Die Schneekönigin tanzt in der Volksoper
Schneeflocken rieseln vom Himmel, im kalten Licht glitzert und funkelt der Palast der Königin. Majestätisch und gebieterisch schwebt sie durch ihr eisiges Reich. Da zerbricht ihr magischer Spiegel. Doch das ist nur das Vorspiel, gleich werden Kay und Gerda vorgestellt. Sie stammen aus Hans Christian Andersens Märchen „Die Schneekönigin“, sind jedoch in Michael Corders Choreografie in Russland geboren. Das 2007 entstandene Ballett wird demnächst in der Volksoper die finstersten Tage des Jahres erhellen.
Gerda und ihr Herzensfreund Kay tanzen fröhlich vor der hölzernen Kate. Wohlwollend betrachtet die Mutter, eine betuliche russische Babuschka, die Freundschaft der beiden. Kay ist auch ein braver Bursche, gleich nimmt er die Axt und geht, das Holz für den Ofen zu spalten. Die Idylle wehrt nicht lange, das Glück des jungen Paares ist der Schneekönigin – wunderschön, aber ohne Herz – ein Dorn im Auge, eifersüchtig trachtet sie, es zu zerstören.
Kay ist ihr Opfer.
Als ihm ein Splitter des zerbrochenen Spiegels ins Auge fliegt, kann er Schönheit nicht mehr erkennen, Liebe nicht fühlen, sein Herz ist ein Eisklumpen. Die Welt wird kalt, die Bäume und Blumen erstarren unter dem Schnee. Kay verfällt der bösen Königin und muss im ewigen Winter unter den Eiszapfen mit Eisbären, Schneekatzen und Füchsen samt den zu kalten Puppen erstarrten Hofgesellschaft.
Die Strahlkraft des Kunstmärchens von der eiskalten Königin, die dem Teufel den Spiegel stiehlt, der ihr zerbricht und Kay fast ins Verderben führt, reicht weit über das Kinderbuch hinaus. Film- und Theaterinszenierungen, Zeichentrickfilme, Kinderopern, Hörspiele und auch mehrere Musical-Versionen locken alljährlich, vornehmlich zur Winterszeit, zum kulturellen Familienausflug.
Faszinierend. Auch der ehemalige Tänzer und Choreograf Michael Corder ließ sich davon faszinieren. Er hat selbst das Libretto erstellt und hält sich an den großen Bogen von Andersens Märchen, muss aber auf die Komplexität der Geschichte und die Menge der Personen, die Gerda auf ihrer abenteuerlichen Suche nach Kay trifft, verzichten.
So sind nur die zu Zigeunern gewandelten Räuber, das freundliche Rentier und eine der hilfreichen weisen Frauen geblieben. Die selbstbewusste Geliebte des Zigeunerchefs (im Original die Tochter des Räuberhauptmanns) schenkt Gerda das Rentier, damit es sie durch den Wald führe. Statt der schönen Flora, in deren Garten bei Andersen ein halbes Jahr bleibt, träumt sie von sei Rosenprinzen, in weiß und rot, wie die Blumen an ihrem Elternhaus, vom verschwundenen Freund.
Doch das eisige Schloss in dem Kay gefangen gehalten wird, ist noch weit. Und als Gerda es endlich erreicht, kann der Freund sie nicht erkennen. Vergeblich sucht er nach dem fehlenden Puzzleteil, um den zerbrochenen Spiegel wieder zusammenzusetzen. Wenn es ihm gelänge, so hat die Königin versprochen, wird er frei sein. Frostig empfängt die Hofgesellschaft das junge Mädchen, schneidend kalt ist die Atmosphäre,die Pelztiere wollen Gerda von Kay fern halten und die Schneekönigin gibt hoch erhoben zu erkennen, wer hier die Macht hat.. Doch Gerda gibt nicht auf, erzählt dem erstarrten Knaben von einst, den Rosen im Garten der Mutter, von der Sonne und dem Frühlingswind. Kay kommen die Tränen, der Splitter fällt heraus. Alles wird gut.
Die Geschichte ist in groben Zügen bekannt, ist aber für das Ballett ins Russland des 19. Jahrhundert verlegt. Dazu mag Corder auch die Musik inspiriert haben, die vom russischen Komponisten Sergej Prokofjew stammt. Es ist echte Ballettmusik, doch für eine andere Geschichte komponiert. Das russische Märchen „Die steinerne Blume“ hat immerhin manches Element mit der „Schneekönigin“ gemeinsam: Auch in der Sage aus dem Ural steht eine eine böse Königin im Mittelpunkt. Sie verführt den Bräutigam, einen Steinschneider, vor der Hochzeit mit Versprechungen und sperrt ihn in ihren „Kupferberg“ ein. Dort wird er nicht tiefgekühlt sondern versteinert. Die Gruppe der Zigeuner hat Corder ebenfalls aus der russischen Sage entlehnt. Und natürlich eint auch das Motiv der unverbrüchlichen Liebe, die für das happy End unabdingbar ist, die beiden Märchen.
Wintermärchen. Zum Staunen brigen das Publikum Mark Bailey und Paul Pyant, der eine für das Licht, der andere für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich. Bailey hüllt das Personal im Eispalast in strahlendes Weiß, es blitzen Juwelen mit den Eiszapfen um die Wette, die Gestirne des Nachthimmels beteiligen sich daran. Die Königin thront auf gefrorenem Glas und trägt ein Diadem, um das sie jeder Juwelier beneiden wird. Die Kostüme der starren Hofgesellschaft lehnen sich an russische Folklore an, sind jedoch ebenfalls in Schneeweiß, der Kopfputz stachelig und abweisend. Gar nicht kuschelig sind auch die tierischen Wächter und Dienerinnen der Königin, böse Eisbären und listige Polarfüchsinnen.
Pyant lässt im Palast kaltes blaues und weißes Licht leuchten, die Menschenwelt wird von goldenem Sonnenschein erwärmt. Wenn das putzige Ren Gerda durch den Wald führt, leuchtet der Vollmond. In hitzigem Rot flattern die Röcke der Zigeunerinnen, Rot unterstreicht auch die wilden Tänze der Männer aus der Gruppe.
Zum guten Ende wandern Gerda und Kay glücklich nach Osten, im Hintergrund beleuchtet die Morgenröte die vielen Kuppeln einer orthodoxen Kirche. Mütterchen eilt herbei und schließt den reuigen (Schwieger-)Sohn in die Arme, die Dorfbewohnerinnen tanzen den Hochzeitstanz.
Das Wunder der Liebe macht auch dieses Ballett zum Weihnachtsmärchen, Glanz und Glitzer sorgen für leuchtende Augen.
„Die Schneekönigin“, Ballett in drei Akten von Michael Corder, Musik von Sergej Prokofjew, neu eingerichtet von Julian Philips, Ausstattung Mark Bailey. Mit Olga Esina, Davide Dato, Alice Firenze, Ketevan Papava, Mihail Sosnovschi. Premiere: 8. 12., Wiener Staatsballett in der Volksoper.