Elfriede Jelinek: "Schatten (Eurydike sagt)" im F23
Der Orpheus-Mythos, erdacht und erzählt von Männern, gehört dem Mann. Eurydike, die durch einen Schlangenbiss getötete Gattin des Sängers Orpheus, bleibt im Hintergrund, passiv. Schließlich verpatzt der angeblich so sehr liebende Gatte ihre Rückkehr aus dem Reich das Hades. Eurydike bleibt unten. Elfriede Jelinek meint, das will sie auch. Sabine Mitterecker hat den Monolog, ein endlos kreisendes, auf- und abschwellendes Schimpfen und Jammern, in der riesigen Halle des F 23 großartig umgesetzt.
Bei der Uraufführung 2013 im Akademietheater hat Matthias Hartmann 13 Eurydiken auf der Bühne bewegt, in Karlsruhe, bei der deutschen Erstaufführung benötigte Jan Philipp Gloger nur noch fünf todessehnsüchtige Damen. Mitterecker hat das Personal noch mehr reduziert, drei Eurydiken bemächtigen sich der Textfläche, meckern, klagen, toben, singen auch, bewegen sich im Klangraum von Wolfgang Musil, fallen einander ins Wort, betonen ihren Hass im Chor, beeindrucken das Publikum. Alexandra Sommerfeld, Christina Scherrer, Sarah Sanders sind Eurydike.
Der ganze Raum ist Bühne, das Publikum wandert herum folgt Eurydike auf ihrem Weg in den Hades. Kaum Dekoration, nur zwei, drei Kleiderständer, der Fluss des Vergessens, Lethe, leuchtet in einer Rinne im Beton. Jelineks Orpheus ist ein eitler, selbstverliebter Rockstar, dem die Mädchen hinterher kreischen. Indem sie das Los der Frauen, nicht wahrgenommen zu werden, lediglich der Dekoration zu dienen, beklagt, desavouiert Jelinek diese ebenso mit beißendem, auch plattem Wortwitz. Eurydike ist kaufsüchtig, kann nicht genug Fetzen haben, definiert sich über ihre Kleider, Mädchen sind eine hirnlose schrille Horde und Eurydike macht sich selbst ganz flach, phasenweise ist sie nur noch von Wut beherrscht. Ein nachahmenswertes Frauenbild?
In Mittereckers Inszenierung ist nicht (nur) Eurydike der „Schatten“, obwohl sie das immer wieder behauptet, sondern Orpheus. Der ist nämlich gar nicht da. Nicht nur diese Abwesenheit macht die Inszenierung spannend. Mitterecker geht spielerisch mit dem Text um, lässt die drei Darstellerinnen ohne Pathos sprechen, betont eher die üblichen Jelinek-Kalauer und – das ist genial – lässt die ganze Halle Hades sein, wo Eurydike sich zum ersten und letzten Mal zu Wort meldet. Publikum und Darstellerinnen bewegen sich im selben Raum, Vorraum des Todes – kalt ist die Halle schon.
Wer will rückt der mal wütend klagenden, dann wieder sanft mit Einsamkeit und Ruhe liebäugelnden Schattenfrau ganz nahe, wer sich das Trio auf Distanz halten will (auch Jelineks Eurydike braucht das, will keine Menschen mehr um sich, keinerlei Kommunikation, ganz flach, ganz ruhig, ganz totsein ist besser), bleibt am Rand des Geschehens. Physisch nur, geistig ist das gar nicht möglich. Was Eurydike zu sagen hat, will man schon hören, sich wundern und auch ein wenig amüsieren.
Amüsant zu lesen auch der Text des Dramaturgen (!) im Programmfolder. All die gescheiten Wörter über Mythos und Jelinek, Männer und Macht zu einer Theateraufführung in deren Mittelpunkt eine Frau steht, sind, wie könnte es anders sein, von einem Mann. Die Regisseurin braucht keine Wortkaskaden von sich zu geben, sie hat Jelinek und sie hat ihre fabelhafte Inszenierung.
Elfriede Jelinek: „Schatten (Eurydike sagt)“, Regie Sabine Mitterecker, theaterpunkt. Darstellerinnen: Sarah Sanders, Christina Scherrer, Alexandra Sommerfeld. Klangregie Wolfgang Musil. 13. Oktober 2016, F 23, Breitenfurterstraße 176.
Weitere Vorstellungen: 18./20., 23. /25. Oktober, 19.30.