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Maria Yakovleva: "Die Sylphide, ein Hund"

Yakovleva mit Denys Cherevychko in "Don Quixote"

Nach ihrer Verletzungspause ist die Erste Solotänzerin Maria (Masha) Yakovleva wieder mit Elan im Einsatz. Schon im Frühjahr hat sie in "La Sylphide" gezeigt, dass sie auf voller Höhe ist. Im Oktober wurde sie in der Paraderolle der Kitri in "Don Quixote" bewundert. Demnächst wird sieals "Frühling" in der Premiere von Jerome Robbins' „Vier Jahreszeiten“ und in der Folge auch in Christopher Wheeldons „Fool’s Paradise“ tanzen.

Masha rennt. Eben noch hat die Sylphide mit James geschäkert, nun ist sie verschwunden. In Luft aufgelöst. Maria Yakovleva, Erste Solotänzerin und zauberhafte Sylphide, ist unter der Bühne gelandet. Jetzt muss sie hinauf hetzen, schwitzend, keuchend und gleich wieder, sanft wie ein Schmetterling, durch das Fenster in der schottischen Stube landen. „Da ist nichts mit Schweben und wie eine Feder fliegen. Das ist harte Arbeit, doch das Publikum darf nichts davon merken. Wir beißen die Zähne zusammen und lächeln.“ Mit einem schelmischen Blick aus den großen grauen Augen zeigt die Ballerina, wie das gemacht wird. Immer nur lächeln. Yakovleva mit Friedemann Vogel in "Manon" (Sir Kenneth MacMillan). © Wiener Staatsballett / Michael Pöhn
Das Abenteuer Sylphide ist für diese Saison beendet und obwohl sie die verführerische Elfe besonders gern tanzt (wie eigentlich alle Rollen, bei denen eine Geschichte mit Emotionen wichtig ist), ist sie froh, es überstanden zu haben. Aufatmend fällt sie ins Wienerische: „Die Sylphide ist ein Hund, wirklich, weit weg vom Schweben.“ In „La Sylphide“ hatte Yakovleva einen ihrer ersten Auftritte nach einer langen Verletzungspause. Bei einer harten Probe war die Achillessehne gerissen. Eine sehr schmerzhafte Verletzung. „Ein Jahr lang habe ich nach der Operation Schmerzen gehabt. Das hemmt natürlich beim Tanzen. Vor der Sylphide habe ich richtig Angst gehabt, aber jetzt ist alles wieder in Ordnung.“ Und sie schwebt doch, zierlich und federleicht. Dass sie bei ihren ersten Auftritten nach der Pause von den Kolleginnen und Kollegen „wirklich liebevoll“ unterstützt worden ist (Partner war Robert Gabdullin als James), macht sie glücklich. „Alle haben nach der Vorstellung applaudiert und mir gratuliert. Ich habe weinen müssen.“ Jede Verletzung ist ein Einschnitt im Leben einer Tänzerin: „Man hat Ängste, darf sich nicht bewegen, das ist ungewohnt. Das erste Mal wieder auf der Bühne zu stehen ist ein Horror.“ Doch Angst und Zittern sind längst überwunden. Das hat die Yakovleva mit einem harten Schnitt in die dunkle Lockenpracht gefeiert. Ballerina mit Pagenkopf.„Ich fühle mich total wohl mit den kurzen Haaren,das Frisieren vor der Vorstellung ist nicht so kompliziert. Immer dieser Knödel!“
Yakovleva mit Richard Szabó im Fotostudio. © Ronnie BöhmNach zehn Jahren in der Wiener Compagnie ist die Yakovleva reifer geworden, tänzerisch in Hochform. Das jugendlich strahlende Aussehen eines zierlichen Mädchens ist geblieben. Zu Saisonbeginn hat Yakovleva als Kitri mit Partner Denys Cherevychko in „Don Quixote“ mit fröhlichem Temperament gezeigt, wie man das Publikum erobert. Gab es den verdienten Applaus? „Ja, schon“, sagt sie zögernd, „doch es kann nie genug Applaus geben. Man wünscht sich immer noch mehr Applaus, man will ja auch immer alles noch besser machen. Gut getanzt ist nicht gut genug.“
Kitri und Basil sind ein heftig liebend Paar. Gibt es da auch private Verwicklungen, wenn sich Tänzer und Tänzerin ganz nahe kommen? Yakovleva schenkt mir einen nachsichtigen Blick: „Das ist nicht wie im Film. Die Liebe muss man spielen, damit das Publikum ergriffen wird. Aber fühlen tun wir ganz etwas anderes, wir arbeiten doch auf der Bühne. Zum Beispiel der Kuss am Ende der Balkonszene in ‚Romeo und Julia’. Das Publikum darf denken‚ die Zwei sind wirklich verliebt. Aber ich habe während der Vorstellung keine solchen Gefühle. Was ich eher denke ist: ,puuh, erst der 1. Akt beendet, jetzt kommt noch die lange Schlafzimmerszene …..“ Doch das geht das Publikum nichts an.
