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Der Komponist und die Tänzerin

Moving Architecture: Uraufführung in New York © ACFNY

In «Monadologie XVIII» überführt Lang die Architekturpläne in musikalische Bewegungen. Dabei ziehen sich Fragmente von Bob Dylans «Like a Rolling Stone» wie ein roter Faden durch das Stück. Silke Grabinger hat die physischen Bewegungen dazu in einer Partitur festgehalten, für drei Tänzer_innen und auch das Ensemble PHACE. Nach der Uraufführung in New York hat das Werk im Rahmen von Wien Modern im Tanzquartier seine Österreich-Premiere.

Es wird nicht geschwätzt und geschnäuzt, nicht gekratzt, geschmatzt, das Instrument geputzt oder am Sessel geruckt werden. Für die Streichererinnen und Bläser, den Schlagzeuger und die Dame am Synthesizer stehen diesmal neben den Noten auch Bewegungsanweisungen in der Partitur. Jede Geste ist vorgeschrieben. Vorgeschrieben – im wahrsten Sinn des Wortes – von der Tänzerin und Choreografin Silke Grabinger. Den musikalischen Teil der doppelten Partitur – fünf Zeilen für die Musik, fünf für die Choreografie – hat Bernhard Lang komponiert.
„Wir haben gemeinsam gearbeitet und Notenschrift und Tanzschrift in einer Partitur zusammengefasst. Die Anweisungen für das musikalische Spiel und die Bewegungen müssen nicht aneinandergeklebt werden.“ „Es ist ja nicht so wie bei vielen Tanzstücken, dass es eine Musik gibt und dann bewegen sich halt die Tänzer irgendwie dazu“, sagt Lang und betont vor allem die gemeinsame Partitur in einer Notation auf fünf Zeilen, die Grabinger selbst erfunden hat: „Ich habe die Musiker lange beobachtet und dabei festgestellt, dass sie sich nicht nur beim Spielen bewegen sondern auch wenn sie Pausen haben. Dann habe ich diese Bewegungen in meinen eigenen Bewegungskatalog integriert und meine persönliche Bewegungsnotation erfunden.“ Gemeinsames Arbeiten ergibt auch gemeinsames Sprechen. Silke Grabinger und Bernhard Lang sind sich in jedem Punkt einig. „Wir sind beide aus Oberösterreich“, meinen sie lächelnd die Ursache des Gleichklangs zu kennen. Komponist Bernhard Lang © Guy Fleming

Dass der arrivierte Komponist, geboren 1957 in Linz, locker der Vater der, 1981 in Wels aus dem Ei geschlüpften Choreografin, sein könnte, ist dabei nicht von Gewicht.

Grabinger weiß sich durchzusetzen: Als „b-girl-SILK“ hat sie auf der Straße begonnen und nach zwei Lehrjahren als Tänzerin und Luftakrobatin beim Cirque du Soleil in Las Vegas 2008 ihr erstes Solotanzstück mit dem Choreografen Roderich Madl / Pilottanzt gezeigt.
Seitdem ist sie nicht nur als Solistin („SILK“) erfolgreich und arbeitet mit mit Künstler_innen wie Martha Argerich, Paul Gulda oder Hubert Lepka zusammen sondern betreut zugleich ihre eigene junge Dancecompagnie, das Kollektiv für urbanen Tanz und Kunst „SILK Fluegge“, angesiedelt in der Tabakfabrik Linz. Choreografin Silke Grabinger © www.silk.atEben hat sie mit der jungen flugfähigen Truppe den „Stella ’15“, einen Preis für Kinder- und Jugendtheater, gewonnen. Fände sie neben ihren vielen Baustellen als mehrfach preisgekrönte Tänzerin, Instruktorin und Choreografin auch Zeit, ihrem Bachelor für Raum Designstrategien an der Kunstuniversität Linz den Master hinzuzufügen, so wäre ihre Innovation der doppelten Partitur ein spannendes Thema für die nötige schriftliche Arbeit. Eine Master-Notation über eine außergewöhnliche neue Notation.
„Moving Architecture“ heißt die musikalische Performance, die im Rahmen des Festivals „Wien Modern“ im Tanzquartier zu sehen und zu hören ist. Die Uraufführung des Werks mit dem Subtitel „Monadologie XVIII“ fand im Mai 2012 im vom Architekten Raimund Abraham († 2010) erbauten exzeptionellen Domizil des Austrian Cultural Forums (AFC) / New York statt.

