Nikolaus Adler: Tanz des Lebens, inspiriert vom Tod
Der Esel ist tot. Der Film zu Ende. Der Tanz beginnt. Wie der tragische Held in Robert Bressons berühmten Film „Au hasard Balthazar“ heißt auch das Tanzstück von Nikolaus Adler: „Balthazar“.
Von dessen Leben und Sterben geht der Choreograf Nikolaus Adler aus, wenn er mit drei Tänzerinnen und zwei Tänzern den Tanzabend „Balthazar“ probt. Auch wenn der Esel Balthazar die Hauptperson ist, wird er unsichtbar bleiben: „Jeder ist der Esel“, sagt Adler. Inspiriert vom Kinofilm zeigt Nikolaus Adler ein ganzes Leben in 70 Minuten.
Regisseur-Kollegen Jean-Luc Godard sagt es deutlicher: „Bressons Film ist das ganze Leben in anderthalb Stunden.“ Weit entfernt von einem Tierfilm ist „Balthazar“ eine Metapher für das Leben mit seinen Gipfeln und Niederungen, mit Küssen und Rissen und schließlich dem Tod. Jahrelang beschäftigte sich Adler, nicht nur Tänzer und Choreograf sondern auch Filmliebhaber, mit dem Thema. „Wie der geschundene Esel inmitten der Schafherde stirbt, das hat mich nicht mehr losgelassen. Er behält seine Würde. Das wollte ich in Tanzbewegungen umsetzen.“ Damit ist er ganz nahe bei der filmischen Arbeit des 1999 verstorben Filmregisseurs. Der hat weitgehend auf professionelle Schauspieler verzichtet und lieber mit Laien, sogenannten Modellen, gearbeitet hat. Niemand sollte spielen, etwas darstellen. Bresson wollte durch Gesten, Bewegungen und Mimik Emotionen in den Zuschauerinnen erzeugen. Der Esel war sein ideales „Modell“, kein Akteur, einfach ein Esel. Zwanzig Mal und mehr ließ Bresson seine Modelle die Bewegungen ausführen, Adler ist nicht weniger genau. Fünf Wochen Probenzeiten erlaubt sich nicht jeder Choreograf.
Schließlich arbeitet Adler mit seinem Team auf zwei mit einander verwobenen Ebenen. Einer technisch faktischen, auf der er sich fragt: „Welche Mechanismen prägen den Film? Was ist das Wesentliche an Bressons Arbeit?“ Die Hauptebene aber ist die seiner eigenen Choreografie, das Tanzstück „Balthazar“ von Nikolaus Adler. Ein Tanz über den Tod der nichts Anderes ist als das Ende des Lebens. „Balthazar“ erzählt vom Leben.
Die Einleitung ist eine Art „Making of“ als Erklärung und Erinnerung an den Film aus dem Jahr 1966. „Man muss zwar den Film nicht kennen, um das Stück zu verstehen, dennoch will ich das Thema vorstellen.“ Bressons Arbeitsweise ist der Arbeit des Choreografen verwandt: Berührung der Zuschauer durch Bewegung und Gestik. Im Gegenzug arbeitet auch der Cineast Adler wie im Film, geprobt wird in kleinen Takes, erst am Ende der Probenzeit werden die Teile zusammengesetzt. So können die Tänzer, wie Bressons Modelle, nie in ihre eigenen Emotionen rutschen. Dennoch steckt in diesem Tanz vom Leben, mit Geburt und Hochzeit, Liebe und Leid, auch viel von den Tänzerinnen und Tänzern selbst drinnen. „Wir haben bevor wir in den Probenraum gegangen sind, den Film analysiert, gemeinsam und jede für sich über die Schlüsselszene, das Sterben des Esels, reflektiert, Gefühle und Erfahrungen ausgetauscht. Das war sehr anstrengend.“ Die Tänzerinnen und Tänzer haben dann ihre persönlichen Erinnerungen und Gefühle in die Choreografie eingearbeitet. „Doch niemand tanzt sich selbst, die Emotionen sind quasi an Stellvertreter weitergegeben. Es gibt ja auch keine festgeschriebenen Rollen, auch keine geordnet erzählte Geschichte, die bildet sich dann aber doch in den Köpfen des Publikums. Hoffe ich.“
