Balanchine | Neumeier | Robbins mit Rollendebüts
Für jeden etwas – Manuel Legris‘ gut funktionierende Devise für das bunte Menü eines mehrteiligen Ballettabends, welches auch den Besitzer*innen eines Opernabonnements serviert wird. Auch sie haben die im Abstand von Jahrzehnten im 20. Jahrhundert geschaffenen Ballette genossen. „Balanchine | Neumeier | Robbins“ ist ein Programm, das in dieser Zusammenstellung schon 2012 gefallen hat. In sechs Jahren hat sich in der Compagnie allerhand geändert, und so sind zahlreiche Rollendebüts, der Solisten und im Corps, zu vermelden.
George Balanchine macht den Anfang mit der Choreografie zu Igor Strawinskys Violinkonzert in D-Dur und darf auch gleich mit dem vierten Satz aus Peter Tschaikowskys Orchestersuite Nr. 3 in G-Dur fortsetzen. Die zeitliche Schere zwischen diesen beiden Choreografien klafft weit auseinander: „Stravinsky Violin Concerto“ ist 1972 in New York uraufgeführt worden, „Thema und Variationen“ (der Stücktitel ist schlicht die Überschrift Tschaikowskys zum 4. Satz seiner Orchestersuite) ist 1947 entstanden.
Dementsprechend lässt mich das schwer zu interpretierende Violinkonzert bereits William Forsythe ahnen; „Thema und Variationen“ ist ganz dem zaristischen Ballett verpflichtet. Christian Lacroix hat zuckerlfarbene Kostüme entworfen, „Dornröschen“ trippelt mit. Balanchine lebte, als er das Ballett schuf, bereits mehr als 20 Jahre in den USA, doch seine Anfänge als Tänzer und Choreograf in St. Petersburg hat er nicht vergessen und lässt aus längst vergangenen Zeiten grüßen. Trotz der Bemühungen von Kiyoka Hashimoto und Masayu Kimoto als Solopaar langweilt er mich. Hashimoto und Kimoto tanzen ihren Part zum ersten Mal, sind demgemäß noch etwas unsicher und nicht so brillant wie Balanchine es sich vorgestellt hat. Apropos: Mit seinem „Allegro Brillante“ hat er 1956 noch einmal auf das klassische Ballett zurückgegriffen und „alles, was ich darüber weiß, in 13 Minuten“ ausgedrückt. Auch diese Bravournummer ist im Repertoire des Wiener Staatsballetts, eignet sie sich doch immer wieder als Glanzstück jeder Gala. Die genannten 13 Minuten schaffen so richtig weder Orchester noch Tänzer*innen, selbst die Uraufführung durch das New York City Ballet dauerte 16 Minuten.
Für Wiederaufnahmen aus dem Repertoire, wie lange die letzte Aufführung auch her ist, gibt es meist keine Bühnenproben mehr. Diesmmal aber durften die zahlreichen Mitglieder der Compagnie, die ihren Part zum ersten Mal tanzen, doch die Dimensionen der Bühne erkunden. Dassmacht sich bezahlt: Der Bühnenraum wir richtig genützt, die Linien werden gehalten und niemand verirrt sich im Trubel. Der Wechsel der Stile an diesem mehrteiligen Abend wird auch von den Frischlingen problemlos bewältigt.
Nicht neu, doch umso brillanter, sind allerdings die beiden Solopaare in „Stravinsky Violin Concerto“ Ketevan Papava / Eno Peçi und Liudmila Konovalova / Mihail Sosnovschi. Während das Corps perfekte Symmetrie zeigt, berühren und imponieren die Solopaare in ihren spröden Pas de deux, fernab jeglicher Romantik, mit Bewegungen, die das klassische Ballett weit hinter sich lassen.
