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Jessica Hausner: „Little Joe“, Horrorfilm

Alice (Emily Beecham) im Glashaus inmitten ihrer Schöpfung. © Filmladen

Klinisch sauber, gletscherkalt und rätselhaft ist der neue Film von Jessica Hausner. „Little Joe“ ist die Züchtung einer neuen Pflanze, deren intensive Pflege die Menschen glücklich machen soll. Das Unternehmen in dem die Biologin und alleinerziehende Mutter Alice arbeitet, will sich damit sanieren. Um ihren heranwachsenden Sohn, Joe, eine Freude zu machen, nimmt sie eine der Pflanzen heimlich mit nach Hause und vertraut ihm „Little Joe“ an.

Little Joe in voller Pracht. Alle Bilder © Filmladen FilmverleihAlice ist der Star im Glashaus, doch nicht alle Mitarbeiter*innen sind mit ihrer Züchtung einverstanden. Vor allem Bella vermutet, dass die Züchtung schädlich ist, was sie an ihrem geliebten Hund Bello feststellt. Der war eine Nacht lang im Gewächshaus eingesperrt und benimmt sich seitdem seltsam, knurrend geht er auf Bella los. Sie muss ihn einschläfern lassen und ist seitdem überzeugt, dass die Pollen der Pflanzen, alle, die ohne Mundschutz in ihre Nähe kommen, verändert. Auch Chris, der in Alice verliebte Assistent, hat Pollenstaub eingeatmet. Er summte nicht mehr wie eine Wespe um Alice herum, hat plötzlich jegliches Interesse an ihr verloren und ist nur noch damit beschäftigt, die Pflanzen zu gießen und ihnen zärtliche Worte zuzumurmeln. Noch glaubt Alice an ihre Züchtung, denkt, dass diese kaum merklichen Veränderungen reine  Einbildung sind.
Doch dann verhält sich auch Joe, der Sohn, immer sonderbarer, die innige Verbindung, die Mutter Alice glaubt gespürt zu haben, zerreißt, Joe kümmert sich gemeinsam mit seiner Freundin nur noch um Little Joe. „Das ist die Pubertät“, meint sein Vater. Bella erklärt das sonderbare Verhalten aller, die mit der Pflanze in Berührung gekommen sind, mit der Tatsache, dass Alice diese als nicht reproduktionsfähig entworfen hat. Konflikte sind vorprogrammiert am botanischen Institut. Alice findet nicht nur Zustimmung.Little Joe ist weder männlich noch weiblich, braucht weder Insekten noch den Wind, um sich zu vermehren. Sie ist geschlechtslos und kann sich nicht vermehren. Das wäre wohl auch für das Geschäft nicht günstig. Daher, meint Bella, versucht die Pflanze, die Menschen zu infizieren, damit sie sich nicht umeinander kümmern, sondern nur noch um Little Joe, um es am Leben zu erhalten. Alice zweifelt immer noch, und als Zuschauerin im Kinosaal weiß ich bis zum Schluss nicht, ob diese in Reih und Glied aufgestellten Little Joes tatsächlich böse sind und die Gefühle der Menschen verändern können oder doch alles nur Einbildung ist.

Mutter Alice und Sohn Joe beim wenig trauten gemeinsamen Abendessen. Hausner spricht in ihrem jüngsten Film eine Fülle von Themen an. Von der Frage, ob es Wunder tatsächlich gibt – das war schon in ihrem Film „Lourdes“, 2009 so, bis zum Ende bleibt offen, ob im Wallfahrtsort tatsächlich Wunderheilungen geschehen oder alles nur Hysterie und Schwindel ist – bis zum schlechten Gewissen einer berufstätigen Mutter, die zu wenig Zeit für ihr Kind hat. Und natürlich darf man sich auch die Frage stellen, ob der Mensch denn alles darf, auch den Dr. Frankenstein nachahmen, dann, wenn Bella recht hat, ist Little Joe tatsächlich ein Lebewesen mit eigenen Interessen, die die rot und blau blühende Blume auch durchsetzen will.

Zum ersten Mal hat Hausner einen Film auf Englisch gedreht, und sie meint, „dass man auf Englisch gewisse Dinge unsentimental ausdrücken kann, was auf Deutsch möglicherweise kompliziert oder lächerlich klingen würde.“ Aber das funktioniert ja in jeder fremden Sprache, dass wir über Gefühle leichter sprechen können als in der eigenen. Hausners versteckter Humor wird sichtbar, wenn sie Alice als doppelte Züchterin / Erzieherin darsDer einstige Verehrer Chris (Ben Whishaw) liebt jetzt nur noch Little Joe.tellt. Doch die Pflanzenkinder liegen ihr mehr am Herzen als das sich vernachlässigt fühlende Menschenkind Joe. Übrigens im botanischen Institut wird immer von „breaders“ / Züchtern gesprochen oder doch von „breeders“ / Brütern – der feine Unterschied ist nicht zu hören.

Einen wesentlichen Anteil an der unheimlichen Kälte, die sich im Lauf des Films ausbreitet, am Horror, der unbemerkt hochkriecht, hat die minimalistische Musik des japanischen Komponisten Teiji Ito (1935–1982). Hausner hat Songs aus seinem Album „Watermill“ verwendet, abstrakt und zugleich emotional, hineinziehend und abstoßend. Großartig und zum Fürchten, wie diese „Little Joe“, die die Menschen süchtig macht und sie von ihrer Umwelt und der Gemeinschaft trennt. Regisseurin Jessica Hausner in Cannes. © cineeuropa / Evelyn Rois
Kameramann Martin Gschlacht wirft kühle Blicke auf die riesigen Plantagen unter in blauem Licht funkelnden Glas, in denen die Menschen mit weißen Masken vor Nase und Mund ihre Gießkannen schwenken. Die Idee des Plots ist zwar nicht neu, „Körperfresser“ oder „Little Shop of Horror“ sind längst Klassiker nicht nur auf der Filmleinwand, doch keiner dieser so kindisch auf Furcht und Schrecken angelegten Filme ist so konzis und streng komponiert, keiner strahlt diese eisige, künstliche Atmosphäre und künstliche Aura aus, die die Menschen umgeben. Fimplakat zu "Little Joe", Verleih Filmladen.
Von Beginn an agieren die „Breaders“, als wären sie von außen gesteuert und ihnen ein Gefühle reduzierendes Gen implantiert. Selbst wenn Alice ihrem Sohn beim telefonisch bestellten Fast Food am Küchentisch gegenübersitzt, wirkt sie als Fremdkörper. Bei den Filmfestspielen Cannes erhielt Emily Beecham für ihre Darstellung der Alice eine Palme als beste Schauspielerin. Jessica Hausner bleibt als Regisseurin distanziert, sie steht am Rand, beobachtet und nimmt das Geschehen nicht gar so ernst wie vielleicht die Zuschauerin. Hinter den klaren Bildern und minimalen Bewegungen lauert auch in diesem Film neben dem Schaudern das Schmunzeln.

Jessica Hausner: „Little Joe“, Regie: Jessica Hausner; Buch: Hausner, Geraldine Bajard. Kamera: Martin Gschlacht. Design Little Joe: Marko Waschke, Animation Little Joe: Markus Kircher. Mit Emily Beecham, Alice; Ben Whishaw, Chris:, Kerry Fox, Bella und andere. Viennale Termine: 26. und 27. 10. Gartenbaukino. Kinostart: 1.11. 2019.