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Lauren Chétouane: „Khaos“, Tanzquartier

2 x Trio (der Mann am Flügel fehlt) © Thomas Aurin

Immer von Neuem sucht der Regisseur und Choreograf Laurent Chétouane nach der völligen Freiheit des Tanzes, nach einer Technik ohne Zwänge und vorgegebene Muster. Nun meint er dies im Chaos gefunden zu haben. Sein neues Stück, „Khaos“, bringt drei Tänzer_innen und drei Musiker auf die Bühne, die Unberechenbarkeit, Instabilität und Verwirrung zur Regel machen.

Dennoch – es ist schöner Tanz zu sehen, Musik zu hören und hat man sich mit dem Chaos, das halt auch seine Ordnung hat, abgefunden, verbreitet die Vorstellung durchaus auch Wohlgefühl.

Tanz im Klangraum (Marklund, Nishiwaki, Shishkov)  © Thomas AurinSchon die Anfangs-Konstellation simuliert eine gewisse Ordnung: die Musiker (Pianist, Cellist und Violinist) sitzen im Dreieck am Rand der Bühne, Tänzer und Tänzerin driften auseinander, bilden ebenfalls ein Triangel. Kotomi Nishiwaki, Tilman O’Donnell und der großartige Mikael Marklund erobern die Bühne, bewegen sich unabhängig voneinander, umrunden eilig den Raum, heben die Arme, bremsen ihren Lauf, taumelnd, kreiseln um sich selbst, treffen einander für Sekunden, zeigen kurz sogar die gleichen Posen, um wieder um die eigene Achse zu drehen. Der norwegische Pianist, noch keine 30 und schon ein Star, hämmert ins Klavier, reißt an den Saiten. Celisst Tilman Kanitz, auch mit Geige und Bratsche vertraut, malträtiert sein Cello, gibt aber auch Bach die eher. Artiom Shishkov, der Geiger, ist vor allem in Johann Sebastian vertieft, fast bringt er mit der getragenen Allemande aus Bachs Partita 2 d-Moll das tanzende Trio zum Stillstand. Die gefetzte Chaconne treibt sie wieder an. Weniger Tai-Chi, mehr Wirbel.

Die Musik ist von Chétouanes Lieblingskomponisten, Johann Sebastian Bach, John Cage und Wolfgang Rihm. Und die hat Chétouane gemeinsam mit den Musikern zusammengestellt und vor dem (für den) Tanz inszeniert. Im Klangraum, durchaus chaotisch, wenn Bach und Cage und Rihm (jeweils von einem Instrument intoniert) gemeinsam erklingen, bewegen sich Tänzer und Tänzerin (mitunter auch die Musiker) ganz der Macht der Musik ausgeliefert. „Ist das Chaos als solches erkennbar, dann ist es nicht mehr gefährlich“, sagt mein Freund. Ich lerne es zu lieben, wenn es „Khaos“ buchstabiert wird. Choregraf und Chaosbetrachter Laurent Chétouane. ©  RUB/Marquard

Chaos ist nämlich auch spannend und so kommt trotz des nicht gerade üppigen Bewegungsmaterials – kreiseln, kreiseln, kreiseln, ein wenig Slow-Motion, kurze Begegnungen, sogar eine Art von Zärtlichkeit, umfallen, aufstehen, taumeln kreiseln, immer ganz der Musik hingegeben – kommt keine Langeweile auf. Wie geht es weiter, was kommt als Nächstes? Über das Kunsterlebnis hinausgedacht, so lese ich im Programmheft, ist Chaos der Zustand der Welt (war es von Anfang an, denke ich) und wir müssen uns daran gewöhnen? „Khaos“, lese ich „erprobt das Chaos als Chance der Schaffung multipler Welten – der Versuch einer utopischen Gegenwart.“

Kotomi Nishiwaki, Geiger Shishkov in "Khaos" © Thomas Aurin Der erhabenste Moment dieser feinen Arbeit ist die Pause, die sich Musiker, Tänzer und Tänzerin gönnen. Entspannt liegen alle sechs im schwarzen Raum verteilt, bewegen sich minimal, wie im Traum, Tilman Kanitz schiebt mit dem Fuß sein Instrument zur Seite, Holz quietscht auf dem Tanzboden, auch eine Musik. Vielleicht dauert diese Stille 4’33’’ und ist ein Werk von John Cage und das Ruhen der Körper der sublimste Tanz.

Und das Chaos? In die Alltagssprache ist der Begriff im Sinne von Tohuwabohu erst im 17. Jahrhundert eingekehrt. Davor muss man bei den alten Griechen nachlesen und für die war χάος eine „gähnende Leere“, eine Kluft (Chaos heißt auch eine solche im Peloponnes). Das Chaos, wüst und leer, war am Anfang, daraus entstand unsere Welt. Ohne Chaos kein Kosmos. Chaos eine Notwendigkeit? Aha, also doch die Möglichkeiten der „Schaffung neuer Welten“. Mathias Halvorsen am Flüge, Tilman Kanitz, Cello, Marklund, Nishiwaki im Hintergrund © Thomas Aurin
Ach was, es soll getanzt werden, nach neuen Gesellschaftsmodellen sollen die Profis suchen. Deshalb lieber Nietzsche: „…man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können“, all so sprach Zarathustra. Das Gebären, nicht gerade Männersache. Das Choreografieren, Inszenieren, Dirigieren, so wie es aussieht, überwiegend schon und das, Inszenieren, Choreografieren, Dirigieren, ist Laurent Chétouane mit seinem neuesten Tanzkonzert auch bestens gelungen. Der intellektuelle Kokkon hat Risse bekommen, sein Konzept wird zu Bewegung, wird Tanz.

Laurent Chétouane: „Khaos“ mit Kotomi Nishiwaki, Tilman O’Donnell, Mikael Marklund (Tanz); Mathias Halvorsen, Tilman Kanitz, Artiom Shishkov (Musik), Johann Günther (Tonmeister). 10. und 11.2. 2017 (gesehene Vorstellung), Tanzquartier.