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Miet Warlop: „Mystery Magnet“, Tanzquartier

"Mystery Magnet": Surrealistische Bilder. © Jose Caldera

Die belgische Künstlerin zaubert mit „Mystery Magnet“ eine bunte, rätselhafte Show auf die Bühne. Am 15. Februar war das aufwändige Werk, das 2012 in Brüssel uraufgeführt und seitdem mehr als hundert Mal in aller Welt gezeigt worden ist, im Tanzquartier zu sehen. Eine Arbeit, die alle Grenzen sprengt, sich nicht einordnen lässt und genau deshalb begeistert.

Eine dicke Frau sitzt vor einer weißen Wand auf der leeren Bühne und wartet, was kommen wird. Das Publikum wartet auch, während die dicke Frau gelangweilt Luftwürste aufbläst und zu Tieren formt. Prinzessin in goldener Robe: männlich oder weiblich? Alle Fotos: © Jose CalderaKomische Figuren, Aliens vielleicht, mit farbigen Köpfen aus Wolle tauchen auf, verschwinden wieder, ein Teenager im Cocktailkleid, stöckelt in viel zu großen High Heels herum und klammert sich an einen Luftballon fest, drei Hosen stelzen auf die Bühne, stehen stumm da, spritzen ein wenig Farbe aus dem Rücken. Die dicke Frau kurvt in einem Elektroauto herum, fährt die Figuren fast über den Haufen, die quietschen mit den Schuhen, das Auto quietscht mit den Rädern, schießt Feuerstöße und farbigen Rauch aus dem Auspuff.

Die Show ist im vollen Gang.

Was in den kommenden 40 Minuten passiert, ist so bunt, so wild, so aufregend und komisch, so schön und auch ein wenig unappetitlich, dass eine Beschreibung diesem mysteriösen Magnet nicht gerecht werden kann. Ein Flamingo, ein Alien, der Mensch 5000? Mysteriös und magnetisch!

Ein Zentaur ist da, der jetzt diese Lackschuhe mit den Bleistiftabsätzen trägt, sich aufrichtet, damit die Prinzessin im goldenen Kleid darauf reiten kann. Aus allen Öffnungen und auch aus Stellen, wo keine sind, spritzt Farbe, manchmal so rot wie Blut, wenn die dicke Frau niedergewalzt worden ist, bald ist die weiße Wand besprüht, der Boden blau und gelb, grün und schwarz. Objekte scheinen sich von selbst zu bewegen, die Wesen vom anderen Stern verwandeln sich ständig, sind Mensch (ohne Kopf und Gesicht) oder Tier, gelber Rauch, grüner Nebel, die längst nicht mehr weiße Wand öffnet sich, gibt die Hinterbühne frei, wo sich die Performer*innen, die gerade nicht vorne agieren, auf den nächsten Auftritt vorbreiten. Nichts ist, wie es scheint, alles explodiert, löst sich in Rauch auf, die Wand wird durchbrochen, die dicke Frau versucht, durch eines der Löcher durchzukriechen und bleibt hängen, hängt in der Wand, den Ballon ihre Hinterteils dem Publikum zugekehrt, bis zum überraschenden Ende.

Das hindert die Wesen mit den bunten Wollköpfen nicht daran, ihr sonderbares Tun fortzusetzen. Die Wand ist geöffnet, die Rückseite des Traumes wird sichtbar. Sie sind alle nicht gerade freundlich zueinander, hantieren mit dem Elektrobohrer, eines der Geschöpfe wird an die Wand getuckert, der Bauch wird ihm aufgeschnitten, es kommt nur Wolle heraus, rot wie Blut. Noch ein halbes Pferd erscheint, dann wird Farbe in allen Schattierungen erbrochen, in Laborflaschen explodiert ein chemisches Gemisch, schießt bunte Kunststofffetzen in Luft, blubbert unaufhörlich vor sich hin. Ein Hai fliegt als Zeppelin über die Köpfe des Publikums. Die Wand ist inzwischen total zerstört, die dicke Frau endlich befreit Sieben weiße Torsos werden auf einem Podest nach vorn gerollt, die Köpfe sind aufblasbare Hauben, die im Takt nicken können.

Musik wird sparsam eingesetzt, einmal tanzt die dicke Frau selbstvergessen zu einem Hit, den man vor 50 Jahren „Lamurhatscher“ genannt hätte, anfangs klopfen dumpfe Trommelschläge, und zum Ende, denn dieses ist erreicht, bekommen die Torsos ihren Klangraum. Die sonderbaren Wesen stecken krachend ihre Wollköpfe durch die Mauer.

Als surrealistische Bilderflut, als Traum im Drogenrausch erscheint mir diese präzise choreografierte Arbeit. Die sich wandelnden Figuren könnten einem Gemälde von Max Ernst entstiegen sein, und vielleicht ist der Hund, der gestreichelt wird, obwohl er kein Hund ist, sondern nur das Bild von einem Hund, ein andalusischer. Auch Jeff Koons muss an dem perfiden aus Tarnen und Täuschen bestehenden Konzept beteiligt sein, so bunt und glänzend, humorvoll und ein wenig kindisch wie es ist.

Miet Warlop hat in Gent Multimedia Kunst studiert und bewegt sich in ihren Arbeiten zwischen Performance und Installation.

Miet Warlop, Künstlerin aus Belgien zeigt "Mystery Magnet".Mit „Mystery Magnet“ zeigt sie eine perfekt gearbeitete Choreografie, die trotz des reichlichen Gebrauchs von Farbpistolen und -dosen, trotz der Nebelschwaden, verschossenen Dartpfeile und des ungeheuren Materialverschleißes niemals in Banalität abrutscht und das Publikum nicht belästigt, sondern staunen lässt und unterhält.

Am Ende verbeugen sich die sechs Performer*innen samt Warlop, die auch auf der Bühne war. Die dicke Frau ist verschwunden, im Kostüm ist ein Mann gesteckt. Alle machen sich an die Metaperformance des Aufräumens und Putzens.

Keine Belehrung und Indoktrinierung, ich darf mir meine eigenen Gedanken machen, Sinn suchen oder mich nur unerhalten. Gestärkt und belebt durch die fantastischen Bilder aus dem surrealistischen Traum gehe ich in die Nacht. Der Wind putzt die letzten seidigen Fäden vom Mantel.

Miet Warlop: „Mystery Magnet“, Konzept, Performance: Wietse Tanghe, Sofie Durnez, Kristof Coenen, Miet Warlop, Christina Bakalov, Laura Vanborn Ia Gyselinck. Musik von Stefaan Van Leuven, Stephan De Waele. Technik: Pie De Poortere, Bart Van Belleghem. 15. Februar 2019, Tanzquartier.
2. Vorstellung am 16. Februar.