Über Einladung des damaligen Leiters des ACF, Andreas Stadler, hatten der Komponist und die Tänzerin ein Geburtstagsgeschenk geschaffen. Das 84 Meter hohe, in eine nur 7,5 Meter breite Baulücke in Manhattan eingezwängte, Gebäude war zehn Jahre alt geworden. Deshalb bildet es auch die Grundlage für Langs Musik, mit der er die Seitenansichtspläne von Abraham proportional in Töne setzt. Die 22 sich proportional verkürzende Schichten (einzelne Zellen, Monaden) entsprechen den jeweiligen Stockwerken. Ursprünglich waren die im Konzept enthaltenen Parameter (alle Dimensionen des musikalischen Verlaufs, die sich isoliert verändern lassen) der Bewegung als Bewegung des Klanges gedacht. Ausführene Ensemble PHACE © Oliver Topf
Mit Loops und mutierenden Wiederholungs-Mustern werden Pulsationen vermittelt und Rhythmen erzeugt. „Schon die Produktion der Loops durch die Musiker_innen führt zu einer unwillkürlichen, inneren Bewegungslogik“, erklärt Lang. Grabinger hat diese Logik genommen und, den Bewegungsmustern eine neue Schicht hinzugefügt. „Dass man Bewegung auch komponieren kann, war neu“ für Bernhard Lang.

Die Monadologie. Klingt ganz schön kompliziert, auch das Making off, genauer betrachtet, macht die Gehirnarbeit nicht leichter: Die Monadologien (man bemerke, es ist die 18.) Langs beruhen größtenteils auf vorhandenen Musikstücken. Diesmal hat der Komponist sich an Bob Dylan angelehnt. Dessen Songbook „Like a Rolling Stone“ ist immer wieder fragmentarisch zu hören. „Für mich ist das die Poesie der Emigration, der Flucht und Heimatlosigkeit “, erklärt Lang und es ist zu spüren, dass er damals, vor drei Jahren, keinesfalls auf einen heute rasenden Zug aufgesprungen ist.
Die Qualität, die Grabinger mit Lang teilt, ist ihre Authentizität, für Tarnen und Täuschen gibt es keinen Platz. So erzählt Lang auch ungeniert, dass er die aus Czernowitz stammende Lyrikerin Rose Ausländer (1901–1988) nicht gekannt hat. „Das war eine Entdeckung. Sie hat immer wieder in New York gelebt und war mit dem ACF eng verbunden. Das wurde ja schon 1942 von österreichischen Emigrantinnen gegründet. Damals hieß es Austrian Institute.“ So ist der Grundton der „Moving Architecture“, die im Keller beginnt und ganz oben, in dem sich verjüngenden Turm, endet, eher melancholisch. Das lassen die beiden auch im Gespräch spüren. Dichterin Rose Ausländer, 1914 © Archiv (anonym)
Während die Tänzerin auf dem Sessel die Bewegung von den grünen Augen bis in die Körpermitte gleiten und mit den Armen den nur von ihr gefühlten Rhythmus fliegen lässt, rezitiert der Komponist ein auf Englisch geschriebenes Gedicht:

Four walls, a ceiling and a floor

Is it a room?
Is it a cell?
if not for window and for door
It might seem a part of hell

In New York wurde das bewegte Konzert von der Formation „Argento Chamber Ensemble“ ausgeführt, die Textpassagen hat Daisy Press gesungen. „Einfach war das nicht“, erinnert sich das Duo. „Wir hatten ja nicht die Halle G zur Verfügung, wie diesmal, sondern einen winzigen Raum ohne entsprechendes Licht, ich musste aufpassen, dass ich nicht über die Füße der Gäste stolpere“, erinnert sich Grabinger. Mit dem mit „Wien Modern“ und auch Tanzaufführungen vertrauten Ensemble „Phace“ ist die Aufführung nicht mehr so aufregend. Als Dirigenten hat sich Lang „den phänomenalen“ 1. Kapellmeister am Nationaltheater Mannheim, Joseph Trafton gewünscht (und bekommen). Grabinger hat den Tanzteil intensiviert und auf drei Beteiligte (sie selbst, Barbara Vuzem, Matej Kubus von SILK Fluegge) erweitert. „Vor drei Jahren haben wir gezittert, es war ein Risiko für alle, die Musiker, den Dirigenten, die Sängerin, sie kommt übrigens auch zur Wiener Premiere. Außerdem wurde dieses Bewegungskonzert über Glasfaser nach Österreich übertragen.“ Noch heute denken die beiden mit Schaudern daran, was alles hätte schief gehen können: „Doch wir haben die Herausforderung angenommen und die Feuerprobe bestanden.“ Der lapidare Kommentar im Gleichklang: „Das ist der oberösterreichische Granit!“

Bernhard Lang / Silke Grabinger: „Monadologie XVII – Moving Architecture“, für Stimme Fl, Kl, Hrn, Tp, Synth, Perc, 1-1-1-1 (55') und Choreografie nach den Bauplänen des ACF von R. Abraham sowie Textzitaten von B. Dylan und Rose Ausländer. Ensemble Pace, Dirigent Joseph Trafton, Stimme: Daisy Preston, Performance: Silke Grabinger, Barbara Vuzem, Matej Kubus, im Rahmen von Wien Modern. 18. und 19. November, Tanzquartier.

In gekürzter Form ist der  Artikel im Schaufenster / Die Presse vom 6.11.2015 erschienen.