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Ian Kaler / Cullbergbaletten: „On the Cusp”

Jam Rostron (Planningtorock) mit Ian Kaler. © Nadja Hallstroem

Der österreichische Tänzer und Choreograf Ian Kaler hat mit dem schwedischen Cullbergballett eine verspielte, dynamische Performance entwickelt. „On the Cusp / Am Punkt“ besticht vor allem durch die Komposition von Planningtorock (Jam Rostron), mit der die 15 jungen Tänzer*innen ihre Bewegungen improvisierend synchronisieren.

Schnurspringen zum Aufwärmen. In der langen Eröffnungspassage, bei der die roten Springschnüre peitschend die Luft durchschneiden, ist eine Ouvertüre, in der das Konzept Kalers und der Tänzer*innen schon enthalten ist: Kinderspiele und Akrobatik, jede(r) für sich und alle gemeinsam. Cullbergbaletten im orangefarbenen Licht vor der Kletterwand. Alle Bilder © Cullbergbaletten / Tanzquartier.Die Musik, wenige Takte in einer endlosen Schleife aufgenommen, passt sich jeder der einzelnen Szenen an, die Tänzer*innen, als Solist*innen, im Pas de deux oder trois, halten den Takt, passen sich den Tonfolgen an, bestechen durch Energie und Musikalität.

Die Bühne ist zweigeteilt. Rechts eine Art Tanzplatz, links eine Kletterwand in grau und orange, die nur einen schmalen Steg zum Bühnenrand freigibt. Grau und orange ist auch das unhandliche Programmplakat, dabei haben die Schwed*innen nicht beachtet, dass gleißendes Orange auf grauem Untergrund nicht zu lesen ist. Da muss der übliche Programmzettel des Tanzquartier aushelfen. Porträts der einzelnen Mitwirkenden und der Gruppe sollen das Thema sein: „Jede Tänzerin, jeder Tänzer hat seine eigene Geschichte, verbunden sind sie zur Company.“ Gedränge an der Mauer. Wer ist zuerst on the cusp?So erklären sich auch die vom Regen oder von aus der Dusche stürzendem Wasser überströmten Gesichter, die auf dem auf hohe Stelzen im rechten Hintergrund montierten Bildschirm erscheinen. Überflüssig, will man den Tänze*innen / Turner*innen folgen, kann man nicht zugleich auf die Bildwand schauen.
Individualität zeigen die Performer*innen auch durch ihre unterschiedliche Kostümierung. Eine zierliche Tennisspielerin im weißen Faltenröckchen ist ebenso dabei, wie eine ein grelles Orange gehüllte Tänzerin, Reithosen, Shorts, dunkle Leotards und helle Breeches sind zu sehen. Jede(r) darf sich nach eigenem Geschmack definieren.

Klettern in grüner Hölle. Gegen Ende wird eine kleine Geschichte erzählt, ein Kind geht durch eine Tür ins Dunkel. Man hört Kinderlachen, sieht Kindergesichter, im Finale tritt die kleine Figur wieder aus der Tür. Die Tänzer*innen sind hinter der Kletterwand verschwunden. 

Davor aber benutzen sie diese ausgiebig, erobern sie in Zeitlupe, einander behindernd und stützend, springen nach hinten, scheinbar Leere, rutschen daran hinunter, ballen sich davor zu einem Knäuel, umarmen, necken, bekämpfen einander spielerisch. Mitunter stößt eine(r) einen Jauchzer aus, vergnügt rutschen sie über den glatten grauen Bühnenboden, üben Schattenboxen, hüpfen im Ringelreihen. Die allerletzte Szene kann man nur in den vorderen Reihen genießen: Langsam führen die 15 minimale Bewegungen aus, schnippen mit den Fingern, verziehen im Takt die Miene, neigen ein wenig den Kopf, schütteln die Haare – so vorhanden. Mit dem letzten Takt ist die Bühne leer.

Solo auf dem Tanzplatz.Eine Compagnie von 15 großartigen Tänzer*innen / Performer*innen ist selten in der Halle des Tanzquartier zu sehen, das Cullbergballett war, soviel ich weiß, noch niemals in Wien. Die 50 Jahre sieht man der Truppe, die von Birgit Cullberg (1908–1999) gegründet und später von ihrem Sohn Mats Ek weitergeführt worden ist, nicht an. Heute wird die Company von Gabriel Smeets und Stina Dahlström geführt und besteht zurzeit aus 16 Tänzer*innen aus nahezu ebenso vielen Ländern, die aufgrund ihrer individuellen Qualität ausgesucht werden. Zum Prinzip des Cullbergbaletten gehört es auch, junge Choreograf*innen und Regisseur*innen des zeitgenössischen Bereichs der darstellenden Kunst einzuladen, mit den Tänzer*innen eine Aufführung zu entwickeln. 

So richtig scheint das Stück, das Kaler mit der Company entwickelt hat, nicht fertig zu sein. Anlauf für die lustige Rutschpartie.Es bleibt an der Oberfläche hängen, dass es um das schon etwas abgenutzte Thema, Individuum versus Gruppe, oder die Frage, wie fügt sich die / der Einzelne in eine Gruppe?, geht, ist schnell zu erkennen, doch wenn ich diesen Prozess, der sich auch umgekehrt lesen lässt – wie behauptet sich das Individuum in der Gruppe, wie entgeht es dem Gruppenzwang? –, aufmerksam beobachten will, stören die Bilder auf der Videowand. Die so beliebte Vermischung der Medien zersplittert nur die Aufmerksamkeit eines Publikums und hilft dem Tanz in keiner Weise. Von den 75 Minuten, die die Show dauert, könnte Kaler gut 15 streichen, die einzelnen Takes sind viel zu lang und werden daher auch langweilig. Die Begegnung mit einer in Wien nicht beheimatet Company ist jedoch in jedem Fall eine Bereicherung der heimischen Szene, die auch durch die Einladung Ian Kalers nach Stockholm eine Aufwertung erhält.

Ian Kaler / Cullbergbaletten: „On the Cusp”, Choreografie und Regie: Ian Kaler; Musik: Planningtorock, Bühne: Stephanie Rauch, Licht, Kamera, Schnitt: Imogen Heath, Kostüme: Stéphane Peeps / FAAM Studio. Uraufführung: 10. Jänner 2019, Tanzquartier.
Zwei weitere Abende am 11. Und 12. Jänner 2019.