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Spitzwegerich: „Welcome to the Insects“

Insekten und Ihre Schöpfer*innen auf der Bühne. © J.Haas

Schon mit ihrer ersten Produktion konnten die Mitglieder der jungen Gruppe „Spitzwegerich“ in vier Vorstellungen Publikum, Kritiker*innen und Fachleute begeistern. Mit zauberhaften Objekten – Insekten, Raupen, Larven, Puppen – konnten sie vor allem dem letzten Begriff im Untertitel, „Schock, Ekel und Faszinosum“ ihrer ebenso amüsanten wie wissenschaftlich korrekten Performance gerecht werden. Von Schock und Ekel keine Spur, das fröhliche Aha-Erlebnis hat das nicht zugelassen.

Im Dunkeln schwirrt und sirrt, fiept, schabt und raschelt es. Endlich entzündet die Forscherin (Birgit Kellner) und ihr Kollege (Christian Schlechter) die Stirnlampe, um in die gläsernen Brutkästen zu spähen, in denen die Entwicklungsstadien eines Insekts schlummern. Später werden wie die Imago, das ausgeschlüpfte, erwachsene Tier, einen schillernden Rosenkäfer sehen und hören, dass dieser, weil ja, wie alle diese wunderbare kriechende, krabbelnde, fliegende Fauna, handgefertigt ist, auch singen kann, fast wie Gloria Gaynor. Das ist bereits zur Nymphe (Larve) geworden, doch die Metamorphose ist noch lang nicht zu Ende. Alle Fotos © J. Haas

Allein die Kunst der Objektbauer*innen würde schon genügen, ohne Worte und outrierendes Spiel, um einen eindrucksvollen Puppen- oder Objekttheater-Abend zu gestalten. Die Texte, poetische und solche von Entomologen, das sind die Insektenkundler, ergänzen jedoch die Erbauung mit sanfter Belehrung. Insekten werden auch, aber das wussten wir alle schon aus dem Schulunterricht, auch Kerbtiere genannt, weil ihr Leib in Segmente geteilt, also eingekerbt ist. Das Insectum ist das Eingeschnittene. Insekten in allen Stadien werden auch, vor allem im asiatischen Raum, als Delikatesse verzehrt. Das Fantastische an diesen Tieren (übrigens die bunten Schmetterlinge gehören ebenfalls zur Klasse der Insekten) ist jedoch ihre Metamorphose, vom Ei über die Larve, Nymphe, Raupe zur Puppe und endlich, wenn der Sommer da ist, zur Imago, dem geschlechtsreifen Tier. Ein nahezu mythischer Vorgang.
Der Käfer umringt vom Enemble. Es hilft kein Gesang (Synchronstimme Christian Schlechter, rechts im Vordergrund), der Zappelfilipp wird seziert. Im Labor von Spitzwegerich wellt sich eine grün leuchtende, recht stachelige Raupe, hebt den Kopf auf kokette Weise, ist vielleicht giftig, aber allerliebst. Später wird das Tier in vergrößerter Form, also wie durch ein Vergrößerungsglas betrachtet, Hunger haben und sein riesiges Maul auf- und zuklappen.

Da klappe ich meine Ohren zu, vergesse den schönen Texte des begeisterten Insektenforschers und -liebhabers Jean Henri Fabre (1823–1915) und die überschriebenen Knittelverse von Goethes, will nur noch sehen, wie der Goldglänzende Rosenkäfer geboren wird, seine glitzernden Facettenaugen rollen, doch gemeinerweise vom Forscherduo auf den Rücken gelegt wird und mit allen sechs Beinchen zappelt. Dann darf er singen, vermutlich „I will survive“ – vergeblich. Da lässt er den Kopf hängen, streckt die Beinchen und wird zu Grabe getragen. Manfred Engelmayr, der in der ganzen Insektenstunde das flatternde, taumelnde, kriechende Getier musikalisch hörbar gemacht hat, intoniert den Trauermarsch. Schließlich muss auch der Theoretiker dem in Form einer riesigen fressgierigen Raupe heranschleichenden Tod weichen. Theorie und Poesie werden ratzeputz vom grünen Drachen verschlungen.
Der heftige Applaus ist da direkt unpassend, jedoch verdient. GoldglänzenderRosenkäfer, der lebnede, auf Nahrungssuche. © Chrumps / Wikimedia free licence

Eine „Wussten-Sie-Frage“ als P.S., das ist jetzt üblich, auch wenn man nicht im Loop einer Hotline gefangen ist. Also: Wussten Sie, dass die Raupen von den Ameisen massiert werden? Die Ameisen profitieren vom süßen Saft der Raupenhaut und die Raupe indem sie gepflegt und gehätschelt wird. Wenn die Ameisen über ihren Rücken kriechen, kommt das einer verdauungsanregenden Massage gleich. Symbiose im Insektenreich, Win-Win bei den Zweibeinern.

Spitzwegerich: „Welcome to the insects“, Konzept, Figuren, Ausstattung, Produktion: Spitzwegerich: Birgit Kellner & Christian Schlechter. Musik: Manfred Engelmayr; Texte gesprochen von Simon Dietersdorfer; Choreografie: Daniela-Katrin Strobl; Licht: Ines Wessely; Rat & Tat: Christoph Bochdansky. Gesehen am 26.5. 2018, Schuberttheater.
Die erste Vorstellungsserie ist leider schon zu Ende, doch im Herbst 2018 wollen die Insekten auf der Bühne für eine neue Serie wieder schwirren, summen und surren.