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„Cendrillon“, Ballett von Thierry Malandain

Cendrillon geplagt von der Stieffamlie © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Märchenhaft und komisch ist Thierry Malandains Choreografie zu Sergej Prokofjews Ballettmusik „Cendrilon“. Mit der Geschichte von Aschenputtel, der grausamen Stiefmutter und deren eitlen Töchtern erzählt der französische Choreograf von einem jungen Mädchen auf der Suche nach Anerkennung und Liebe und ihrem Kampf gegen die Einsamkeit. Wie er erklärt, ist sein Cendrillon, eine Tänzerin auf dem Weg nach oben. Wie in Versailles, dem Ort der Uraufführung durch Malandains Compagnie, dem Ballet Biarritz, war das Publikum lautstark begeistert.

Mila Schmidt ist das bezaubernde Aschenputtel sämtliche Bilder © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Dieses „Cendrillon“, nicht aus Schaum jedoch ganz und gar aus der Musik geboren, kann Erwachsene wie Kinder begeistern. Ist es doch klar und einprägsam choreografiert, durch den Wechsel von Dramatik und Emotion mit Komik und Ironie spannend und gleichzeitig herzergreifend. Das Volksopernballett zeigt die gesamte Bandbreite seines Könnens, hat mit Ballettmeister Giuseppe Chiavaro (die Mutter der Uraufführung) hart gearbeitet und ist mit Energie und Präzision dabei. Mila Schmidt in der Titelrolle und Andrés Garcia-Torres als Prinz entzücken mit zwei bezaubernde Pas de deux (auf Halbspitze), Kristina Ermolenok bringt als gute Fee (verstorbene Mutter) märchenhafte Romantik ins Spiel.

Die ungeteilte Gunst des Publikums haben natürlich die drei bösen Frauen, die Stiefmutter mit ihren Töchtern Javotte und Anastasie, getanzt en Travestie von László Benedek, Samuel Colombet und Keisuke Nejime (alle drei Stützen des Volksopernensembles).
Ohne zu outrieren bringSAmuel Clombet, László Benedek, Keisuke Nejime – die Stieffamilie, am Ende geläutert. en sie trotz des miesen Charakters ihrer Rollen, Frohsinn und Mutterwitz in die anfangs so traurige Geschichte. Malandain hat viele kleine Einfälle, die die Choreografie auflockern, setzt sich jedoch auf keinen der überraschenden Gags drauf, legt auf leises Schmunzeln mehr Wert, denn auf brüllendes Gelächter. Dass die drei, das weibliche Bewegungsrepertoire zart persiflierendend, Männer ihre Rollen so richtig genießen, war schon bei den Proben zu erkennen.
Durch das nahezu burleske Verhalten der falschen Frauen ist der Kontrast zu den weichen, mal Trauer, dann wieder Lebensmut ausdrückenden Bewegungen Cendrillons deutlich sichtbar. Der große Ball: Cendrillon trifft den Prinzen (Schmidt, García-Torres) Doch auch die anderen Charaktere sind akzentuiert gestaltet. Besteht die weibliche und männliche Entourage der Fee weniger aus flatterndem Elfengetümmel als aus  insektenhaften Naturwesen, so kriecht der ganz der mit den Krücken fuchtelnden Stiefmutter ergebene Vater (Patrik Hullman) auf allen Vieren durch die Räume. Lediglich in der Traumsequenz, wenn er der Fee (seiner verstorbenen Frau) begegnet, richtet er sich auf.

Zugleich mit dem Märchen verhandelt Malandain auch den Tanz / das Ballett an sich. Wie jedes Kunstwerk sagt auch seine Choreografie etwas über sich selbst aus. Schließlich ist ja das Zentrum der Geschichte / die Wende in Cendrillons grauem Alltag, ein Ball, der große Tanz. Der Tanzmeister, den die Mädchen an der Stange eher langweilen, ist Gleb Shilov.

Aschenputtel und der Prinz (Mila Schmidt, Andrés García-TorresJorge Gallardo hat mit den schlichten Wänden, die mit 300 Schuhen dekoriert sind, ein praktikables Bühnenbild geschaffen, das nicht durch Hollywoodkitsch vom Tanz ablenkt und keinerlei Umbaupausen verlangt. Seine Kostüme sind ebenfalls einfach und unauffällig. Der unheimlich düsteren Walzermusik Prokofjews entsprechend, sind die Ballgäste (auch die Damen tanzen Herren, die weiblichen Ballgäste sind kopflose schwarz gekleidete Puppen auf Rollen) einheitlich in silbergraue Anzüge gekleidet. Malandain ist kein Freund von Glanz und Glitzer, Grau ist seine Lieblingsfarbe. Das Wichtigste ist für ihn nicht das Drumherum (wie etwa in Michael Corders Ballett „Die Schneekönigin“, wo das opulente Bühnenbild und die schweren Kostüme zwar staunen lassen, aber den Tanz ins Abseits drängen), sondern die Sprache der Körper.

Guillermo García Calvo dirigiert das Volksopernorchester mit Umsicht und entlockt ihm auch zarte Töne für die Liebesszenen. Dass Malandain mit seinem Schluss, in dem sich während des traumhaft schönen „Amoroso“ („allersüßestes Andante“) die Figuren aus dem Märchen verabschieden, die Elfen (und Elfs) in ihr Naturreich zurückkehren und das Publikum wieder im Hier und Jetzt landen soll, den unpassenden Applaus geradezu herausfordert, muss in Kauf genommen werden. Der Vater im Märchenreich der fee (Patrik Hullman, Kristina Ermolenok)
Mila Schmidt muss den Finger an Lippen legen und zum Stillsein auffordern, damit das Getöse erlischt und das Orchester wieder zu seinem Recht kommt. Der Choreograf hat mit diesem Schluss bereits Erfahrungen in aller Welt gesammelt und weiß: „Manchmal verstehen sie und klatschen nicht, manchmal klatschen sie, damit muss ich leben.“ Dass in Wien, angeblich die Stadt der Musik, geklatscht wird solange der Dirigent den Stab noch nicht gesenkt hat, zeigt Respektlosigkeit vor den Künstler_innen und mangelnde Sensibilität gegenüber der Musik. 
Malandains „Cendrillon“ ist mit dem Taglioni-European Ballet Award 2014 ausgezeichnet worden, das Ballett wird auch in Wien den Erfolg haben, den Ensemble und Orchester verdienen.

„Cendrillon“, Choreografie Thierry Malandain, Dirigent: Guillermo Garcáa Calvo. Premiere am 13.11.2016, Ensemble der Volksoper im Wiener Staatsballett.
Nächste Vorstellungen in der Volksoper: 17., 27.11. 2016.