„Le Corsaire“ – Die Ballett-Premiere
Allmählich gerät das Blut in Wallung und das Fieber steigt: Am 20. März ist die Premiere des Seeräuberballetts „Le Corsaire“. Grund zum Feiern gibt es mehrfach: Zum ersten Mal wird der Hit aus dem 19. Jahrhundert in Wien gezeigt, zum ersten Mal hat sich Ballettchef Manuel Legris an eine Choreografie gewagt, für das Ballettensemble ein Debüt auf allen Linien. Robert Gabdullin, Maria Yakovleva, Davide Dato, Liudmila Konovalova, Kirill Kourlaev, Alice Firenze und Mihail Sosnovschi holen an vorderster Front die Kohlen aus dem Feuer.
Wild, romantisch und exotisch geht es zu im Hafen und im Harem, wenn Conrad, der Korsar, um die schöne Sklavin Medora kämpft. Ein Ballett, wie es seit 200 Jahren das Publikum begeisterte, romantisch, exotisch, erotisch.
In der letzten Phase der intensiven Proben geht es nicht mehr um Schritte und Sprünge, die hat der Körper bereits gespeichert, sondern um den Ausdruck von Emotionen: „Der Kern sind nicht die Schritte“, mahnt Choreograf Legris, „sondern die Geschichte, du musst fühlen, dass du verliebt bist.“ Schon schaut Gabdullin seiner Partnerin, Maria Yakovleva, tief in die Augen. Sie wird die griechische Sklavin Medora tanzen, um die sich alles dreht. Am Sklavenmarkt will Conrad sie kaufen, doch der türkische Pascha kommt ihm zuvor. Ein Korsar zögert nicht lange und raubt die Schöne. Das duldet der Pascha nicht, Medora wird wieder eingefangen. Doch Conrad ist der Held der Räubergeschichte und muss siegen.
Manuel Legris wird sie neu erzählen, doch Lord Byron hat’s erfunden.
Mit seiner Erzählung in Versform „The Corsair“ hat er einen Romantikboom entfacht, der ihm noch im Jahr des Erscheinens, 1814, sieben Auflagen bescherte. Schon am ersten Tag wurden mehr als 10.000 Exemplare verkauft. Von Piraten auf dem Meer, von Frauenraub und brennender Liebe, hat der Enkel eines britischen Admirals und Südseeforschers allerhand verstanden. Helden, intelligent, mutig und leidenschaftlich verkaufen sich immer gut. Bald standen sie, der tolle Korsar Conrad und seine Spießgesellen, auf der Opern- und Ballettbühne. Giuseppe Verdi komponierte die Oper „il Corsaro“, Hector Berlioz wenigstens eine Ouvertüre und Adolph Adam ein ganzes Ballett. Er und sein Librettist Jules-Henry Vernoy de Saint-Georges waren zwar nicht die Einzigen, die Piraten tanzen ließen, aber in der Choreografie von Joseph Mazillier die Erfolgreichsten.
1856 fand die Uraufführung in der Pariser Oper statt, Conrad konnte nach langen Kämpfen mit dem türkischen Pascha seine geliebte Medora endlich über die Meere entführen. In Mailand und London war man zwar schneller auf der Bühne mit den Helden, Bösewichten und lieblichen Damen, doch weniger nachhaltig. Den letzten, klassischen, Schliff erhielt das Treiben in Harem und Räuberhöhle zwei Jahre später, als Märchenonkel Jules Perrot sein Libretto nach St. Petersburg exportierte und sich Marius Petipa der farbenprächtigen Geschichte annahm. Von da an beleben die Schönen im Serail und die Tollkühnen auf der Fregatte, das Repertoire aller großen Balletttruppen bis heute. Dank Legris muss sich auch Wien nicht mehr mit dem galatauglichen „Sklaventanz“ oder dem Ballett im Ballett im 3. Akt „Der „lebende Garten" begnügen und darf mit einer eigenen Choreografie auch international punkten.
Selten war der Wiener Ballettchef so entspannt und fröhlich bei den Proben. Endlich ist er wirklich frei, kann tun und lassen, was ihm in den Sinn kommt. Als Tänzer steckt jeder (und noch mehr jede Tänzerin) im Korsett und muss sich fügen, tun was vorgeschrieben ist. Aber auch als Ballettmeister, der eine fremde Choreografie einstudiert, ist der Spielraum begrenzt. So engagiert sich Legris als Autor eines eigenen neuen Opus im Ballettsaal voll Witz und bester Laune. Die entspannte Atmosphäre gibt auch seinem Ensemble Mut und Energie.
