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Die KI ist ein Hund

Mensch und Maschine: Silke geht mit Spot spazieren..

Wie unberechenbar, gemein und beschränkt die sogenannte künstliche Intelligenz (KI) ist, weiß jede, die sich auf die Korrekturintelligenz verlässt. Spot allerdings, ein künstlicher Intelligenz-Hund (KIH), ist das alles nicht, er ist einfach liebenswert, vor allem wenn er mit Silke Grabinger tanzt. Grabinger, eine NI (natürliche Intelligenz) hohen Grades, hat mit Spot eine Performance einstudiert: SPOTSHOTBEUYS heißt das spannende und amüsante Stück, das heuer am 20. April die Kunstbiennale von Venedig eröffnet hat und einen der Höhepunkte des ImPulsTanz Festival in Wien bildet.

Frau und Hund. Die Frau ist ein lebendiger Mensch, der Hund ist aus Metall und Plastik, und eine Maschine. Bevor der Titel erklärt wird, eine Begründung für meine Begeisterung. Mit SPOTSHOTBEUYS zeigt das einstige B-Girl SILK, dass Tanz und Performance nicht immer um die persönliche Befindlichkeit kreisen müssen. Grabingers Horizont reicht weit über den privaten Suppentopf hinaus. Sie verbindet Wissenschaft mit Kunst, so wie sie urbanen Tanz mit zeitgenössischem zusammenführt, widmet sich der Choreografie und Performance ebenso wie der Robotik und anderen gesellschaftlichen Erscheinungen.
Und wie kommt jetzt der Beuys ins Credo? Ganz einfach, durch den Hund. Der war echt. 1974 gestaltete der Aktionskünstler Joseph Heinrich Beuys (1921–1986) in New York die Aktion I like America and America likes Me, in der ein Kojote mitgespielt hat. Der lebendige Hund ist ein  Koyote aus dem Yosemite-Park / USA. Eine Erinnerung an die Aktion von Joseph Beuys 1974.Beuys verbrachte drei Tage mit einem Kojoten in den Räumen der New Yorker Galerie von René Block. Von nordamerikanischen Ureinwohnern wird der Kojote als heilig verehrt. Die Aktion mit dem Kojoten, in zahlreichen Fotografien dokumentiert, hat viel zum Beuysschen Nimbus eines Schamanen beigetragen. Wusste der Künstler doch die Medien für seine Zwecke zu nützen und vermittelte, eingeschlossen mit dem Kojoten, das Bild eines Heiligen Mannes, der eine rätselhaft-animistische Liturgie ausübt. Von dieser dreitägigen Aktion existiert auch ein 16 mm-Film. Helmut Wietz hat ihn in Farbe gedreht, doch Beuys hat ihn in Schwarzweiß umkopieren lassen, „um vor allem die spirituelle Seite der Aktion zu betonen.“ Spot, der animaloide Roboter, mit seiner Herrin, Silke Grabinger, zu Besuch in Vendig. © jku
Dieser Film (Shot) bildet die Verbindung von 1974 zu 2024, von Joseph Beuys zu Silke Grabinger, von Koyote , dem natürlichen Hund zu Spot, dem von Boston Dynamics entwickelten animaloiden Roboter. Während der Film läuft, liegt der gelbe Spot auf der Bühne und streckt alle Viere von sich. Einstweilen bereitet sich die Schamanin, oder eine Göttin, jedenfalls eine schöne Frau, die statt Zöpfen einen dicken geflochtenen Schwanz hinter sich herschleift, auf die Begegnung vor. Bis Spot zutraulich wird, ihr auf jede Geste folgt, bis Natur und Technik sich anfreunden dauert es eine Weile.u
Begegnung am Einwegspiegel. Die schöne Frau erkennt den Hund, aber erkennt der Hund auch die schöne Frau?Wenn Spot auf seinen Spinnenbeinen im Giraffengang über die Bühne stakst und mit seinen grünen Augen, den Leuchtdioden an den Seiten des Vorderteils, ins rundum sitzende Publikum starrt, möchte man gleich die Hand ausstrecken und ihn ein wenig kraulen.
Bald folgt Spot der Herrin, geht, läuft neben ihr, dreht sich um, wenn sie sich umdreht, geht in die Knie, wenn sie sich beugt, wackelt mit dem Hinterteil, versucht ein Plié,  bleibt stehen, wenn sie stehen bleibt. Nachdem sie einander durch einen Einwegspiegel betrachtet haben, ist Spot bereit, mit Silke einen reizenden Pas de deux zu tanzen. Pfui! Hunde auf die Schnauze zu küssen, ist unhygienisch. Brrr! Eine Maschine zu küssen, ist verrückt. Das genügt der Amazone, die ihren langen Schwanz auch als Lasso benützen kann, nicht, sie will zeigen, wer die Herrin und wer der Hund ist. Spot wird geschubst und angegriffen. Das bringt ihn nicht aus der Ruhe, doch die Rollen scheinen zu verrutschen. Die schöne Schamanin verliert ihre Kraft, kauert am Boden und schlabbert Wasser aus der Hundeschüssel. Spot tänzelt fröhlich durch den Raum, beäugt hie und da das Publikum, kümmert sich aber nicht weiter darum. Doch bald geht ihm die Kraft aus, die Lichter werden trüb, und schon erscheint der Hundetrainer, um ihm das Herz herauszunehmen. Der Akku muss aufgeladen werden. „Liebesakt mit Maschine“? Geht ohnehin nicht, Spot musste gerade seinen Akku hergeben, damit er wiederaufgeladen wird. Zur Zeit ist er tot. Also keine Aufregung, kein Porno auf der Bühne.  P Doch zu Ende ist weder das Hundeleben noch die Performance. Die schöne Schamanin inszeniert einen Liebesakt mit totem Hund und erweckt den an allen Vieren Gefesselten mit der Fernbedienung wieder zum Leben. Sie bleibt Herrscherin über ihn. Noch.
Die Aufführung ist als „durational, gehen und wiederkommen erlaubt“ angekündigt. Ich nehme die Erlaubnis in Anspruch, wer oder was die Oberhand behalten wird, werde ich also nicht erfahren. Doch die Wissenschaft hat bereits Entwarnung gegeben. Die KI kann nicht selbstständig denken und schon gar nicht fühlen. Wie die Siege des Pyrrhus sind auch die ihren nur Scheintriumphe. Hinter jedem dieser KI-Erfolge steckt ein menschliches Gehirn – empathisch und verantwortungsbewusst; asozial, gierig und machthungrg.

Silke Grabinger / Silk: SPOTSHOTBEUYS, ImPulsTanz in der Künstlerhaus Factory, mehrere ausverkaufte Vorstellungen am 5. und 6. August 2024
Konzept, Choreografie und Performance: Silke Grabinger
Karl Regensburger und Günther Oberhollenzer haben SPOT am ersten Performanceabend in die Künstlerhaus Facory gebracht.
Dramaturgie: Ludwig Felhofer und Silke Grabinger; Probenleitung: Gergely Dudás-Simó
Kostüme: Bianca Fladerer; Licht: Max Windisch-Spoerk; Video: Karol Kensy
Produktion: Marie Scholze; Produktionsleitung: Gergely Dudás-Simó
Foto: © Meinrad Hofer
Eine Kollaboration zwischen Silke Grabinger, dem Zirkus des Wissens und dem Institut für Robotik an der Johannes Kepler Universität (jku).