Jefta van Dinther: „Dark Field Analysis“, Tqw
In seiner jüngsten Choreografie geht Jefta van Dinther von der Sprache aus. Zwei Männer im Nacktkostüm, Mikrofon vor dem Gesicht, der Sender um den Arm geschnallt, unterhalten sich, erzählen aus dem Leben, stellen Fragen, sind fasziniert vom Blut, eine Metapher für das Lebendigsein. Der Schauspieler und Performer Juan Pablo Cámara aus Argentinien und der spanische Tänzer, Schauspieler, Choreograf Roger Sala Reyner sitzen einander gegenüber auf einer Matte, beleuchtet von rot-grünem Licht, das Linien auf ihren Körper malt und unterhalten sich. Etwas anstrengend für den Beginn, doch wenn scheinbar alles gesagt ist, unterbricht ein Blackout das Duo, Bewegung kommt in die beiden Männer.
Als sichtbar roter Faden zieht sich die Blut-Metapher durch die Performance. Mit Bedacht hat van Dinther den Titel seines Duetts gewählt. Die „Dunkelfeldanalyse“ ist eine Methode der alternativen Medizin, um das Blut mittels eines Dunkelfeldmikroskops zu untersuchen und Körperzustände festzustellen. Natürlich geht es dem Choreografen nicht um medizinische Fakten, sondern um eine Art Introspektion. Nicht nur der anfangs gesprochene Text und die in unnachahmlicher Präzision agierenden überaus präsenten Körper, auch Licht (vorhanden oder abwesend, bunt oder fahl grau), Klang und Songs (basierend auf „The Slow Drug and Horses in my Dreams“ von PJ. Harvey) und der später zusammengeknüllte Teppich, gehören zu van Dinthers Ambiente.
Seine Choreografien sind wie eine Droge, sie ziehen mich in eine andre Welt, umhüllen mich so unheimlich wie wohlig. Ich bin mitten drin in der dunklen Wärme, umhüllt vom Mantel der Poesie, beglückt durch die dunkle Schönheit. Bleiches Gewürm kriecht umher, wildes Getier geht aufeinander los, der Partner wird weggeschubst und hergeholt, wird gebissen. Vielleicht aus Liebe gefressen. Die weißen Körper werden im Zwielicht zum aufgebahrten Christus von Andrea Mantegna, zwei Beine ragen in die Höhe, der Kopf ist unsichtbar, kein Mensch mehr, ein fremdes Wesen, lebendig und fast anmutig. Das Unheimliche ist heimlich da, ist anheimelnd und sogar tröstlich. Van Dinther hat mir eine neue Art der Melancholie geschenkt.
Während sie sprechen bewegen sich die Performer nur mäßig, bleiben wie festgeklebt sitzen, nur durch die Berührung der Fußsohlen miteinander verbunden. Hie und da streckt einer die Arme aus, sitzt fast lässig da, wie Michelangelos Adam in der Sixtinischen Kapelle. Vorsichtig kriechen die beiden voneinander weg und wieder zusammen, krümmen die Finger und die Zehen, während sie reden, fragen, erzählen, laut denken. Sie reißen die Mäuler auf, die Augen sind dunkle Höhlen, manchmal scheint es, als wären die Männer blind, als säßen Maschinen im wechselnden Licht. Nach der plötzlich mit Getöse hereinbrechenden Finsternis werden diese Sprechmaschinen lebendig, wandeln sich ständig in neue Kreaturen. Am Ende klettert Cámara auf die Schultern von Reyner, sein Kopf verschwindet inden schwarzen Wolken des Bühnenhimmels. Ein Doppelwesen, mit einem Kopf und acht Extremitäten. Stummes Staunen, bis die neuerliche Finsternis das Ende dieser imponierenden, berührenden Performance anzeigt. Immer wieder erinnert der Choreograf an ein früheres, ebenso effektvolles Duo, das Jefta van Dinther mit Thiago Granato 2013 auch im Tanzquartier gezeigt hat. Auch damals schon hat er durch extrem langsame Bewegungen im magischen Licht die Aufmerksam erhöht und einen unwiderstehlichen Sog erzeugt. Ich bin süchtig nach seinen Choreografien.
Jefta van Dinther: „Dark Field Analysis“ mit Juan Pablo Cámara und Roger Sala Reyner. Lichtdesign: Minna Tikkainen; Sounddesign: David Kiers. Choreografieassistenz: Thiago Granato. 22. März 2018, Tanzquartier.
Aufführung auch am 23. März 2018.