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Gisèle Vienne: „Crowd“, Festwochen, Gösserhallen

Tanzen in der Menge und doch allein. © Estelle Hanania

Die französische Choreografin Gisèle Vienne zeigt bei den Wiener Festwochen in der großen Gösserhalle eine Technoparty als Tanzstück. Sie möchte mit „Crowd / Menge“ individuelle und kollektive Emotionen studieren und auch auf das Publikum übertragen. Wesentlicher Bestandteil der Vorstellung mit 15 Tänzer*innen ist die Musik. Techno aus den 1990ern, ausgewählt und gemixt hat sie Peter Rehberg, Stephen O’Malley hat die Nummern kombiniert. Vor allem das junge Publikum folgte wie in Trance der 100 Minuten langen Performance und bedankte sich begeistert.

Die Tanzbewegungen werden zerhackt und zergliedert, als würden eine Reihe von stehenden Filmbildern zu sehen sein. Alle Bilder © Estelle HananiaDer Rave (Englisch für rasen, schwärmen, toben, fantasieren) ist schon voll im Gang, doch zur Zeit sind die Gäste draußen, schnappen nach Luft, rauchen, trinken. Der Saal ist leer, nur die Artefakte einer Party liegen umher, leere Getränkedosen. Kleiderfetzen, Abfall. Langsam trudeln die Teilnehmer wieder ein, torkelnd teilweise, schon zugedröhnt beginnen sie zu tanzen, allein, zu zweit oder eng zusammengedrängt in der Gruppe. Manche scheuen die Berührung, andere suchen sie, schmiegen sich aneinander, erstarren zwischendurch, stehen als steinerne Skulpturen, ohne sich zu bewegen, dann geben sie sich wieder dem hämmernden Beat hin. Einer wird schlecht, sie fällt um, der Freund, oder vielleicht irgendjemand, kümmert sich um sie, hebt sie auf, wartet, bis sie wieder bei sich ist. Zwei Männer ziehen sich in den Hintergrund zurück, um Zärtlichkeiten auszutauschen. Die Frauen tanzen lieber für sich. Manche macht die Ekstase, das  rhythmische Bewegen aggressiv, ein Streit liegt in der Luft. Wasserflaschen fliegen, Sandfontänen versprühen Dreck. Doch die Müdigkeit der allmählich schlapp gewolden Raver*innen siegt, beruhigt und erschöpft fallen sie auf den roten Sandboden. Einmal noch erheben sie alle, tanzen ihren privaten Tanz, bis sie ebenso hinausschleichen, wie sie hereingewankt sind, in Zeitlupe mit müden Gliedern und glasigem Blick.Paare bilden sich, die Gruppe kuschelt sich zusammen, dann ist wieder jede(r) allein.

Eine Meisterleistung derTänzer*innen, die mit ungeheurer Präzision einen Bewegungsablauf ausführen, wie es sonst eigentlich nur im Film zu sehen ist mit Zeitlupe und Nahaufnahmen (im wechselnden weißen Licht werden einzelne Tänzer*innen oder bestimmte Gruppen hervorgehoben.) Die 15 Performer*innen zeigen nicht nur im Tanz hohes Können, sondern auch, dass sie eine Rolle spielen. Jede Gesten und die differenzierte Mimik erzählen eine Geschichte.

Müde und schlapp taumeln die Partygäste durch den Raum. Das macht auch Viennes Choreografie so interessant: die Aufhebung der Zeit. Die Bewegung sind kaum mit der Musik synchron, denn die Tänzer*innen bewegen sich in Slow Motion, zergliedern die Tanzbewegungen in einzelne Atome, das sieht aus, als tanzten sie im Stroboskoplicht. Ein Film aus stillstehenden Bildern läuft ab. Für den Prozess der Choreografie und der Arbeit mit den Tänzer*innen stellte Dennis Cooper einen unhörbaren Subtext zur Verfügung, der die Mitwirkenden auf der Bühne charakterisiert, ihnen eine Seele gibt, so dass jede(r) einzelne als Individuum auftritt und auch als solches wahrnehmbar ist. Choreografin Gisèle Vienne © Viedoausschnitt /ARTE

Die Musik ist laut, die große Gösserhalle dampft, nach einer Stunde hätte ich eigentlich genug gesehen. Na gut, ich schreibe einstweilen meinen Einkaufszettel für den nächsen Tag. Wie die Musik bewegen sich auch die Partygäste in Loops, fangen mit ihrem Singletanz immer wieder von neuem an, einsam bleiben auch die, die sich ineinander kuscheln. Eine Menge ist keine Gemeinschaft, auch wenn alle das gleiche Ziel haben – Besinnungslosigkeit. Noch dreißig Minuten.

Fasinierend ist Viennes Stück durch die präzise Choreografie und die  durch die Tänzer*innen perfekt ausgeführte Technik. Dafür hätten mir 60 Minuten genügt. Zugegeben, ich bin nicht das Zielpublikum. Dieses erwachte aus der Trance nur ungern und zeigte nach der Ankunft im Hier und Jetzt jubelnde Begeisterung.

Gisèle Vienne: Crowd“. Konzept, Choreografie, Bühne: Gisèle Vienne; Dramaturgie: Vienne, Dennis Cooper; Licht: Patrick Riou; Musik: Mix, Edits Playlis von Peter Rehberg; Sound Diffusion Supervisor Stephen O’Malley. 31. Mai 2018, Gösserhallen im Rahmen der Wiener Festwochen.
Weitere Vorstellngen: 1., 2. Juni 2018