Der modische Begriff der politischen Korrektheit hat im klassischen Ballett wenig Bedeutung. Seeräuber sind Helden, Sklavinnen sind schön und die Liebe feiert Triumpfe. Die Welt des Balletts ist ein Paradiesgarten, was da draußen ist, geht sie nichts an. So ist auch für Robert Gabdullin die wilde Geschichte des Freibeuters Conrad ein Märchen: „Ich tanze den Conrad, darauf konzentriere ich mich jetzt,“ sagt er lapidar. Geboren in Jekaterinburg (früher Swertlosk), nur knapp 40 Kilometer östlich der imaginären Trennlinie zwischen Europa und Asien, kann er bereits von einer beachtlichen Karriere erzählen: Erster Solist in Jekaterinburg, Erster Solist in Perm – „Da wollte ich immer hin, die hatten ein interessanteres Repertoire und gingen auch auf Reisen“ –, Erster Solist des Polnischen Nationalballetts in Warschau, gern gesehener Gast bei vielen internationalen Compagnien. Die Liste seines Repertoires ist lang und klassisch. Auch den Conrad, den feurigen Korsaren, hat er schon getanzt, "doch jetzt ist alles neu." Die Figuren sind von Legris neu definiert, den Ablauf und die Bewegungen samt der Musikzusammenstellung ebenso.
Gabdullin ist kein Dampfplauderer, lange überlegt er vor jedem Satz, setzt seine Antworten bedächtig und genau. Unaussprechlich fast seine Heimatregion: Baschkortostan, Hauptstadt: Ufa. Aha! Dort ist Rudolph Nurejew aufgewachsen. Gabdullins Verehrung für ihn ist bio-logisch. „Doch ich habe auch Manuel Legris schon gekannt und bewundert.“ Genau hat er das Video des zauberhaften Pas de deux „Le Spectre de la Rose“ mit Legris als Rosengeist studiert.
Den „Corsaire“ hat der Wiener Ballettchef übrigens nie getanzt, so war er völlig frei in seiner Gestaltung. Hat allein recherchiert und fantasiert und sich auch Hilfe geholt, etwa für die Musik vom russischen Ballettkorrepetitor des Wiener Ensembles, Igor Zapravdin: „Einer unserer besten Pianisten und Komponisten“ (Legris). Der ballettbegeisterte Pianist hat die Partitur von „Le Corsaire“ durch zwei Stück von Adolph Adam, dem Hauptkomponisten des Balletts, bereichert und auch für die Übergänge im musikalischen Pasticcio gesorgt.
Neu ist auch der Pas de deux mit Medora im 2. Akt zur (von Zapravdin vorgeschlagenen) Musik von Léo Delibes aus ‚Sylvia’“. Ballettfans haben ein zweites Aha-Erlebnis. Jetzt ist doch auch der Tänzer Legris in der Räuberhöhle zugegen: 2013 hat er bei der Wiener Nurejew Gala mit Aurelie Dupont (ab August wird sie als „Directrice de la danse“ die Pariser Ballettcompagnie leiten) das innige Liebesduett Sylvia /Aminta gezeigt. „Das ist ein sehr schöner, zärtlicher Pas de deux.“ Legris freut sich über die Entdeckung und will das Ballett nicht nur als Räubergeschichte sehen: „Es ist auch eine Liebesgeschichte.“
Was Männer so Liebe nennen…
Zum Schluss ein wenig Namenskunde und eines Rätsels Lösung : Konrad , das ist „der Kühne“, doch Robert? Wer ist Robert? Im Namensbuch steht es: „der von glänzendem Ruhm.“ Das hat Gabdullins Mutter genau gewusst: „Sie wollte, dass ich etwas Besonderes bin, so gab sie mir keinen russischen Namen, sondern wählte einen fremdartigen, der sofort auffällt. Mir gefällt er.“ Der Ruhmreiche tanzt den Kühnen und wird auch der vor Liebe Glühende sein.
„Le Corsaire“, Ballett in 3 Akten, Dramaturgie und Libretto: Manuel Legris und Jean-François Vazelle Musik: Adolphe Adam und anderen | Bühnenbild und Kostüme: Luisa Spinatelli Licht: Marion Hewlett | Dirigent: Valery Ovsianikov. Mit Maria Yakovleva, Robert Gabdullin, Liudmila Konovalova, Kirill Kourlaev, Davide Dato, Alice Firenze, Mihail Sosnovschi und dem Ensemble des Wiener Staatsballetts. Premiere: 20.3. Staatsoper. Weitere Vorstellungen bis April 2016