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Gaudiopolis – performativer Museumsrundgang

Die Darsteller erzählen, wie es war. © Daniel Wolf

Der evangelische Pastor Gábor Sztehlo (1909–1974) ist der Mittelpunkt einer Performance, die eine wahre Geschichte erzählt. Unter der Leitung von Tanja Witzmann hat ihr Team (Verein Auf Grund) und der dritte Jahrgang des diverCITYLAB mit „Gaudiopolis“ die Budapester Kinderrepublik wieder erstehen lassen. Die neun jugendlichen Darsteller*innen schlüpfen in die Haut von Zeitzeug*innen und nützen die Räume und den Hof des Volkskundemuseums in Wien, um zu berichten, was damals geschehen ist. Die Uraufführung der ambulanten Performance war durch die Anwesenheit von Mitwirkenden von Gaudiopolis, die teils lachend, teils mit Tränen in den Augen ihre eigene Geschichte neu erlebt haben, intensiv und berührend.

Gábor Sztehlo, Gábor Bácsi für die Kinder, hat während der Besetzung Ungarns durch die Nationalsozialisten an die 2000 Juden gerettet und sich auch um verlassene Kinder gekümmert. Er betreute ausgesetzte, verhungernde, verwaiste Kinder auch nach dem Krieg, bis die kommunistische Regierung 1950 seine Waisenhaussiedlung verstaatlichte.

Gábor Bacsi, seine Frau und die Kinder, in wechsender Besetzung dargestellt vom Team diverCITYLAB. © Daniel Wolf Witzmann (Verein Auf Grund) und ihr Team haben die Zeitzeug*innen in Israel und Ungarn befragt und die sehr persönlichen Erzählungen gemeinsam mit Thomas Perle und diverCITYLAB zu einem Theatertext verarbeitet. Die Darsteller*innen treten anfangs abwechselnd als Kinder und als Betreuerehepaar Sztehlo auf. Nach dem ersten, allgemein einführenden Teil, übernehmen die Mitwirkenden bestimmte Rollen und berichten unsentimental von den Erlebnissen und dem Leben im und nach dem Krieg im Heim. Mit natürlichem Engagement sprechen sie die Texte in Alltagssprache und erzählen traurige und fröhliche Geschichten und  all das, woran sich die in den 1930jahren Geborenen erinnern. Sie könnten die Urgroßeltern der jungen Darsteller*innen sein, erzähen gerne von der Geborgenheit und den fröhlichen Stunden im Kinderheim und lassen es auch an Humor nicht mangeln. Nach Alter und Geschlecht aufgeteilt, wohnten die Kinder in verschiedenen Villen. © Daniel Wolf Von Gábor Bácsi haben sie gelernt, selbst Verantwortung zu übernehmen. Entstanden ist eine authentische, lebensnahe Performance, bei der ich, in die Zeit der Nachkriegsjahre zurückversetzt, mitunter vergesse, dass ich einem Schauspiel zusehe. Ich sehe nicht die Darsteller*innen sondern die wieder ganz jungen Zeug*innen, Kati und Nora, David, den Burgenländer und Viktoria, die mit ihren Geschwistern ins Kinderheim kam, weil die verwitwete Mutter arbeiten musste und Greta, eine Wienerin, deren Familie 1938 nach Ungarn geflüchtet ist, die von Sztehlo "gerettet" worden ist, und erst 1956 während des Volksaufstands in ihre alte Heimat zurückkehren konnte. Schließlich amüsiere ich mich auch über Andor und Laszlo, die viel Unsinn im Kopf gehabt haben und immer im Wettstreit waren, wer auf dem Fußballfeld mehr Tore schießt.

Der performative Rundgang durch das Museum ist für Kinder und Jugendliche ab 12 konzipiert, die in geringen DosenAlle Kinder verehren Gabór Bacsi. © Daniel Wolf auch einiges über die Verfolgung und Ermordung der Juden in der Nazizeit erfahren. Es wird erzählt, gespielt, gesungen, unterstützt durch eine feine Soundinstallation. Das Spiel endet in fröhlichem Tohuwabohu: Die Kinderrepublik ist gegründet, Wahlreden werden gehalten, die Posten müssen vergeben werden. Auch das Publikum darf sich an der Wahl beteiligen. Der Applaus, nachdem die Ministerinnen und Minister gekürt sind, macht auch die Verlierer*innen glücklich.

„Gaudiopolis – Stadt der Freude“, Auf Grund & diverCITYLAB & Dschungel Wien. Konzept & Leitung: Tanja Witzmann; Text: diverCITYLAB, Tanja Witzmann, Thomas Perle; Recherche & Übersetzung: Luca Pályi; Ausstattung: Renate Vogg, Sarah Sternat; Musik: Imre Bozoki-Lichtenberger. Produktionsleitung. Anna Schober, Catrin Strasser.
Darsteller*innen: Ahmet Ağgün, Duygu Arslan, Barča Baxant, Kira Fasbender, Sayyed Javid Hakim, Christina Lindauer, Onur Poyraz, Isabella-Nora Händler, Melike Yagiz. Premiere: 11.6.2018. Gespielt wird bis 22.6. im Volkskundemuseum Wien.