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Schwarz ist die Nacht, schön der helle Nebel.

„Silent Lovers“ von und mit Luca Bonamore.

Mit Silent Lovers ist Luca Bonamore nach 2022 und 2023 zum dritten Mal Gast des ImPulsTanz-Festivals. Im Rahmen der Young Choreographers’ Series [8:tension] gastiert er bis 11. August im Schauspielhaus Wien. Restlos ausverkauft – und mit zwei Zusatzvorstellungen – untersucht Bonamore das Phänomen des nächtlichen queeren Cruisings als komplexes Gesellschaftsmosaik zwischen Tabu(bruch) und Verletzlichkeit, trotzigem Aufbegehren und bitterer Ironie.

„Silent Lovers“: Queeres Duett mit Randfiguren.Was gibt es Schöneres als Spots und Theaternebel! Dunkler Saal, ein Lichtkegel – und das darin, gepaart mit destilliertem Wasser, wabernde graue Propylenglycol. Wenig kann intensiver, kaum etwas berührender sein. Konzentration in jeder Hinsicht. Fokus. Drumherum: nichts. So beginnt – wunderbar präzise ins Licht gesetzt von Leo Kuraitė – die aktuelle Ensemblearbeit des in Wien lebenden italienischen Tänzers und Choreografen Luca Bonamore.
Bereits 2022 war er mit seinem Labor der Zärtlichkeit bei imagetanz im brut aufgefallen, im selben Jahr folgte eine Einladung ins Tanzquartier für dessen Queer Performance Festival Vienna S_P_I_T_ (Lapse). 2023 war Bonamore gemeinsam mit Lau Lukkarila Artist in Residence des ImPulsTanz-Festivals. Nun ist er, mit einer Gruppenarbeit für fünf Performer:innen, erneut hier zu Gast und überzeugt von der ersten bis zur letzten Minute, vom ersten Dunkel bis zum letzten Black. Liebespaar mit Pianisten, eine Perofmrance-Szene zumGemälde arrangiert.
Zuerst also der Nebel, der Lichtkegel. Dann eine Beckett-Figur, langes aschblondes Haar, der obligate schwarzer Anzug – und ein Klavier, das sie von rechts auf die punktuell angespottete Bühne schiebt, bis weit nach links, wo bereits der passende Pianist:innen-Hocker wartet. Was dieser Figur fehlt: die Anzughose. Eine halbe Beckett-Figur also, halb trauriger Clown, wie sie es eben sind, halb Bar-Sänger, der nackte Unterleib in Tanga, weißen Socken und Turnschuhen kaum verhüllt. Bald schon beginnt der blonde Sänger zu singen, Easy Listening, soulig, traurig – irgendwie kennt man den Song, doch Simeon Ohlsen (Live-Musik, Performance) trägt einen Mouth Ball. Kitschig schön gurgelt es aus ihm, aber nie bis zum Wohlfühlpunkt. Langsam kommen auch die anderen Performer:innen auf die Bühne. Sie tragen ebenfalls – wenn auch dieses Mal schwarze – Langhaarperücken, ebenfalls weiße Socken und Turnschuhe, die gleichen schwarzen Silicon Gag Balls und G-Strings. Die großteils nackten Oberkörper hängen traurig suchend bis auf den Boden hinunter, die Körper in ihren Must-Have-Loose-Jeans schleppen sich, fallen, rasen über die Bühne, Spot um Spot, Körper um Körper – bis sich zwei entfernen. Die choreografisch-pornografische Begegnung, die sich im folgenden Duett der nun aus ihren Hosen und Haaren geschälten beiden Tänzerkörper entwickelt, ist von atemberaubender Schönheit, die sich vor allem der stetig brüchigen, zwischen realer Perfektion und zitierter Erektion changierenden Choreografie verdankt.Umarmung oder Gerangel im Dunkeln? „Silent Lovers“ in jedem Fall. Silent Lovers ist, wie bereits andere Vorgängerstücke des Choreografen, der 2023 sein zeitgenössisches Tanzstudium an der MUK abschloss, inspiriert von persönlichen queer-biografischen Erfahrungen, die vom „Kreislauf politischer Unterdrückung“ bis zum Wunsch nach einem erfüllten Wahrgenommen-Werden, von shameless Cruising bis vertrauter Zärtlichkeit reichen. Wenn die beiden Solisten im Mittelteil des Stücks, denen sich schließlich im hart zwischen Fragilität und Brutalität changierenden Spiel ein dritter Tänzer anschließt, klassische Ballett-Figuren ausführen, um sich aus diesen heraus in deutliche „Sexspiel“-Posen zu glitschen, ist das nicht nur klug, sondern auch tief berührend. Bonamore gelingt es in Silent Lovers, queere choreografische Praxis bestechend schön in den großen Kontext zwischen Tanz- und Ideologiegeschichte zu stellen. Immer wieder rauschen Anspielungen bildhaft vorbei, ehe sie sich wieder in expliziten Gesten verlieren. Luca Bonamore als Coverboy der ImPulsTanz Kampagne 2023 von Cin Cin. © Cin CinNachdem schließlich Iris Omari Ansong als weiß gekleidete singende Gottheit ihr (kleines) Licht in die Welt setzt, ehe es einem der Tänzer in einer bewusst ironisch anmutenden Klavierzeremonie in den Anus geschoben bekommt, ist die Welt eine andere:
Den Abschluss des Abends bildet ein wilder Rave der fünf Performer:innen, ehe sich das Erlebte, einem Traum gleich, wieder im Nebel verabschiedet und einer der Tänzer kauernd allein auf der Bühne bleibt, während Ansong das letzte Lied anstimmt.
Silent Lovers ist einer dieser choreografischen Glücksmomente, in denen biografische und gesellschaftliche Brennpunktthemen so hart aufeinander treffen, dass es weh tut – bei Bonamore als lustvoll klar formulierte Choreografie betäubend verletzlicher Sehnsuchtsorte.

Luca Bonamore: Silent Lovers; Uraufführung,4.8. 2024 im Rahmen von ImPulsTanz/[8:tension], Schauspielhaus, Weitere Vorstellungen:  5., 6. und 11.8.2024
Konzept und Choreografie: Luca Bonamore
Performance: Iris Omari Ansong, Luca Bonamore, Theo Emil Krausz, Simeon Ohlsen, Michael Voit
Musik: Simeon Ohlsen; Licht: Leo Kuraitė; Sound: Theo Emil Krausz; white costume: Julian Simon Schock; Dramaturgie: Francesca Ferrari
Foto: © Atila Vadoc