Willi Dorner „one“ und „many“ im Tanzquartier
Zwei in Einem. Nämlich zwei Choreografien von Willi Dorner an einem Abend im Tanzquartier. Am 16. November präsentierte der seit mehr als 20 Jahren von Wien aus international und auch interdisziplinär erfolgreich arbeitende Künstler das 2016 beim ImPulsTanz Festival als „work in progress“ gezeigte Duett „one“ in den Studios und kurz danach in der Halle G die ebenfalls im Duo im Rahmen von ImPulsTanz '18 aufgeführte Arbeit „many“, im Sommer 2018 noch mit der Beifügung „Arbeitstitel“ versehen. Zwei intelligente, die Zuseher*innen fordernde Choreografien, weit entfernt vom allgemeinen seichten Strom der Performance.
Zuerst ein Spiel mit Worten, danach ein Spiel mit Bildern. In „one“ beschäftigt sich Dorner mit den Einwortgedichten des 2010 verstorbenen Künstlers Heinz Gappmayr, einem Vertreter der konkreten Poesie. Wörter, Buchstabenfolgen sind Teil der Choreografie, sie werden aufgeschrieben, zerlegt, verschoben, neu zusammengefügt, in Bewegung versetzt und mit den Bewegungen einer Tänzerin und eines Tänzers verbunden. Esther Steinkogler und Christopher Owen, schreiben, streichen, löschen, die Kamera wirft die synchron und oft im Takt der Musik ausgeführten Bewegungen live auf die Videowand. Was horizontal und dreidimensional geschieht, sieht das Publikum auch vertikal und zweidimensional. Bewegen sich Tänzerin und Tänzer im schriftlichen Dialog auf dem Tisch, der als Schreibtafel dient, sehen sie die Zuschauerinnen zugleich im gekippten Bild an der Wand hochklettern. Um beide Bidler, das wirkiche und das abgebildete, gleichzeitg zu sehen muss man wie bei einem Tennismatch dauernd den Kopf drehen und wenden. Steinkogler und Owen arbeiten an der Seite der Bühne, die Kamera schwebt über dem Arbeitstisch.
Die Choreografie ist präzise und mit Humor konzipiert. Steingkogler und Owen sind ein seit der Uraufführung bestens eingespieltes Team, das den Tanz der scheibenden und löschenden Arme virtuos und rasant aufführt. Sprache wird Körper, Körper sprechen, wir verstehen, was wir verstehen wollen, jede(r) womöglich etwas anderes.
Mit „many“ führt Dorner das Spiel zwischen Zeichen und Körpern weiter, lässt die Live-Kamera die Choreografie anhalten oder zurückspulen, sodass die bewegten Körper der Tänzerinnen (wieder Steinkogler und Britt Kamper) mit denen auf dem Bildschirm nicht mehr synchron sind. Diesmal sitzt das Publikum frontal, kann die Körper aus Fleisch und Blut (und Wasser) und die Bilder davon, teils eingefroren, teil vervielfacht, gleichzeitig sehen. Wieder sind es vor allem die Arme und Hände, die tanzen, doch es sind Körper, die in der realen Welt nicht mehr bedeutend sind, wichtig ist, dass sie im Netz erscheinen, sich selbst immer wieder reproduzieren, um sich ihrer Präsenz zu versichern. Virtualität und Realität verschwimmen. Die Tänzerinnen halten sich fremde Gesichter, auf Papier gemalt, vor ihr Gesicht, verwerfen sie alle, bis endlich das eigene Gesicht wieder sichtbar wird. Reales Morphing, statt eines filmischen Tricks. Die Verdopplung und Verdopplung der Verdopplung wird so lang vorangetrieben, bis gesichtslose Figuren, Roboter mit einem grünen Quadrat statt eines Kopfes in unendlich scheinenden Reihen über die Videowand marschieren.
Das Ende ist wieder der Anfang oder der Anfang war bereits das Ende? Jedenfalls halt die Tänzerinnen anfangs ein Plakat, auf dem, wie im Film, „The End“ steht. Dann reißen sie ein Loch in das Papier, grinsen samt den beiden Technikern mit dem bekannten Cheese-Lächeln aus dem Rahmen. Am tatsächlichen Ende ist nur noch dieses Grinse-Bild vorhanden. Körperlos und unwirklich.
Man könnte natürlich sagen, das Thema „Wir alle verschwinden in der digitalen Welt“ ist reichlich ausgereizt, längst bis ins Jugend- und Kindertheater vorgedrungen. Doch nie noch ist es so plastisch und ideenreich, mit soviel optischer Feinarbeit und, das darf auch gesagt werden, mit soviel Unterhaltungswert, dargestellt worden. Dorner bewertet nicht, droht nicht, mahnt nicht, manipuliert nicht. Er zeigt eine durchdachte Choreografie, in der technische und filmische Möglichkeiten eine wesentliche Rolle spielen und den Zuschauer*innen reichlich Gelegenheit gegeben wird, eigene Gedanken zu entwickeln.
Als (zum zweiten Mal) „The End“ (diesmal) auf der Wand erscheint, bin ich einen Moment empört: „Nach einer halben Stunde hat er schon genug?“ Hat er nicht! Die Choreografie hat ungefähr eine Stunde gedauert. Wie vorgesehen. Dass diese mir verging wie 30 Minuten, ist höchstes Lob.
Cie. Willi Dorner: Konzept und Choreografie: Willi Dorner. Zwei Stücke an einem Abend, 16. November 2018, Tanzquartier.
„one“: Mit Esther Steinkogler und Christopher Owen. Bühnenbild: Eric Klaerig; Video: Adnan Popović; Musik, Sound: Dieter Kovačić; Klangregie: Paul Ebhart; Produktion: Roma Janus; Technische Leitung: Alexander Wanko.
„many“: Mit Britt Kamper und Esther Steinkogler. Video: Adnan Popović; Musik, Sound: Florian Knet; Kostüme, Requisite: Emanuela Panucci; Klangregie: Paul Ebhart; Produktion: Roma Janus; Technische Leitung: Alexander Wanko.
Weiterer Doppelabend am 17.11.2018.
Fotos: Lisa Rastl