Einfach genial! Nicht nur Meister Balanchine, sondern auch die Perfektion und Schönheit der beiden Paare. Reife und Erfahrung sind ein nicht zu verachtender Wert. Die einfachen dunklen Trikots (die Damen im letzten Satz mit kleinen schwarzen Röckchen um die Hüften; die Herren in Schwarz-Weiß) lassen auch keinen Fehler zu.
Damit können auch Maria Yakovleva und Roman Lazik in Neumeiers „Bach Suite III“ dienen. Anfangs treibt Dirigent Simon Hewett das Opernorchester etwas zu heftig an, die Paare 3 – 5 müssen zappeln, um mitzukommen. Nach einem Blick auf die Bühne fängt er sich schnell, passt sich dem Tempo der Tänzer*Innen an und Ioanna Avraam mit Leonardo Basilio (dieses Rollendebüt meistert der junge Halbsolist mit Energie, ohne jegliche Unsicherheit – in große Rollen sollte Legris ihn nicht hineinstoßen, er muss hineinwachsen, das dauert mitunter), Alice Firenze mit Dumitru Taran, Natascha Mair (Rollendebüt) mit Alexandru Tcacenco entzücken durch Präzision, Elan und Tanzfreude. Ein Genuss! Als Paar 2 bewähren sich neben Yakovleva / Lazik auch Nikisha Fogo und Richard Szabo. Dass auch sie ihre Rollen zum ersten Mal tanzen, merkt man ihnen nicht an.
Neumeiers Interpretation der Bach-Suite mit der berühmten Air vor den tänzerischen Teilen (Gavotte, Bourée, Gigue), rührt mich jedes Mal wieder zu Tränen. Extensive Schönheit, ins Extrem gezerrte Klassik, herbes Pathos, ein Anflug von Heiligkeit. Des Alltags Last wird abgeworfen, das Tor zu einer anderen Welt ist offen.
Damit ich nicht gänzlich abhebe, kommt gleich danach Eno Peçi mit dem Messer und will seine Gesponsin abstechen.
Es gelingt ihm nicht, denn wir sehen mit „The Concert“ von Jerome Robbins kein Drama, sondern ein überaus komisches Stück, eine Persiflage der affektierten Konzertbesucher. Auch die Hingebungsvolle bekommt ihren Senf aufs Brot. Maria Yakovleva brilliert abermals, diesmal als überkandidelte Ballerina, die Ehemann Peçi schöne Augen macht. Das Corps de Ballet muss eine Dauerpatzerin mitschleppen, das Militär marschiert auf, Schmetterlinge flattern über die Bühne und der tollpatschige Maikäfer (wieder Peçi als Komiker) fällt auf den Rücken. Am Klavier sitzt der Star des Konzerts, Igor Zapravdin. Das Publikum weiß, was es ihm schuldig ist. Er genießt den Applaus. So komisch und fröhlich dieses „Concert“ ist, so schwierig ist es auch zu tanzen. Yakovleva meistert ihr Rollendebüt mit dem nötigen Humor und der unnachahmlichen Grazie, auch die restlichen Rollendebütant*innen sind mit bester Laune dabei. Wenn gepatzt wird, dann wollte Choreograf Robbins das seit der Premiere in New York 1956 so. Frederic Chopin, von dem die Musik (Walzer, Mazurken, Preludien, von Clare Grundman teilweise orchestriert) stammt, hätte sich sicher gewundert, doch für Zapravdin am sorgfältig abgestaubten Piano ist „The Concert“ ein Leckerbissen. Für das Publikum nicht weniger.
Balanchine | Neumeier | Robbins: „Stravinsky Violin Concerto“, „Thema und Variationen“, „Bach Suite III“, „The Concert“, Wiederaufnahme (5. Aufführung in dieser Zusammensetzung), 16. März 2018. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Weitere Vorstellungen: 21., 23., 26. März; 16. April; 3. und 5. Mai 2018 mit wechselnder Besetzung.
Die Fotos stammen von Ashley Taylor, der einst selbst in der Wiener Compagnie getanzt hat. Etwa 2012 in „The Concert“ den Platzanweiser.