The Loose Collective: „On Earth, Part I“,
Das Wissen Macht ist, und auch Geld, das wissen wir schon lange. Dass Forschung und Wissenschaft auch als große Show daherkommen, erleuchtet uns den TV-Abend. Wir vergnügen uns mit den Science Busters und meinen gescheiter geworden zu sein. The Loose Collective betrachtet diese Entwicklung mit skeptischem Vergnügen und zeigt in einer unterhaltsamen Performance mit Text und Ton und Tanz, wie wissenschaftliche Fakten präsentiert und umgedeutet werden können. Eine Unterrichtsstunde mit Intelligenz, Witz und Ironie, in Musik, Gesang und Tanz eingewickelt. Eine fröhlich-rasante Show.
Die Erde ist grau und öd, nichts regt, nichts bewegt sich. Wir warten geduldig, denn wir wissen: Irgendwann wabern die Gasnebel, bald falten sich die Gebirge auf, die Meere werden entstehen und dann, dann wird auch irgendwann aus der toten Materie lebende, aus Schwefelverbindungen entsteht die erste Zelle. Die Erde belebt sich. Auf der Bühne allerdings, nach eingehender mündlicher Belehrung (wer des Englischen nicht wirklich mächtig ist, bleibt ungebildet, unerhält sich dennoch), zuerst mit einer Rocksängerin und einer kräftig auf die Pauke schlagenden Perkussionistin. Richtig: Keine Gaststars sondern die üblichen Mitglieder des lockeren Kollektivs.
Unter Donner und Doria tauchen danach auch die Kreaturen auf, Affen tun auf ihrem Planeten, was sie immer zu tun pflegen, spielen, raufen, übereinander purzeln, und lassen sich von Klimakatastrophen und Kontinentalverschiebungen nicht irritieren. So wenig wie die Krebse in ihren phosphoreszierenden Windelhosen (pardon, das sind die Schwanzplatten), die auf ihren Beinpaaren allerliebst über den Strand hüpfen und vor Lebenslust Räder schlagen.
Als Kreuzung aus Rocky Horror Picture Show, Operette und Rock-Musical mit Tanz zeigt The Loose Collective, was den Mitwirkenden Lust und Freude bereitet, und bleibt seiner Basis treu. Die steht auf den festen Beinen der Skepsis und Ironie, Unterhaltung und Nachdenklichkeit. Dass die Musik immer eine Rolle in den Performances spielen wird, haben sie bereits bei ihrem ersten Auftreten mit „Here comes the Crook“ bewiesen. Diesmal spielen auch das aufwändige Bühnenbild (Hannah Hollmann), der Sound (die Entstehung der Erde ging kaum in aller Stille vor sich und braucht Tonregisseur Stefan Ehgartner) und das Licht (an- und abgeschaltet von Peter Thalhamer) eine wichtige Rolle, abgesehen von Musik und Gesang, die die Performer_innen selbst produzieren.
Das Schauspiel mit Musik und Tanz ist der erste Teil einer geplanten Trilogie, über Füttern, Fighten und F*****, – so wird das nichts, besser funktioniert hier die englische Sprache. Der Stabreim muss im Klartext geschrieben werden, ohne Scheu. Also „Feeding, Fighting and Fucking“ ist das Thema der Trilogie. Dazu passt, welche wissenschaftlich unwiderlegbare These das Collective aufgestellt und als Schlager im Duett vorgetragen hat: „Making love, crating live, making live, creating love.” So ist es + Sternenstaub. Dass wir letztlich daraus bestehen, sagt nicht nur der Alex (s. u.) sondern auch das Internet. Dann wird es schon stimmen.
Schade nur, dass dieser, für eine Freie Gruppe, immense Aufwand nur an zwei Abenden im Tanzquartier zu genießen war. Doch The Loose Collective gibt nicht auf, und zeigt sein Wissen, das wir nicht überprüfen werden, demnächst in Graz. Ob die Stimme aus dem All (Anna Kozeluh), die dem Auditorium all die Klugheiten vorsetzt, Sens oder Nonsens erzählt, ist egal. Wir, die wir an der Vermarktung nicht teilhaben und dem Kapital fernstehen, können so oder so nichts damit anfangen. Deshalb, danke an Alex (Deutinger), der das Schlusswort erobert hat, einen moralischen Kater in sich trägt und uns mitteilt, dass wir letztlich nichts anderes sind als Sternenstaub. Das ist schön. So schön wie die barbusigen Nymphen, die sich, attraktiv auf den Felsen hinter dem Alex drapiert, der untergehenden Sonne entgegenräkeln.
The Loose Collective: „On Earth, Part I“, 15. Oktober 2016, Tanzquartier.
Konzept und Performance: Guenther Berger, Alex Deutinger, Alexander Gottfarb, Thomas Kasebacher (als Performer nicht anwesend), Marta Navaridas, Anna Maria Nowak, Stephan Sperlich. Hanna Hollmann: Kostüme + Bühne; Stefan Ehgartner: Tonregie; Peter Thalhamer: Lichtdesign. Koproduktion: Tanzquartier Wien, Kunstverein Archipelago, Performanceinitiative 22.