahren 1988 verstorbenen Graffiti-Künstler Jean-Michel Basquiat. Überdies ist Schnabel selbst Maler und hat erst durch die Biografie Basquiats 1996 seine Lust am Filmemachen entdeckt. „At Eternitiy’s Gate“ ist sein 6. Film.

Julian Schnabel: „Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit / At Eternity's Gate“, mit Willem Dafoe (Vincent van Gogh); Rupert Friend (Theo van Gogh), Oscar Isaac (Paul Gaugin), Mads Mikkelsen (Priester) und anderen. Kamera: Bennoît Delhomme. Filmladen Filmverleih. Ab 19. April 2019 im Kino.