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Nina Hoss in „Das Vorspiel“ von Ina Weisse, Drama

Vorbereitung auf das Vorspiel: Ilja Monti, Serafin Mishiev.

Das Vorspiel findet auf der Violine statt. Ina Weisse zeigt in ihrem zweitem Spielfilm Nina Hoss als Geigenlehrerin Anna Bronsky, der selbst eine Karriere versagt geblieben ist und ihr Streben nach Perfektion nun mit unnachgiebiger Strenge auf ihre Schüler überträgt. Im Zentrum steht das „Vorspiel“ des neuen Schülers Alexander, der eine Zwischenprüfung bestehen muss. Ein Film, der auch selbst jene Härte und Kälte ausstrahlt, die die Figur der Anna charakterisieren. Etwas mildernd wirkt die als zentrales Element eingesetzte Musik.

Geigenlehrerin Anna Bronsky (Nina Hoss) ausnahmsweise mit freundlichem Gesicht.Alexander, der neue Schüler, muss gewinnen. Ob er das auch will, wird er nicht gefragt. In Wahrheit aber ist es Anna, die gewinnen muss.  Die Geigenlehrerin Anna Bronsky, deren Bühnenangst und Selbstzweifel eine erfolgreiche Karriere verhindert haben, ist eine zerrissene Frau, nur äußerlich scheint sie stabil und selbstsicher, innerlich ist sie voller Ängste und Zweifel, kann sich nicht entscheiden und versucht sich, in der Arbeit mit den Schüler*innen selbst zu verwirklichen. Gegen den Willen der Kolleg*innen setzt sie die Aufnahme von Alexander (Ilja Monti) ans Musikgymnasium in Berlin durch. Sie sieht in ihm einen kommenden Star, doch als der Teenager nicht ganz ihren Vorstellungen entspricht, treibt sie ihn mit unerbittlicher Härte zum Üben an. Vier Stunden täglich muss der Bub die Geige unters Kinn klemmen und den Bogen in die Hand nehmen. Vor allem geht es Anna um die perfekte Technik, von Empfindung, von dem, was die Musik außer den Noten noch in sich birgt, ist niemals die Rede. Geduldig hält Ehemann Philippe (Simon Abkarian) Annas Launen aus. Durch die Konzentration auf den Schüler geht der Kontakt zum normalen Leben, zu ihrem französischen Ehemann (Simon Abkarian) und dem Sohn Jonas (Serafin Mishiev), der ebenfalls Geige lernen muss, verloren. Der etwa zehnjährige Jonas hat ohnehin ein gespanntes Verhältnis zur Mutter, lieber will er Eishokeystar werden, das Geigenspiel macht ihm keine Freude, und als Anna ihre ganze Kraft für den neuen Schüler einsetzt, wird Jonas auch von Eifersucht gepackt.
Gnadenlos zwingt Anna den Schüler zum üben, üben, üben (Nina Hoss, Ilja Monti).Wie zerrissen Anna ist, zeigt Regisseurin Weisse in einer Szene im Restaurant, wo Anna mehrmals den Tisch wechselt und auch ihre Bestellung wieder und wieder ändert. Ehemann Philippe bleibt geduldig, schiebt ihr endlich schweigend seinen Teller zu, damit sie nicht weiterhin unwillig in ihren Nudeln stochert. Die knappen Dialoge werden teilweise in Französisch geführt, was dem Film einen eigenen Rhythmus verleiht. Harte Schnitte und die Methode aus den Musikstücken (von Bach bis Brahms) übergangslos auszusteigen, verleihen dem Film eine eisige Aura. Auch Anna erlaubt mit ihrer Empathieunfähigkeit und der mangelnden Leichtigkeit des Seins, keinerlei positive Gefühle für sie zu entwickeln, die Zuschauerin wird nicht warm mit ihr. Was in ihr vorgeht, ist nur an den Bewegungen und dem Mienenspiel (von Kamerafrau Judith Kaufmann oft in close-ups ganz nah herangezogen) von Nina Hoss spürbar. Auf dem schönen glatten Gesicht der Lehrerin mit den straff nach hinten gebundenen Haaren wird die Stirnfalte immer tiefer und die Zuschauerin kann ahnen, was in Anna Bronsky vorgeht. Die letzte Einstellung – Annas Gesicht ist zweigeteilt, sie linst mit einem Auge durch den Türspalt, um ihrem Sohn zuzusehen, der im Schulorchester in Carl Philippe Emanuel Bachs Cellokonzert mitspielt, ihre Miene ist starr – lässt alles offen. Anna verpatzt ihren öffentlichen Auftritt. Der Cellist Christan, ihr Liebhaber, hat sie dazu animiert.  (Nina Hoss, Jens Albinus, Mitglieder des Kuss-Quartetts).Nina Hoss, 2 .Geige; Jens Im Abspann ist das Konzert von einem großen Orchester mit Solisti*innen zu hören. Es zahlt sich aus, bis zum bitteren Ende sitzen zu bleiben, damit einem wieder etwas wärmer wird.
Nina Hoss hat für ihre Rolle eigens Geigenunterricht genommen, doch wurden die Saiten mit Seife eingeschmiert, damit der Ton nicht hörbar ist. Den liefert die Geigenlehrerin Marie Kogge. Außerdem wirkt das Kuss Quartett mit, mit dem Anna als zweite Geigerin auftreten soll. Ihre Bühnenangst kann sie nicht in den Griff bekommen, sie wirft den Bogen einfach weg, das Quintett muss mit dem Konzert von vorn beginnen. Ehemann Philippe hat trotz seiner Geduld, die sogar den Liebhaber Christian, einen Cellisten, duldet, keinen Zugang mehr zu seiner Frau, er zieht sich in seine Geigenbauerwerkstatt zurück. Dort findet auch Jonas einen Zufluchtsort, Regisseurin Ina Weisse: "Nina Hoss spielt die Anna mit großem Einfühlungsvermögen."doch die Eifersucht auf den gequälten Geigenschüler seiner Mutter, dem sie zwar auch nicht ihre Liebe aber ihren Ehrgeiz schenkt, wird zum Hass. Eine flüchtige Erklärung auf Annas Verhalten bieten die Szenen mit ihrem autoritären, selbstherrlichen alten Vater (Thomas Thieme), der seine folternden Erziehungsmethoden auch auf den Enkel anwendet. Filmplakat: "Das Vorspiel". Nicht nur die darstellerische Leistung von Nina Hoss und den beiden Buben, tatsächliche Geigenschüler, macht den Film sehenswert, auch die präzise Inszenierung von Ina Weisse, die selbst als Kind Geige gelernt hat und überdies auch als Schauspielerin einen Namen hat, und die Kameraarbeit von Judith Kaufmann zeigen, dass hier ein großartiges, eindringliches Werk gelungen ist. Ein Film mit vielen Ebenen, eine Parabel über Kunst und Leben, die Musik und den harten Weg zur Kunst.

Ina Weisse: „Das Vorspiel“, Regie: Ina Weisse, Drehbuch: Weisse mit Daphne Charizani; Kamera: Judith Kaufmann. Mit Nina Hoss, Simon Abkarian, Serafin Mishiev, Ilja Monti, Jens Albinus, Thomas Thieme, dem Kuss Quartett und anderen.Verleih: filmladen. Kinostart: 26.6.2020.
Film-Stills © Judith Kaufmann / Port au Prince Pictures