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Le Corsaire am Nachmittag – Bejubelt

Konovalova: brillante Médora

Die Rechnung des Ballettdirektors ist aufgegangen. Seine Choreografie des Balletts „Le Corsaire“ begeistert das Publikum. Liudmila Konovalova als Médora, Kiyoka Hashimoto als Gulnare rissen auch in der Nachmittagsvorstellung am Ostermontag – die  4. der Serie – Stehplatz wie Parkett in der Wiener Staatsoper zu Beifallsstürmen hin. Richard Szabó debütierte mit Verve als des Korsaren Gegenspieler, Birbanto. 

Auch wenn nach mehrmaligem Besuch die Schwächen der Neuinszenierung des Ballettklassikers aus dem 19. Jahrhundert durch Ballettchef Manuel Legris deutlich zu sehen sind, so ruft jede Aufführung doch neuerlich Jubel und Begeisterung der Zuschauer hervor. „Le Corsaire“, entschlackt und verknappt, hat sich ganz schnell einen Platz auf der Hitliste erobert. Nicht weit vom beliebten Nurejew-Ballett „Don Quixote“ entfernt.
Das liegt einerseits ganz sicher amschnörkellos erzählten und leicht zu verstehenden Handlungsablauf, auch am bunten Treiben zwischen Basar, Serail und Räuberhöhle, aber vor allem wohl an den Tänzer_innen (Solist_innen wie Corps verstärkt durch die Jugend aus der Ballettakademie), die der so gar nicht zeitgemäßen Geschichte vom permanenten Frauenraub wahre Glanzlichter aufsetzen. 

Die beiden weiblichen Solorollen, die versklavten Griechinnen Médora und Gulnare (die eine gewöhnt sich an den als edle Figur, diesmal von Alexis Forabosco getanzten, Pascha, die andere liebt den Räuberhauptmann Conrad, der sie am Ende auch behalten darf) hat Legris nicht wirklich differenziert charakterisiert. Auch wenn er die Rolle der Gulnare vergrößert hat, die Freundinnen sind austauschbar. So ist es möglich, dass die Ersten Solotänzerinnen beide Rollen einstudieren mussten / durften und nun mal die eine, mal die andere tanzen können. In der zuletzt gesehenen Vorstellung wurde die frisch gebackene Erste Solistin, Kiyoka Hashimoto, als zierliche Gulnare im Palast und liebliche Blume im lebenden Garten mit Ovationen überhäuft. Gulnare (neue Erste Solotänzerin Kiyoka Hashimoto) im Serail © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Liudmila Konovalova debütierte als Médora und zeigte sich wieder mal als Inkarnation des Spitzentanzes. Ihre gedrehten Fouettés (en tournant) entlocken die Fans regelmäßig tiefe Seufzer und donnernden Applaus. Auch im bekannten „Pas d’esclave“, in dem die gefangene Médora im klassischen Tutu dem Pascha präsentiert wird, begeistert die Konovalova. Legris hat diese Gala- und Wettbewerbs taugliche Nummer in ihrer Obszönität noch akzentuiert, sodass sich zur Begeisterung auch leichtes Grauen mischt. Ganz klar wird in diesem vom Sklavenhändler Lanquedem (diesmal getanzt und gesprungen von Mihail Sosnovschi) unterstützten Pas de deux gezeigt, was da eigentlich verkauft wird. 


Fort mit der Gedanken Blässe. Doch wer will bei einem leichtfüßig getanzten Ballettabend schon ernsthafte Gedanken wälzen. Ballett eignet sich nicht für Kritik an den Zuständen. Weder an den gestrigen, noch an den heutigen, die einander fatal ähneln.
Birbanto in derRäuberhöhle (Richard Szabó) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Wieder zum Schönen, Edlen, Guten und Wahren. Richard Szabó ist ein beherzter Birbanto, der Zulméa, mit immerwährenden Frohsinn und energiegeladener Verlässlichkeit: Alice Firenze, aus dem Serail in die Räuberhöhle lockt und – natürlich – missbraucht: Sie muss die giftige Blume, die Conrad außer Gefecht setzen soll, überbringen. Was Frauen nicht alles aus Liebe tun. Doch die List geht schief, Conrad, der Kühne, erwacht aus der Ohnmacht und auch seine Médora wehrt sich. Der böse Birbanto muss im letzten Akt sterben – nicht die einzige Leiche.
Nach dem ständigen Hin und Her der begehrten Médora lässt die Aufmerksamkeit im „lebenden Garten“ schon etwas nach. Nicht die der Tänzerinnen ist gemeint, die beugen allerliebst ihre Blumengirlanden und die jüngsten Knaben der Ballettakademie hoppeln als Kürbisse verkleidet possierlich um die Solistin, doch es flieht meine Konzentrationsfähigkeit Zu lange muss ich in diesem Garten verweilen, der Blütenduft wird schal.

Doppelt gemoppelt. Auch der doppelte Schluss ist mir kein Anliegen. Was die Matrosen auf der kunstvoll gebauten Fregatte treiben, entspringt den krausen Vorstellungen einer Landratte. Lanquedem, der Skalvenhändler im Palast des Pascha. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Sowohl während der Ouvertüre als auch am Ende, während die Korsaren mit sanften Winden in See stechen und das Schiff gleich drauf im Gewittersturm von den gar nicht mehr ruhigen Wellen verschlungen wird, fuchteln die Seeräuber mit den Armen und wackeln mit den Köpfen. Sinnlos. Das unhörbare Kommando scheint zu sein: „Bewegt euch irgendwie! Im Serail müsst ihr samt Damen und Dienern ohnehin wie angemalt am Rand stehen.“
 Sei’s drum, ein in den Meereswogen zerberstendes Schiff ist fast genauso aufregend und schön anzusehen, wie ein vom Schwanensee verschlungener Prinz. Prinz Conrad, pardon Corsaire Conrad (auch am besprochenen Nachmittag Robert Gabdullin), geht nicht unter, tanzt eine letzte Variation mit der eroberten Médora.
Vorhang. Applaus. Noch Vorhänge. Noch Applaus. Für alle und besonders für den Dirigenten Valery Ovsianikov.

„Le Corsaire“ Ballett in drei Akten, Choreografie Manuel Legris nach Marius Petipa und anderen. Debüt von Liudmila Konovalova als Médora, Richard Szabó als Birbanto. 28.3. 2016, Wiener Staatsballett in der Staatsoper. 3. Vorstellung nach der Premiere.