Adler hat keineswegs die Absicht den Film, der auch von menschlichen Schicksalen erzählt, zu kopieren, die Handlung zu vertanzen: „Der Film, vor allem die letzte Szene, ist lediglich ein Leitmotiv.“ Dennoch wird immer wieder an den Film als Anstoß und Inspirationsquelle erinnert. Etwa mit der im Film verwendeten Klaviermusik von Franz Schubert – live vom Komponisten des übrigen Sounds, Martin Klein, vorgetragen – und zitierten Szenenausschnitten – Versatzstücke nennt sie Adler –. Ein Kameramann wandert über die Bühne, beobachtet das Geschehen, die Verliebten umarmen einander, der Geliebte entpuppt sich als Verbrecher, der Esel, geht seinen Leidensweg… „Es wird immer wieder auf den Film und seine Machart verwiesen, manchmal verwende ich einen bestimmten Ausschnitt, etwa einen Gang von links nach rechts, oder es gibt eine kurze Erklärung.“ Nur der Tod des Esels, Ausgangspunkt und Antrieb für Adler, wird nicht gezeigt. „Ich arbeite auch nicht mit Videos oder Filmausschnitten. Es ist ein Tanzstück.“
Nikolaus Adler ist längst kein Frischling mehr in der Tanzszene. Begonnen hat er seine Laufbahn als Tänzer, ganz unspektakulär: Ausbildung in der heute Ballettakademie genannten Ballettschule der Wiener Staatsoper, Engagement im Ensemble unter den Ballettdirektorinnen Elena Tschernischova, Anne Woolliams und Renato Zanella. Schon früh hat er angefangen auch zu choreografieren. Damals war er von den griechischen Tragödien beeindruckt: Antigone oder Ödipus ließ er in modernem Gewand tanzen, mit „Der Ballade von High Noon“ hat er auch seine Liebe zum Film gezeigt. Die Einberufung zum Bundesheer hat die doppelte Karriere unterbrochen. Das Wiederanknüpfen war nicht einfach. Adler ist kein Pfuscher, auch wenn er das Thema schon im Kopf hat, dauert es lange bis es auf der Bühne Realität wird. Warum er keine Filme dreht? „Das ist nicht meine Art, mich auszudrücken, Ich kenne die Fim-Sprache nicht. Meine Sprache ist die Tanzsprache. Doch ich finde es faszinierend, dass man 90 Minuten auf eine weiße Wand schaut.“ Und etwas erlebt, muss ergänzt werden.
Zu wenig Realist. Als freier Choreograf hat Adler kein fixes Team, sucht sich die Tänzerinnen jeweils passend für sein Stück aus. „Sie müssen meine Intentionen verstehen und umsetzen können und auch selbst etwas beitragen. Die Choreografie ist nicht von mir allein.“ Dennoch, von der gern geübten Methode, die Tänzer ihre eigenen Choreografen sein zu lassen, sie einfach machen zu lassen, hält Adler wenig. „Ich habe ein Konzept und ich möchte auch, dass das Team gut zusammenpasst, sich gut versteht und kommunizieren kann.“ Das ist ihm mit den jungen Absolventinnen des MUK (Privatuniversität der Stadt Wien) Laura Fischer, Katharina Illnar und Pauline Stöhr bestens gelungen. Die beiden Männer, Ardee Dionisio und Etienne Aweh sind bereits erfahrene Tänzer. Dionisio hat sowohl beim Cirque du Soleil getanzt als auch in der Compagnie des Opernhauses Graz. Aweh, in Kassel geboren, zuletzt am Theater Osnabrück engagiert, arbeitet als freier Tänzer und ist in der vergangenen Saison als Gast am TanzTheaterMünster in der Choreografie „Gefangen“ von Hans Henning Paar aufgetreten. Mit seinem „wunderbaren Team“ ist Adler überaus zufrieden. „Sie haben verstanden worum es geht. Sie hausieren nicht mit ihren persönlichen Gefühlen, fühlen dem Publikum nichts vor, sondern sind eine Projektionsfläche, die von Zuschauerinne mit ihren eigenen Emotionen und Gedanken gefüllt wird .“
Obwohl Nikolaus Adler „viel zu wenig Realist ist, um nicht melancholisch zu sein“, zeigt er kein trauriges Stück, wenn es doch nasse Augen gibt, dann ist das Rezept Bressons aufgegangen: „Der Tod kann einen bewegen, wenn man ihn nicht zeigt. Das Gleiche gilt für die Liebe."
Nikolaus Adler: „Balthazar – ein Tanzstück über uns und das Leben“, Premiere: 28.4., Theater Nestroyhof Hamakom.
Weitere Vorstellungen: 29., 30.4.; , 4., 6., 7.5. 2016.