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ImPulsTanz: Christian Rizzo – „ad noctum“

"ad noctum": kerem Gelebek, Julie Guilbert © Marc Coudrais

Auch im ImPulsTanz Festival darf getanzt werden. Welche Erlösung! Anne Teresa De Keersmaeker kommt ohne Wortschwall und Kasperlszenen aus und Christian Rizzo ebenfalls. Mit „ad noctum“, in Anlehnung an sein beim Festival von Avignon 2013 gezeigten Stück „Nach einer wahren Geschichte“, belebt er auf wunderbare Weise fließenden, leisen Tanz zu hämmerndem Beat in finsterer Nacht. Die magische Stunde im Museumsquartier endet im hellen Licht. Es dauert einige Minuten, bis die Verzauberung gelöst ist und die Begeisterung des Publikums hochbrandet.

Der Monolith tazt mit, spendet Licht und Dunkelheit Alle Bilder © MarcCoudrais Rizzo, Choreograf und bildender Künstler, ist seit zwei Jahren Chef des Centre Choréographique in Montpellier, das Mathilde Monnier in ihrer 20jährigen Residenz geprägt hat, bis sie ins Centre national de la danse (CND) nach Paris berufen worden ist, Er sagt, sein nächtliches Ballett sei entstanden, weil er „Julie Guibert und Kerem Gelebek, diese beiden sind für meine Arbeit so stilbildenden Performer_innen,“ zusammenbringen wollte. Sie betreten den im wirren Zebramuster belegten Boden auf Samtpfoten. Doch sie tanzen nicht allein zum pulsierenden Beat und fließendem Elektronik-Sound. In der linken Ecke schwebt ein hoher Quader mit scharfen Kanten, die von in unregelmäßigen Abständen aufflackernden Neonsäulen gebildet sind. In dem Kasten sind Scheinwerfer, die durch wechselndes Licht oder wolkige Geisterscheinungen den Blick von dem tanzenden Paar ablenken. Dieser Turm der Dunkelheit und des Lichts führt ein Eigenleben, tanzt mit, dirigiert durch seine Dunkel-Hell-Spiele den Tanz, der möglicherweise dem Zebramuster des Bodens folgt.

Guibert und Gelebek umkreisen einander, synchronisieren oder spiegeln ihre Bewegungen, verlassen einander und vereinen sich für Sekunden im Pas de deux. immer wieder wird die Nacht stockdunkel, Blackouts schneiden die Bewegungen ab,. Werden Tänzerin und Tänzer wieder sichtbar, sind sie nicht mehr dort, wo ich sie erwarte. Von Zauberhand ist ihnen in neuer Position ein neuer Platz zugewiesen worden. Und schon umhüllt sie wieder das samtige Dunkel, sie sind verschwunden. "ad noctum": Magie auf dem zebra-Labyrinth

Rizzo hat sich in seiner Choreografie an allen möglichen Tanzformen orientiert, lässt sein Paar swingen und sich drehen, einen Miniaturreigen tanzen und sich Blicke zuwerfen, als wären sie in Dirndl und Lederhose gekommen. Guibert und Gelebek zerlegen Standardtänze, setzen sie neu zusammen, erinnern an Tango und Swing, Lindy Hop und Shag und zeigen als Duo eine überaus schwierige Choreografie mit bewundernswerter Präzision. Auch wenn kleine Solos (kurz) zu sehen sind, der / die andere muss immer da sein, keine(r) kann ohne die / den andere(n) existieren. Was wie ein zufälliges Treffen erscheint, ist genaue Berechnung. Beeindruckend und fantastisch.

Nächtlicher Tanz: Kerem Gelebek, Julie GuibertPlötzlich, noch bevor ich mich trotz aller Magie und Schönheit doch zu langweilen beginne, ist das Paar gänzlich von der Dunkelheit verschluckt. Ein Feuerwerk aus Schatten und Licht, Nebel und Stroboskopflackern verdichtet den Zauber diese Vorstellung, deren Höhepunkt noch bevorsteht. Einstweilen aber tauchen im erleuchteten Quader gespenstische Figuren auf, zerfließende Schatten, schemenhafte Erscheinungen, sprühende Funken auf und nieder und katapultieren mich raus aus der Halle G, in die wunderbare Nacht, in der alles möglich ist.

Ist der Spuk vorbei, lösen sich zwei helle Gestalten allmählich aus dem Dunkel. Weißclowns in barocken Westen und Hosen, die spitze Mütze auf dem Kopf, Schleier vor dem Gesicht, kommen gemessenen Schrittes als Zwillingspaar an die Rampe. Der Countertenor David James lässt seine Stimme schweben: Mein Herz ist in den Highlands. Sanft begleitet die Orgel, sanft bewegen sich die beiden Gestalten. Der fromme Este mit österreichischem Pass, Arvo Pärt, hat das Gedicht des schottischen Poeten Robert Burns (1759–1796) im Auftrag einer französischen Kulturinitiative vertont und die simplen Zeilen für Countertenor und Orgel arrangiert.Die Weißclowns beim Verbeugen /Gelebek, Guilbert) ohne Mütze und Schleier. © Nicolas Villodre.
Ganz einfach schön und ein bisschen heilig.

Wenn die Nacht ihren Samtmantel gehoben hat, die Erscheinungen und Trugbilder sich verflüchtigt haben, zeigen die Zuschauer_innen vehement und freudig, wie sehr sie es geniessen konnten, dass auch bei ImPulsTanz getanzt, richtig getanzt, werden darf.

Christian Rizzo / ICI-CCN: „ad noctum“, Choreografie, Bühne, Kostüm: Christian Rizzo; Tanz: Kerem Gelebek, Julie Guibert; Originalmusik: Pénélope Michel, Nicolas Devos; zusätzliche Musik: Arvo Pärt; Licht: Caty Olive; Lichttechnik: Yannik Delval; Bilder: Iuan-Hau Chiang, Sophie Laly. Uraufführung 2015, TU-Nantes. Gesehen am 2. August 2017, Tanzquartier, im Rahmen von ImPulsTanz.