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Neumeier / Strauss: Ein besonderer Nachmittag

"Josephs Legende " (Patrica Friza, Géraud Wielick). © Ashley Taylor

Im Rahmen der Strauss-Wochen an der Wiener Staatsoper hat auch das Ballett mitzutanzen: John Neumeiers Choreografien zu „Verklungene Feste“ und „Josephs Legende“ stehen mit drei Vorstellungen im Programm. Ein besonderes Geschenk war die Nachmittagsvorstellung am 17. Dezember: Mit Debüts glänzte der erste Teil, „Verklungene Feste“; nach der Pause begeisterten Géraud Wielick als Joseph und Patricia Friza, zu Gast aus Hamburg, als Potiphars Weib in „Josephs Legende“.
Festliche Stimmung herrschte im Publikum, Bravorufe und frenetische Applaus riefen das Ensemble immer wieder vor den Vorhang.

Nikisha Fogo und Dumitru Taran in "Verklungene Feste". © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor „Verklungene Feste“ hat John Neumeier 2008 für sein Hamburg Ballett choreografiert. Richard Strauss hat sich an den Barock-Komponisten François Couperin gehalten und 1940 eine „Tanzversion aus zwei Jahrhunderten“ geschaffen, die 1941 im Nationaltheater München uraufgeführt worden ist. Die Choreografie von Pia und Pino Mlakar erzählte eine Geschichte, Neumeier, der doch so gerne erzählt und Männer und Frauen feinst charakterisiert, verzichtet in diesem Werk auf eine Handlung, doch die fünf Paare erzählen dennoch – viele unterschiedliche Kurzgeschichten. Die große Geschichte wird aus dem Entstehungsjahr der Komposition klar: Die Feste sind vorbei, es ist Krieg. Anfangs sind Gäste noch ganz den fröhlichen Erinnerungen an ein rauschendes Fest hingegeben, doch die ersten Schatten fallen bereits, wenn Mihail Sosnovschi mit Franziska Wagner-Hollinek (Rollendebüt) ihren ersten Pas de deux tanzen – statt angenehmer Erinnerungen, Angst vor der Zukunft. Tänzer Sosnovschi zieht den Uniformrock an. Zuvor aber erfreuen Kiyoka Hashimoto (die Erste Solotänzerin ist nach der Karenzzeit wieder aktiv) und Alexandru Tcacenco (Rollendebüt) in dem sie, am Ende des Festes offenbar leicht angetrunken, fröhlichen Unsinn treiben. "Verklungene Feste" mit Nina Poláková und Vladimir Shishov. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Hashimoto zeigt eine neue Bühnenpräsenz, ist technisch ausgezeichnet in Form. Tcacenco meistert problemlos seinen Part. Ebenso begeistern konnte das Debütpaar Nikisha Fogo / Dumitru Taran in ihren Rollen. Beide haben schon die Premiere im Februar 2015 getanzt, damals aber im Reigen der Festgäste. Diesmal debütiert die nächste Generation als Ergänzung zu den fünf Paaren: Elena Bottaro, Sveva Garguilo, Scott McKenzie, Tristan Ridel und Arnie Vandervelde. Mit ihnen tanzen Adele Fiocchi, Oxana Kiyanenko, Anita Manolova, Trevor Hayden und Richard Szabó. Auch der Partner von Liudmila Konovalova, Andrey Teterin, kommt mit den von Neumeier ausgedachten schwierigen Hebungen gut zurecht, bleibt aber etwas blass. Zum Weinen schön ist das Ende, wenn Fogo ihr Solo und dann mit Taran den letzten Pas de deux – „Les ombres errantes | Irrende Schatten“ nennt Couperin das von Strauss instrumentierte Klavierstück – tanzt. Schließlich sind die goldenen Wände in Mauern aus rohen Ziegeln verwandelt und die erschöpften Festgäste stehen ratlos mit dem Rücken zum Publikum. Dieses zeigt Anstand und wartet einige Sekunden, bis der tosende Applaus einsetzt, zugleich ein Lob für den Dirigenten Gerrit Prießnitz, der eben an der Volksoper Davide Bombanas Ballett „Roméo et Juliette“ aus der Taufe gehoben hat. Mit dem Staatsopernorchester hat er auch leichtes Spiel, Richard Strauss gehört zu seinem täglichen Brot.