Dass die Yakovleva wieder voll im Einsatz ist, zeigt sich auch am Probenplan im Oktober. Für die dreiteilige Premiere Ende des Monats ist sie in doppeltem Einsatz. Als Hauptsolistin in Christopher Wheeldons “Fool’s Paradise“, einer nicht narrativen Choreografie zur romantischen Musik von Joby Talbot. Wheeldon, der das Ballett, von der Musik begeistert, für seine frühere Compagnie Morphoses geschaffen hat, ist ein vielbeschäftigter Choreograf, der kaum Zeit hat mit dem Wiener Staatsballett zu proben. „Sein Assistent, Jason Fowler, ist aber nett. Ich probe gern mit ihm“, obwohl die Proben schwierig sind. „Alles ist neu, es gibt keine Handlung und keine definierten Rollen und die Musik hat keinenMelodienbogen, die Takte sind verschoben, keine Bewegung ergibt sich aus der anderen. Wir müssen dauernd zählen.“ In kleinen Portionen macht Fowler, ein Riese mit Bodybuilder-Figur, die Bewegungen vor und teilt in aller Ruhe die Zahlen zu, etikettiert mit ausgestrecktem Arm die Probenden mit unterschiedlichen Nummern, damit sie ihre Einsätze zum richtigen Zeitpunkt machen. Yakovleva ahnt, dass auch bei der Aufführung gezählt werden muss. „Die Reihenfolge ist sonst nicht einzuhalten. In einem Solo ist das einfach, da zähle ich im Kopf, aber wenn wir alle gemeinsam tanzen, müssen wir laut zählen, natürlich so murmeln, mit geschlossenem Mund, dass das Publikum nichts mitbekommt.“ – „Vier, fünf, sechs“ – funktioniert tatsächlich ohne Lippenbewegung. Die Ballettakademie probt den Winter (Jerome Robbins: "Four Seasons") © Delbeaufilm.http://www.wiener-staatsoper.at/Content.Node/home/staatsballett_neu/medien/medien.de.php#ad-image-0
Dennoch hat Choreograf Wheeldon Bilder gesehen, als er die Musik Talbots – ursprünglich als Klaviertrio, geschaffen für die Wiederherstellung des Stummfilms „Der sterbende Schwan“ von Jewgeni Bauer, 1917 – zum ersten Mal gehört hat. Schon bei den Proben im kahlen Ausweichraum sieht man die Damen und Herren in verwirrendem Wechselspiel durch einen Zauberwald tanzen. „Richtig“, bestätigt Probenmeister Fowler, „Wheeldon hat an Shakespeares „Sommernachtstraum“ gedacht, Masha Yakovleva ist also Titania, wir sehen Lysander und Demetrius, Hermia und Helena. Aber es wird keine Geschichte erzählt, das sind nur Bilder, die dem Choreografen durch den Kopf gegangen sind.“ Yakovleva ist erstaunt: „Das hat er uns gar nicht erzählt, wir müssen uns auf die Schritte und die Balance konzentrieren. Manche Posen müssen ganz lang gehalten werden, da zähle ich bis 100, obwohl 10 schon lang genug ist. Aber es gibt auch sehr schnelle Teile. Wheeldon ist mit seiner Choreografie sehr nahe dem klassischen Ballett. Wir tanzen auf Spitze.“
Mit Robert Gabdullin in Dornröschen (Nurejew-Gala 2013). © Wiener Staatsballett / Michael PöhnErst knapp vor der Premiere wird der Meister anreisen: „Kann sein, dass er dann noch etwas ändert“, weiß die Ballerina aus langjähriger Erfahrung mit unterschiedlichen Choreografen. Nicht mit jedem hat sie gern gearbeitet, „Aber die meisten sind sehr angenehm und wissen, dass jede Compagnie, jede Tänzerin anders ist. Dann muss die Choreografie verändert werden.“
Als Maria Yakovleva mit 19 Jahren durch den ehemaligen Ballettchef Gyula Harangozó vom St. Petersburger Mariinski-Ballett nach Wien geholt worden war, konnte sie die strenge Waganowa-Schulung an der Ballettakademie nicht so schnell vergessen. Zeitgenössisches Ballett war ihr noch fremd. „Doch in den letzten fünf Jahren hat sich das gebessert, es wird immer leichter, ich lerne auch viel schneller.“ Gelernt muss auch der Pas de deux „Frühling“ des Balletts „Die vier Jahreszeiten“ (zu selten gehörter Ballett-Musik von Giuseppe Verdi) von Jerome Robbins werden. Geprobt wird nahezu synchron, im Ballettaal oder im Ausweichkammerl.
Masha rennt wieder.

Thoss | Wheeldon | Robbins: Dreiteiliger Ballettabend.
Stephan Thoss: „Balubarts Geheimnis“ (Ausschnitt), , Christopher Wheeldon: „Foo’ls Paradise“, Jerome Robbins: „The Four Seasons“, Premiere am 29.10.2015. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.

Weitere Vorstellungen. 31.10., 3., 6., 10.11. 2015.

Das Porträt von Maria Yakovleva ist in gekürzter Form im Schaufenster der Tageszeitung Die Presse vom 23.10.2015 erschienen.