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Saskia Höbling / DANS.KIAS: Da-nach, Semperdepot

"DA-NACH": Verstörend und realistisch

Im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste fand am vergangen Samstag die Uraufführung der neuen Produktion des 1995 von Saskia Hölbling gegründeten Ensembles DANS.KIAS statt. "Da-nach", so der Titel der neuen Produktion, bei der Hölbling für Regie und Choreografie verantwortlich zeichnet und der renommierte österreichische Komponist Wolfgang Mitterer die Musik liefert, erzählt eine Geschichte, die mehr ist als nur eine historische Momentaufnahme.

Das ist ungewöhnlich für die Arbeiten der Wiener Choreografin, die in den vergangenen 20 Jahren mit ihrer Companie über 30 Stücke produziert hat und sich in den letzten Jahren vor allem mit verschiedenen Möglichkeiten der Begegnung humaner wie nicht-humaner Körper-Wesen beschäftigte, etwa zuletzt in assemblage humain (2015), corps à corps (2016), corps suspendus (2017) und Things 2018. Eine Geschichte, die so real wie verstörend ist und das Publikum vor die Tatsache stellt, dass Vertreibung und Flucht, aus welchen Gründen auch immer, auch im zeitgenössischen Tanz „angekommen“ sind.

Was von der Welt übrigblieb

Zu Beginn des Stückes steht freilich noch das Objekt im Fokus. Eine Art metallene Installation der österreichischen Bühnen- und Kostümbildnerin Gudrun Lenk-Wane, die wie verloren inmitten der langgestreckten Säulenhalle des ehemaligen Semperdepots steht. Da und dort im Raum verschiedene Objekte, wie die Menschen selbst ein „Überbleibsel einer vergangenen Zeit“, nennt es das Begleitheft, eine unheimliche Ruhe. Wenn die drei Performer*innen, die im Zentrum des ersten Teils der Arbeit stehen, auf ein sirenenartiges Alarmzeichen hin auf die Bühne laufen, nimmt jede*r von ihnen etwas mit auf das unförmige „tote“ Wesen aus Aluminium, Plastik, Seilen und Klebebändern, das bald schon als Mittel zur Flucht deutlich erkennbar wird: einen Stuhl, einen alten Autoreifen, eine schwarze Box aus Kunststoff. Im selben Boot (Anna Hein, Ardan Hussain). Meeresrauschen, Vogelgeschrei, das Knarren der scharfen Planken begleiten die drei Flüchtenden, während sie beginnen, ihren neuen Lebensraum zu inspizieren und sich auf dem unbekannten Rettungsfloß auf ihrer Reise ins Ungewisse einzurichten. Die drei Tänzer*innen treten dabei in Kontakt mit den Dingen, die sie umgeben, ob als Gefahr oder als rettende Möglichkeit, nicht jedoch miteinander. Es wirkt fast, als wären sie jede*r alleine auf ihrem/seinem Floß oder als scheuten sie sich davor, dem/der andere*n hier trotz aller Beengtheit zu begegnen. Während sie sich an ihre neue „Lebenswelt“ gewöhnen, blicken sie konsequent, obwohl auf engstem Raum und in steter Gefahr des Absturzes, der wohl ihren Tod bedeuten mag, aneinander vorbei. Ob sie einander schon vor ihrer Flucht begegnet sind oder einander kennen, lässt die Inszenierung offen. Die drei sitzen „im selben Boot“ und erzählen dennoch, so eine der möglichen Interpretationen an diesem zugleich dramaturgisch geschlossenen und doch immer wieder assoziationsoffenen dichten 50-minütigen Tanzabend, je andere Geschichten über ihren Aufbruch und ihr Ankommen an diesem Ort. "DA-NACH": Suche nach Halt und Schutz.Sie suchen nach Halt, nach Schutz, klammern sich an das metallene Wesen, das ihnen ein Leben „danach“ verspricht und sie dabei konsequent von sich zu weisen sucht, nie jedoch aneinander. Erst als einer der beiden Männer durch einen „Unfall“ in Gefahr gerät, beginnen die drei Tänzer*innen, einander bewusst wahrzunehmen. Die Choreografie ändert sich dabei deutlich, und das „Boot“ verändert sich vom performativen Partner zum Bühnenraum. Leichte, fast zufällige Berührungen, ein Be-Greifen des/der anderen, vielleicht auch ein Wiedererkennen, ja, ein Verzeihen, wenn noch nicht unbedingt Verstehen stehen im Mittelpunkt des zweiten Teils von Hölblings Choreografie. Berührungen, die den/die anderen zu einem Teil des fremden Ortes und damit zu erkundendes fremdes Wesen werden lassen.