Patricia Friza als gieriges Weib des Potiphar. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Im zweiten Teil ist Eros am Werk. Géraud Wielick debütierte als Joseph und riss zu Begeisterungsstürmen hin. Unschuldig, jung und doch den Avancen von Potiphars Weib nicht abgeneigt, meisterte er die Rolle auch technisch perfekt. Da wächst ein Halbsolist zum Solotänzer heran. Als Gast zeigte Patricia Friza, die von Neumeier 2006 vom Wiener Staatsopernballett weg nach Hamburg geholt worden ist, dass es neben der Wiener Besetzung (Rebecca Horner / Ketevan Papava) auch noch eine andere Interpretation von Potiphars Weib gibt. Friza, die die Rolle auch in Hamburg getanzt hat, ist eine gierige, eher kalte Frau, die sich nimmt, was sie bekommen kann, und das ist in diesem Fall der junge, hübsche Knabe. Ein wenig anämisch, wie alle Neumeier-Tänzerinnen sind, beeindruckt sie durch ihr nahezu schwebendes Solo und die nahezu hexenhafte Gier, mit der sie sich dem schlafenden Josef nähert und ihn entflammt. Entflammt ist auch der Engel, Roman Lazik, von dem schönen Jüngling, und ob der Potiphar, Eno Peçi, ein souveräner und von sich eingenommener Mächtiger, eher eifersüchtig ist als böse auf seine Frau, weil sie sich mit einem anderen vergnügen möchte, möchte ich nicht so genau sagen. Zu sagen ist jedoch, dass diese Vorstellung der „Josephs Legende“ lange Zeit im Gedächtnis bleiben wird. Jseoph und sein Engel (Géraud Wielick, Roman Lazik). © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Übrigens dem Eros dienen auch die Brüder des Joseph, die ihn entführen, um ihn zu verkaufen. Sie erliegen nicht der Erotik der körperlichen Liebe, aber der des Geldes. Ihre Gier kennt keine Grenzen, und wie schnell die Hofgesellschaft den anfangs umschwärmten unbedarften Josef später mit Füßen tritt, muss nicht verwundern. So war es nicht nur ehedem, so ist es auch heute noch.

Am Abend dann bei der zweien Vorstellung war besonders im ersten Teil die Luft etwas raus. Die gesamte Besetzung musste nach ein paar Stunden Erholung wieder antreten und die schwierigen, die Solisten noch einmal die exaltierten Pas de deux zeigen. Schwerstarbeit für die Tänzer*innen! In der „Josephs Legende“ brillierte die Joseph mit Potiphars verführerischem Weib (Wielick, Friza). © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Premierenbesetzung mit Denys Cherevychko als Joseph und Rebecca Horner als Pothiphars Weib. Fulminant, perfekt – wie stets. Horners Interpretation einer bodenständigen Frau von heute, die an Vernachlässigung und Einsamkeit leidet, mag ich besonders gern. Auch der unirdisch wirkende Engel von Jakob Feyferlik (Rollendebüt) muss gefallen, er kommt tatsächlich aus den Wolken, hat mit weichen Bewegungen fast etwas Heiliges an sich. So ist auch der große Pas de trois zum Ende der Geschichte. Der Engel und Joseph werden nahezu eins, während sie entschwebend Potiphars Weib in ohnmächtiger Einsamkeit zurücklassen. Ein magischer Moment, zwei magische Vorstellungen.

John Neumeier / Richard Strauss: „Verklungene Feste“ und „Josephs Legende“, zwei Vorstellungen an einem Tag, Wiener Staatsballett in der Staatsoper. 17. Dezember 2017, 14 und 19.30 Uhr.
Letzte Vorstellung in dieser Saison: 20. Dezember 2017. Denys Cherevychko und Rebecca Horn, Eno Peçi und Jakob Feyferlik tanzen in der „Josephs Legende“; „Verklungen Feste“ lockt mit der Besetzung vom 17. Dezember 2017