„Raymonda“ – Mihail Sosnovschi in Bestform
Die Hoffnung ist nicht getrogen worden – Abderachman rauscht herein, wirft den Mantel ab und das gesamte Schloss erwacht zum Leben. Mihail Sosnovschi ist endlich der Furcht und Schrecken verbreitende Chef des feindlichen Sarazenen Heeres, verliebt ihn Raymonda, die den heidnischen Fürsten samt den angebotenen Geschmeiden entsetzt zurückweist. Sosnovschi gibt diesem wilden Kerl, der später die unwillige Raymonda mit Gewalt verschleppen will, endlich Kraft und Saft. Und dem gesamten Abend beflügelnden Schwung. Ihm und dem Dirigenten, Kevin Rhodes, der Sarazenen Tanz sichtlich Freude hat, gilt auch der Jubel des Publikums.
Sosnovschi erfreut durch Bühnenpräsenz, Energie und Rollenverständis, auch wenn er, wie alle seine Kollegen in der Neueinstudierung, die Rolle des Abderachman zum ersten Mal verkörpert. Er komm tauch bestens mit der schwierigen Fußarbeit, die sich Rudolf Nurejew ausgedacht hat zurecht und wünscht sich, dass der Choreograf dieser Rolle (die Bösen sind doch immer die Interessanteren Figuren) noch mehr Raum gegeben hätte. Sosnovschis Feuer färbt auch auf Robert Gabdullin ab, der einen echten Ritte tanzt, der den Kampf der beiden Rivalen um die schöne Gräfin de Doris (in der Titelrolle Liudmilla Konovalova) zu einer dramatischen Szene gestaltet.
Selbst das gesamte Corps de Ballet wirkt lebhafter und freudiger. Sind doch die Corps Tänzerinnen (Tänzer) seit 22. Dezember im Dauereinsatz und müssen die unterschiedlichsten Parts tanzen. Die junge Japanerin Rikako Shibamoto, die knapp einem Jahr im Corps des Wiener Staatsballetts tanzt, fällt als Sarazenin ebenso auf wie als Walzertänzern und lässt sich nicht anmerken, dass sie im ungarischen Grand Pas neben der erfahrenen Halbsolistin Eszter Ledán das Solo zum ersten Mal tanzt (wenn ich nicht irre, mit dem geschmeidigen Greig Matthews). Ebenso präsent ist Halbsolist Dumitru Taran, der sich als Walzertänzer besonders gut anstellt und sich auch im letzten Akt im genannten Grand Pas hongrois keine Müdigkeit anmerken lässt.
Rebecca Horner ist eine edle Gräfin Sibylle, Tante Raymondas, die das fröhliche Quartett der Freundinnen Raymondas samt den ausgelassenen Troubadouren deutlich zur Ordnung ruft. Im letzten Akt legt sie mit dem Igor Milos als König von Ungarn einen „ungarischen Tanz“ hin, bei dem das Publikum am liebsten mitklatschen würde. Freude haben auch Anna Shepelyeva mit Tristan Ridel (Debüt) im Sarazenen-Duo, weil sie trotz des sonderbaren Kopfschmucks nicht zwei Zirkuspferden ähneln und dem vom Pony-Galopp des Corps davor einen mehr tänzerischen Akzent verleihen.
Das Herren Troubadoure samt den ndchenhaften Damen Clémence und Henriette hervorzuheben, hieße die Eulen diesmal in die Provence (dort ist der Ort der simplen Handlung) tragen. Nicht allein, weil die beiden Paare als luftiges, buntes Element choreografiert sind, sondern auch weil die Ausführungen (die Solotänzerinnen Ionna Avraam, Alice Firenze, Solotänzer Masayu Kimoto, Halbsolist James Stephens) Fröhlichkeit und Schwung in die Geschichte bringen. Dass sie die Schwierigkeiten der Choreografie auch technisch beherrschen, ist keine Überraschung.
Liudmilla Konovalova ist über jede Kritik an ihrer Technik erhaben, doch hat sie als Raymonda nicht ihre fulminante Ausstrahlung und hinreißende Bühnenpräsenz gezeigt. Erst im letzten Akt, in der Variation des stilisierten Csardas den Komponist Alexander Glasunow für Soloklavier gesetzt hat. Konovalova zeigt diese getragene Variation voll Delikatesse.
So hat diese 5. Aufführung der Neueinstudierung etwas von dem Glanz eines hochgeschätzten Juwels ahnen lassen. Die 6. Aufführung beendet am 8. Jänner nachmittags mit Maria Yakovleva in der Titelrolle die Serie. Mihail Sosnovschi ist auch dann der heißblütige Fürst Abderachman.
„Raymonda“ Choreografie Rudolf Nurejew nach Marius Petipa; Musik Alexander Glasunow. Bühne und Kostüme: Nicholas Georgiadis. Mit Liudmilla Konovalova, Robert Gabdullin, Ionna Avraam, Alice Firenze, Mihail Sosnovschi, Masayu Kimoto, James Stephens in den Hauptpartien. Gesehen am 3. Jänner 2017, Staatsoper.
Letzte Vorstellung in dieser Saison am 8. Jänner 2017, 16 Uhr (!).