Markus Schleinzer: „Angelo“
Locker angelehnt an die Biografie des fürstlichen Kammerdieners und Prinzenerziehers Angelo Soliman (um 1721– 1796), zeigt Regisseur und Drehbuchautor Markus Schleinzer mit „Angelo“ einen hochaktuellen Film im historischen Ambiente. Der historische Angelo dient als Projektionsfläche für ein Nachdenken über Exotismus, Fremdheit und Identität, über den Eurozentrismus und unser Menschenbild, damals wie heute.
Schleinzer mildert die Grausamkeit der Geschichte durch die Schönheit der Bilder, im besonderen Licht gedreht. Kamera: Gerald Kerkletz. Geplappert wird nur wenig, nicht nur Angelo nutzt das Schweigen als Waffe, auch der Film selbst lässt viel Raum für die Gedanken des Publikums im Kino, für den Sprung aus dem 18. Jahrhundert ins 21. Jahrhundert. Sparsam geht Schleinzer auch mit der Musik um, die nur dann erklingt, wenn sie passend ist, in den Pausen zwischen den drei Hauptkapiteln (Angelo als Kind, als junger Mann, als Familienvater) oder bei den gezeigten festlichen Anlässen. Wie angenehm, wenn Musik nicht dazu benützt wird, die Belanglosigkeit der Texte zu übertönen.
Belanglos ist bei Schleinzer keine einzige Einstellung, kein einziger Satz. Im ersten Kapitel sagt die Fürstin, die Angelo als Spielzeug und Material ihrer pädagogischen Ambitionen ausgewählt hat, nach seinem erfolgreichen Flötenvortrag zu dem dunkelhäutigen Buben: „Ihr erster großer Sieg auf dem Weg, Mensch zu werden.“ Sie meint es gut mit dem aus Afrika importierten Knaben. Er wird gehätschelt und unterrichtet, doch bei aller Zuneigung der Gesellschaft für das Mohrenkind wird da ein putziges Äffchen dressiert, das vor allem eines lernt: sich anzupassen, nicht aufzumucken, zu buckeln und zu gehorchen. Die Belohnung bleibt nicht aus: Angelo steigt in der Hierarchie der Hofgesellschaft immer höher, darf mit ihr am Tisch sitzen, mit dem Kaiser diskutieren (der Kaiser spricht, Angelo schweigt), ist bewunderter Bühnenstar, der sich zum Gaudium der Zuschauer seine Geschichte erfindet, und wird sogar in eine Freimaurer-Loge aufgenommen. Doch er bleibt der Hofmohr, ein exotisches Schmuckstück, eine Marionette, der die Fäden durchgeschnitten werden, wenn sie es wagt sich eigenständig zu bewegen. Die seidenen Gewänder werden ihm ebenso entzogen wie die Freundlichkeiten, die niemals von Respekt begleitet waren: Angelo hat es gewagt, ohne Erlaubnis zu heiraten, eine weißhäutige Frau. Doppelt verwerflich. Aus ist es mit der Gunst des Fürsten, mit den Schmeicheleien der Gesellschaft. Der Fürst bestraft ihn, indem er ihm die Freiheit gibt. Auch der Kaiser entlässt ihn gnädig, nachdem er auf die Frage nach seinen Wünschen antwortet: „Ich möchte kein Neger mehr sein.“
Jeder Satz, der im Film gesprochen wird, ist be-merkenswert, doch verzichtet Schleinzer auf den hochgereckten moralischen Zeigefinger, auf plakative Botschaften, zeigt auch keine Biografie, erzählt keinen kontinuierlichen Lebenslauf, er verführt mit Impressionen und Reflexionen über Einsamkeit und Fremdheit, Heimat und Zugehörigkeit. Gleichwohl benutzt er die historisch verbürgten Tatsachen aus Angelo Solimans Leben und weist in zwei Szenen deutlich darauf hin, dass sich am eurozentrischen Menschenbild, am Umgang mit dem Fremden nicht viel geändert hat. Als Klammer umschließen diese beiden Szenen den Film, gedreht im F 23, der ehemaligen Sargfabrik in Wien Liesing – zu Beginn, wenn die per Schiff eingetroffenen schwarzen Kinder gewaschen und in weiße Hemden gesteckt werden, und gegen Ende, wenn Angelos Körper präpariert wird, um als halbnackter Wilder im kaiserlichen Naturalienkabinett ausgestellt zu werden. Der Begriff Integration bekommt einen Hautgout.
„Angelo“ ist ein hochintelligent gemachter Film, in dem die fein komponierte Ästhetik der oft wie gerahmt wirkenden Bilder im 4:3 TV-Format, das konsequent geschriebene, sensibel umgesetzte Drehbuch und die anspruchsvolle Thematik von den Betrachter*innen höchste Aufmerksamkeit fordert. Mit der sinnvoll eingesetzten Musik aus der Zeit und den historisierenden Kostümen (Tanja Hauser) wird „Angelo“ zu einem eindrucksvollen Kinoerlebnis.
Markus Schleinzer, geboren 1971 in Wien, war zunächst als Darsteller in Nebenrollen und vor allem als Casting-Direktor von mehr als 60 vorwiegend österreichischen Film- und Fernsehproduktionen tätig. Sein erster Spielfilm hatte bei den Filmfestspielen in Cannes 2011 Premiere. Bei der Viennale ’11 gewann er den Wiener Filmpreis und war unter anderem für den Europäischen Filmpreis und den British Film Institute Award nominiert. 2012 erhielt Schleinzer für "Michael" den Max Ophüls Preis.
Angelo Soliman ist als Mythos und Projektionsfläche tief im kollektiven Gedächtnis Wiens verankert. Schleinzer ist nicht der erste, der sich mit Soliman, der der Hofgesellschaft als Schmuck- und Ausstellungsobjekt gedient hat, befasst. Schon vor mehr als 20 Jahren hat der Tänzer und Choreograf Bert Gstettner (Tanz*Hotel) mit Angelo Soliman dem Publikum einen Spiegel vorgehalten. Anlässlich des 200. Todesjahrs Solimans hat Gstettner sein Ballet d'Action "Angelo*Soliman" im Messepalast (jetzt Tanzquartier) gezeigt. Als Ergänzung zur Soliman-Ausstellung im heutigen Wien-Museum unter der Direktion von Wolfgang Kos, hat Gstettner das Ballett neu inszeniert: "Soliman*Revisited" ist im Odeon gezeigt worden.
Markus Schleinzer: „Angelo“, Regie: Schleinzer; Drehbuch Schleinzer, Alexander Brom; Bildgestaltung: Gerald Kerkletz, Kostüme: Tanja Hauser. Mit Ange Samuel Koffi D'Auila, Kenny Nzogang, Ryan Nzogang, Makita Samba, Jean-Baptiste Tiémélé (Angelo im Lauf der Jahre), Alba Rohrwacher, Michael Rotschopf, Nancy Mensah-Offei, Lukas Miko und andere.
„Angelo“ ist 2018 bei den Filmfestivals von San Sebastián, Toronto und Zürich gezeigt worden, hat bei der Viennale ’18 Österreich-Premiere gehabt und ist ab 9. 11. in den Kinos zu sehen. Verleih: Filmalden.