Das Eindringen der „Neuen“

Als eine vierte Person auftaucht – auch sie auf der Flucht, auf einem kleinen, lebensgefährlich fragilen eigenen „Floß“ – zwei leere durchsichtige Plastiksäcke und ein Metallrohr –, und von einem der Tänzer „gerettet“ und auf das Boot zu den anderen geholt wird, verändert sich die Situation erneut, entwickeln sich zwei nahezu klassische Duette zwischen den beiden Männern und Frauen; zwei „Paare“ entstehen. Auch ein Kind wird aus dem Treibgut gerettet (Oskar Mitterer, Ensemble).Hier ein Paar, das sich behutsam annähert, dort der Ausbruch eines Konflikts, der schon lange, ja, wohl auch vor der an diesem Abend erzählten Geschehnisse zu schwelen begonnen haben mag. Um was es geht, bleibt offen. Mehr und mehr verlieren die vier Tänzer*innen den Bezug zum Ort ihrer „Rettung“ und sind mit sich, ihren Beziehungen, ob entstehend oder zu Ende gehend, beschäftigt, wird die konkrete körperliche Bedrohung durch die Fragilität des Rettungsbootes auch zu einer emotionalen Bedrohung zwischen Akzeptanz, Abhängigkeit und Abstoßung.

In dem Moment, in dem die zwischenmenschlichen Beziehungen, ob Liebe, Hass, Begehren oder Angst, in den Vordergrund zu treten beginnen, lässt Mitterer zum ersten Mal deutlich menschliche Stimmen auf der den Abend nahezu bruchlos begleitenden Soundebene einspielen. Der Dialog mit dem Meer wechselt sich ab mit einem Dialog zwischen den Menschen, als sich das Meer plötzlich wieder als mächtiger Gegenspieler ins Spiel bringt und den vier Protagonist*innen nur zu deutlich seine Macht vor Augen führt. „Das Boot ist voll“, mag einer der allzu schnell in den Kopf schießenden Gedanken sein, wenn sich Männer und Frauen in den kleinen schwarzen Plastikbottich zwängen und das Schiff verlassen. Die „Neue“ bleibt schließlich zurück, die drei anderen reichen ihre Arme in Richtung Publikum und „retten“ erneut einen Menschen, ein Kind.

Das gerettete Kind ändert die Atmosphäre (Oskar Mitterer, Enemble).In dem Moment, in dem das Kind als fünftes Wesen den Schiffskorpus „betritt“ und so etwas wie eine kommende Gemeinschaft zu entstehen scheint, lässt Hölbling das rettende Wesen, ob Floß, Boot, Schiff oder einfach nur auf dem Meer schwimmendes posthumanes Ungetüm, langsam in seine einzelnen Teile zerfallen. Und so muss damit auch wieder die für einen Moment entstandene Gruppe. Schiffsteile wie Menschen driften in unterschiedlichen Variationen auseinander, lassen kontinuierlich neue Landschaften entstehen, die im Laufe der vorhergehenden Episoden entstandenen Beziehungen lösen sich wieder auf – und damit auch die vermeintlich erzählte Geschichte von Begegnung und Zusammenhalt.

„Dass wir nicht genau wissen, was „zerstören“ bedeutet“*)

So stark diese Sequenz auch ist: Hölbling lässt es am Ende damit nicht damit bewenden und vereint die fünf Protagonist*innen von Da-nach in einem finalen Bild in der schwarzen Kunststoffbox. Ob als versöhnliche Geste, die davon erzählt, dass wir uns auch in einer sich auflösenden Weltengemeinschaft dafür entscheiden können, niemanden „zurückzulassen“, ob als dystopische Vision einer bis zum bitteren Ende immer gefährdeter werdenden Gemeinschaft, bleibt offen. Der letzte Moment zeigt fünf Menschen auf engstem Raum mit dem Blick „hinaus“, während sich die fragmentierten Teile des rettenden Floßes in ihrem Rücken langsam im Rauschen des Meeres verlieren.Das Boot zerfällt, das Ufer ist in Sicht.

Mit Da-nach ist Hölbling und ihrem durchwegs hervorragenden Ensemble eine starke und stets zwischen endzeitlicher Dystopie und (noch) möglicher Versöhnlichkeit balancierende choreografische Erzählung gelungen, deren Schwäche für manche*n wohl daran liegen mag, dass alles zu sehr auserzählt, das Geschehen vor allem durch die durchkomponierte und pausenlos kommentierende, auch manipulierende Musikebene hermeneutisch eingeengt und damit seiner möglichen Vielschichtigkeit beraubt wird. Vor allem sind es demgegenüber Lenk-Wanes starkes, autonomes Bühnenobjekt und die performative Eigenständigkeit der Tänzer*innen, die jene interpretatorische Offenheit bis zuletzt aufrechterhalten, die der Produktion gut tut und nicht zu sehr zu einem erzählerisch eindimensionalen Tanztheaterabend werden lassen und – bei aller emotionalen Dichte der erzählten Geschichte – noch Raum für eigene Sichtweisen erlauben.

*) Aus einem Zitat von Jean-Luc Nancy im Begleitheft zu Da-nach.

DANS.KIAS/Saskia Hölbling: da-nach. Regie, Choreografie: Saskia Hölbling; Tanz, Choreografie: Anna Hein, Ardan Hussain, Jan Jakubal, Leonie Wahl und Oskar Mitterer; Musik, Komposition: Wolfgang Mitterer; Bühne, Kostüm: Gudrun Lenk-Wane; Licht: Reto Schubige
Uraufführung: 1. März 2019, weitere Vorstellung bis 6. März 2019, Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste (Semperdepot).
Fotos: © Anna Stöcher