„Marie Antoinette“– Debüt für Ioanna Avraam
Wie lebendig Ballett sein kann, zeigt Choreograf Patrick de Bana, der sein 2010 an der Volksoper uraufgeführtes Ballett „Marie Antoinette“ 2016 einer Generalüberholung unterzogen hat und nun eine Wiederaufnahme mit neuerlichen kleinen Retuschen zeigt. Das Wiener Staatsballett mit Maria Yakovleva in der Titelrolle, Roman Lazik als Ludwig XVI. und Ioanna Avraam im Rollendebüt der Madame Elisabeth war in Bestform. Begeistert haben mich auch Alice Firenze als Schatten der Marie Antoinette und Géraud Wielick als Schicksal. Eine zu Herzen gehende Geschichte vom Absturz aus Glück und Glanz in Elend und Tod. Spannend, emotional, sehenswert.
Dunkle Gestalten tauchen aus der Nacht, ziehen sich wieder in diese zurück: Das Schicksal und der Schatten der jungen, dem kommenden französischen König zugeteilten Ehefrau. Als unbedarftes junges Mädchens tanzt Maria Yakovleva unter den Augen ihrer gestrengen Mutter (hervorragend interpretiert von Rebecca Horner). Bald bekommt sie die harten Schläge politischer Entscheidungen zu spüren, in Frankreich ist sie nicht glücklich, auch nicht als Königin unter kristallenen Lüstern. Die Lichtregie von James Angot, zwischen strahlender Helligkeit und schimmerndem Blau, sorgt für Stimmung. Die Musik unterstreicht den Wechsel vom schönen Schein am Hof und den drohenden Schatten, die das düstere Schicksal wirft. Telemann, Vivaldi, Mozart, oder Rameau und die Auftragskomposition von Carlos Pino-Quintana, die Schicksal und Schatten begleitet, unterstreichen die Mischung aus erzählter Realität und gespenstischer Fantasie.
Einmal noch verspürt die junge Frau, fast noch ein Kind, einen Hauch von Glück, sie verliebt sich in den Diplomaten Axel von Fersen (eine feine Rolle für Leonardo Basilio) und schert sich nicht um Ludwigs Eifersucht. Roman Lazik ist als Ludwig ein mitleiderregender, armer Wicht, weder zum Ehemann noch zum Liebhaber geboren, doch vor Eifersucht nahezu zerrissen. Bettelnd liegt er vor seiner Frau, mit einer Armbewegung schickt sie ihn weg, kehrt ihm den Rücken zu. Erst im nahenden Tod finden die beiden zueinander. Doch zeigen Yakovleva und Lazik im zweiten Teil (Revolution und drohende Exekution), dass sie den Tod schon umarmt haben, bevor sie zur Guillotine geführt werden.
Ioanna Avraam brilliert in den extremen, expressiven Solos und kann wie auch alle anderen Solist*innen allein mit der Mimik die gesamte tragische Geschichte erzählen. Als Friedenstaube muss die Schwester des Königs zwischen ihm und Marie Antoinette, tröstend und vermittelnd, hin und her flattern. Vernüftig und verständnisvoll mit dem König, jung und fröhlich mit der Freundin aus Österreich. Marie Antoinette sucht gierig nach Zuneigung und Wärme, Elisabeth ist das im ungleichen Dreieck das Element. Im letzten Solo jedoch wirft sie sich dem drohenden Tod nahezu entgegen. Ein gelungenes Debüt.
Auch Firenze und Wielick gestalten ihre Rollen veränderbar. Scheint es anfangs, im ersten Akt, als würde Marie Antoinettes Schatten gegen das Schicksal ankämpfen, so ist das unabwendbare Schicksal im zweiten selbst von Mitleid ergriffen, wiegt Marie Antoinette in den Armen (dieser Pas de deux mit Yakovleva scheint mir neu zu sein), als wäre sie sein Baby. Doch das Schicksal kann sich selbst nicht verändern, auch seine Macht hat Grenzen.
Auch im Corps de Ballett haben einige junge Tänzer*innen ihr persönliches Rollendebüt. Auffallend das energetische Paar Fiona McGee und Scott McKenzie. Weniger auffallend Kamil Pavelka als „Der Namenlose“, als Begleiter Maria Theresias, die als unheimliches Gespenst auch im zweiten Akt noch einmal aus dem Dunkel tritt.
Was sich nicht verändert hat, sind die wunderbaren, leichten, den Tänzer*innen die nötige Dynamik und Bewegungsfreiheit bietenden Kostüme von Agnès Letestu. Als ehemalige Danseuse Étoile an der Pariser Oper weiß sie, was Tänzer*innen brauchen und zeigt auch Geschmack. Für sie hat de Bana den ersten Entwurf für das abendfüllende Ballett, einen Pas de deux, kreiert.
Funkelnd und spiegelnd bietet das aufwändige Bühnenbild (Marcelo Pacheco, Alberto Esteban / Area Espacios Efimeros) perfektes Schau-Vergnügen, engt allerdings die ohnehin nicht riesige Bühne der Volksoper etwas ein, sodass es klug von de Bana war, in manchen Szenen die Hofdamen und Höflinge etwas zu reduzieren.
Ein bissel Geschichtskenntnis kann nicht schaden, um diesem Ballett inhaltlich folgen zu können, auch wenn es eher von den Seelenzuständen der Protagon*istinnen erzählt und sich nicht an den historischen Ablauf hält. Was auch nicht notwendig ist. Die dramaturgische Vorlage stammt vom spanischen Autor Jaime Millás, der eine „Propuesta dramatúrgica par un ballet de danza contemporánea sobre Maria Antonieta de Habsburgo, Reina de Francia“ geschrieben hat. Im schön ausgestatteten Programmbuch sind auch die einzelnen Szenen angedeutet: Sehr hilfreich, um nicht nur den ausdrucksstarken Tanz, sondern auch die Geschichte, die mir immer wieder nasse Augen beschert, zu genießen.
Wiederaufnahme: „Marie Antoinette“, Choreografie Patrick de Bana, Musik vom Tonträger. Mit Maria Yakovleva, Roman Lazik, Ioanna Avraam (Debüt als Madame Elisabeth), Géraud Wielick, Alice Firenze, Leonardo Basilio, Rebecca Horner, Kamil Pavelka und dem Corps de Ballet. 5. November 2017, Wiener Staatsballett, Volksoper.
Nächste Vorstellung in dieser Besetzung: 7. November 2017.
28. November 2017 mit Natascha Mair, Jakob Feyferlik, Nina Tonoli; Francesco Costa, Nikisha Fogo; Alexandru Tcacenco, Gala Jovanovic, Zsolt Török und dem Corps de Ballet. Wiener Staatsballett in der Volksoper.