Tanzquartier: Was nach „Gala“ kommt
Nach der Gala von Jérôme Bel, der ersten überhaupt, bei der ich mich nicht gelangweilt habe, läuft das Programm der zweiten Saisonhälfte im Tanzquartier so richtig an. Publikumslieblinge wie Doris Uhlich oder Superamas wechseln mit Studioaufführungen und Langzeitprojekten, wie Claudia Bosses „Ideale Paradise“ ab. Die Redereihe beschäftigt sich mit der „Lust am Text“ und die erst im Herbst geöffnete Mediathek wird ständig erweitert und auch eifrig genutzt.
Pures Vergnügen bereitete der von Jérôme Bel mit Profitänzer_innen und bewegungsfreudigen Laien erarbeitete Abend „Gala“. Dreimal war die Halle G ausverkauft und das Publikum genoss die kurzweiligen 70 Minuten. Natürlich weiß Bel, was auf der Bühne – ob im Guckkastentheater, in der griechischen Arena oder im Sommertheater auf der Wiese (er zeigte alle diese und noch mehr Möglichkeiten in einer Diashow am Beginn der Vorstellung) – wirkt. Also Hund hat keiner mitgewirkt, doch ein sechsjähriges Springinkerl, uneitel und konzentriert. Auch die Musik war publikumswirksam, keine Pfeiftöne und Elektronikgeräusche, sondern Walzer- und Ballettmusik, Michael Jackson und andere Ohrwürmer. Da konnte man entspannt in der Reihe sitzen und dem Kollektiv zusehen, wie es sich zusammenfügt, wie keine(r) alles, aber jede(r) etwas zu zeigen hatte und eigentlich das Publikum gar nicht beachtet, weil die Bewegung zur Musik auch ohne Zuschauer und Applaus Freude macht.
Diese Freude aber ist es, die die Veranstaltung sehenswert macht, sie springt mit einem Grand Jeté in den Zuschauerraum, sodass sich das Kollektiv ins Unendliche weitet. Wir sind alle eine Familie.
Wenigstens für 70 Minuten.
Zu dieser Familie gehören auch die Migrant_innen. Das will das Projekt zur Förderung der Stadtkultur, „kültür gemma!“, klarmachen. Zwei Abende sind der Kooperation von „kültür gemma!“ und dem Tanzquartier gewidmet. Junge Choroegraf_innen und Performer_innen präsentieren ihre Werke, über die auch diskutiert werden darf. Elsa Jocson zeigt ihr neues Solo „Host“, eine „One-Woman-Entertainment-Service-Maschine“.
Uhlich und Superamas bedürfen keiner Marketingmaschine mehr und eigentlich auch Raul Maia, der mit „Excitement of our people“ ein neues Stück zeigt, nicht. Er hat sein Publikum längst erobert. Sich treu bleibend, präsentiert er gemeinsam mit Raphael Michon und Sabina Holzer ein „rituelles Happening“, wie immer etwas rätselhaft, unter Einsatz des Körpers und der Stimme. Diesmal braucht Maia auch Platz: Nur 20 Zuschauerinnen wird einer vier Abende gegönnt.
Von mehr Publikum wird Ian Kaler Applaus erhalten, der in der Halle G eine Zusammenschau bisheriger Aufführungen zeigt. „Zu | sam |men | schau „o. T.“ besteht aus drei Abenden, wobei der dritte ein Kondensat der beiden ersten ist und das Publikum auch auf der Bühne Bewegungsübungen machen darf | soll.
Fast schon ein Dauergast ist Laurent Chétouane, der „Über das Marionettentheater“ (Heinrich von Kleist) gelesen hat und seine Gedanken dazu von fünf Tänzer_innen und einem Erzähler performativ mitteilen wird.
Mite März ist ein von Tanzquartier-Direktor Walter Heun in höchsten Tönen gelobtes „neues Format“ zu sehen. Puzzlestücke von Choreografinnen und Choreografen versprechen eine „Reise durch synästhetische Verbindungen. Aus einem hybriden Raum entfalten sich plurale Allianzen.“ Noch ein Hinweis: „Bilder, Bewegung, sound und space in Konzert.“ Auch die Sprache kann plurale Allianzen eingehen. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem sound:frame Festival und nennt sich griechisch „Synaesthesia ****“, was aber Englisch ausgesprochen wird. Die vier Sternderl stehen für Choreografie, Musik, bewegte Bilder, Tanz. Oder schicker gesagt „ choreography / music / moving image / dancing". Immerhin haben sich Jefta van Dinther, Esther Balfe, Alix Eynaudi und Chris Haring / Liquid Loft (samt vielen anderen) bereit erklärt, sich in „die engste Umschlungenheit zu werfen“. „Mind blowing! Vom Kunstgenuss ins eigene Erleben“ an einem Samstag im März. Genauer: 12.3. 2016.
Obwohl ich bereits erschöpft bin von den klugen Pressetexten im Sprachmix der Vorschau muss ich unbedingt noch „nadaproductions“ ankündigen. Amanda Piña und Daniel (Daniel) Zimmermann nehmen sich „Bedrohter menschlicher Bewegungen“ an, denn die aus unterschiedlichen Gründen der Vergessenheit anheim fallenden Tänze, sind für nadaproductions ein Teil des menschlichen Gedächtnisses an Bewegungen und die Verbindung zwischen dem gesprochenen und geschriebenen Wort. Nach den gelungenen Aufführungen im Tanzquartier und bei ImPulsTanz ’15, wird nun der 2. Band der Sammlung präsentiert: „Bedrohte menschliche Bewegungen Vol.2 : Dance and Resistance“. Noch einmal, der schöne Titel: „Dance and Resistance“, 18., 19. März 2016.
Mit dem 32jährigen belgischen Tänzer Jan Martens, eine choreografische Entdeckung des Vorjahres, gilt es erst Bekanntschaft zu schließen. Martens benutzt bekannte Bewegungen und setzt sie neuen Umgebungen aus, deshalb schweben seine Kreationen zwischen bildender Kunst und erzählter Geschichte. In den Studios zeigt er „Ode To The Attempt“. Es geht wieder Mal (auch) ums Scheitern: „Perfektion ist langweilig“, sagt Martens. So unrecht hat er nicht. Mehr von ihm ist in der Halle G zu sehen. „The Dog Days Are Over“ ist seine erste Gruppenchoreografie und als „Aerobic-Marathon“ angekündigt. 70 Minuten konzentriert sich Martens auf das Springen von acht Tänzer_innen. Nicht nur diese sind am Ende erschöpft.
Neugierig möchte ich noch kurz auf „The Queen Bows and Dies“ machen, ein Stück an dem Marta Navaridas und Alexander Deutinger, Königin und König, noch arbeiten. Bis zum 15. April haben sie Zeit, dann ist Feuerprobe auf dem Thron in der Halle G.
Ende und aus (weil die Festwochen die Hallen okkupieren) mit Meg Stuart. „Until our hearts stop“, 2 Stunden, erst ab 18! Fans benötigen keine Erklärung – es geht zur Sache.
Jérôme Bel: „Gala“, war vom 12. bis 15. Jänner zu sehen und an allen vier Tagen ausverkauft.
Detaillierte Daten und Fakten zur Frühjahrssaison 2016 im Tanzquartier finden sich auf der Website.