Manuel Legris: „Le Corsaire“
Mit seiner ersten eigenen Choreografie hat Ballettdirektor Manuel Legris das Premierenpublikum in der Staatsoper richtig begeistert. „Le Corsaire“, ein mehrfach bearbeitetes Ballett zur Musik von Adolph Adam und einigen anderen, eroberte letztlich in der Version von Marius Petipa von 1858 die Ballettbühnen der Welt. Nur in Wien war der gesamte Abend noch nie zu sehen – gewesen. Legris hat sich seiner angenommen und alles neu gemacht: Libretto, Musikzusammenstellung, Choreografie. Bis auf die paar von Gala-Aufführungen bekannten Nummern ist der Wiener „Corsaire“ ganz allein Legris’ Arbeit und Fantasie entsprungen.
Die Handlung ist entwirrt, die Schauplätze reduziert, die Musik (neben Adolph Adam, liefert auch Leo Delibes einen schönen Pas de deux) durch Igor Zapravdin neu geordnet und ergänzt. Besonders stolz ist der Ballettkorrepetitor und Pianist der Staatsoper auf die Trouvaille „L’Écumeur de mer“, ebenfalls ein Seräuber- Ballett, das Adam noch vor dem „Corsaire“ komponiert hat. In Legris’ Choreografie tanzen die Odalisken nach dem Fundstück.. Und wie schön! Natascha Mair, Nina Tonoli und Prisca Zeisel sind diese entzückenden Dienerinnen im Harem des Paschas, gespielt von Mihail Sosnovschi mit einer guten Portion Humor.
An diesem Premierenabend sind Namen keineswegs Schall und Rauch, hat doch der inszenierende Chef der Compagnie seinen Tänzerinnen und Tänzern die Rollen auf dem Leib geschneidert. Mit intensivem und liebevollem Training ist es ihm gelungen, die Talente der Solist/innen bestens einzusetzen, schlummernde gar hervorzulocken. Allen voran brillieren die Damen, die Ersten Solotänzerinnen, Maria Yakovleva (Médora) und Liudmila Konovalova (Gulnare, eine deutlich aufgewertete Rolle) als zwei einander ebenbürtige Ballerinen. Konovalova, kostbar und strahlend, Yakovleva, elegant, weich und zugleich quirlig. Auf und an der Spitze, gebührt beiden die Krone.
Der so sonnige und liebenswürdige Kirill Kourlaev hat die Rolle des Bösen gepachtet und auch in „Le Corsaire“ ist er als Sklavenhändler nicht gerade ein Sympathieträger. Doch als Tänzer erobert er die Herzen, mit Freude an seinen hohen, wirbelnden Sprüngen und seinem traurigen Blick als Gefangener der Korsaren. Auch er eine perfekte Besetzung.
So nebenbei, das Corps de ballet (Sklavinnen, Haremsdamen, Gefährtinnen der Korsaren) tanzt für Legris als buntes Volk, auf Zehenspitzen zwar, doch ohne Spitzenschuhe. Fast Folklore. Sehr passend. Luisa Spinatelli hat mit der Assistentin Monia Torchia Bühnenbild und Kostüme gestaltet. Nicht aufregend: locker wehende Röcke, glitzernde Corsagen und Hosen für Médora und Gulnare, eine bunte Tracht für Zulméa. Eine feine Rolle für die lebendige Alice Firenze.
Zulméa verliebt sich in Birbanto, den Kompagnon Conrads, des titelgebenden Korsaren, und unterstützt ihn bei der Verschwörung gegen diesen. Davide Dato ist der hinreißende, leider geldgierige und verräterische, Birbanto. Legris weiß genau, was er an diesem jungen Solisten hat. An Energie, Tanz- und Spielfreude übertrifft er den Tänzer der Titelrolle, Robert Gabdullin.
Mehr edler Prinz, als wilder Korsar. Gewiss, der Erste Solotänzer ist eine elegante Erscheinung, setzt seine Gesten und Sprünge bewusst, doch ist er zu sorgfältig darauf bedacht, keinen Fehler zu machen.
Ein schöner Prinz, aber kein feuriger, risikobereiter Freibeuter. Da kann ihn Yakovleva als Médora noch so verliebt umschmeicheln, es entkommt ihm keine Gefühlsregung. Nicht einmal an der Bettkante (im eingeschobenen Pas de deux aus Leo Delibes’ Ballett „Sylvia“) kann Médora die Flamme nicht entfachen. Aus der Liebesnacht wird ohnehin nichts, weil der böse Birbanto samt seiner Zulméa Conrad töten will, ihn aber nur in kurzen Tiefschlaf versetzt. Legris hat Gabdullin in nahezu allen folgenden Vorstellungen besetzt. So will ich vertrauen, dass, nach dem Abklingen des Premierenfiebers und dem herzlichen Applaus, Conrad, der Korsar, seinen Gefühlen endlich freien Lauf lässt.
Tänzerinnen und Tänzer im Mittelunkt. Das Libretto hat Legris gemeinsam mit Jean-François Vazelle, Tanzfachmann, mit dem Legris als Étoile an der Pariser Oper gearbeitet hat, erstellt. Der Wiener „Corsaire“ ist von heute unerträglichem Pomp und Schwulst befreit, die Handlung ist vereinfacht und klar verständlich, die bekannten Bravourstückerl sind erhalten geblieben, die Tanzer-innen haben genügend Raum, zu zeigen was sie können (und lieben), kleine Details der Szenen (etwa die im Land des Paschas unvermeidlichen Teppichverkäufer) bieten Abwechslung und ein schönes Schiff ist auch gebaut worden. Das muss natürlich zum Einsatz kommen und die dröhnende Gewittermusik von Adam ebenso. Also gibt es nach der letzten Szene (Conrad hat Médora endlich aus dem Harem befreit und sticht mit ihr und seinen Getreuen in See) noch einen Epilog, die Apotheose.
Das Schiff zerbirst im Unwetter, die Korsaren, böse Räuber im Grunde, ertrinken. Das liebende Paar aber – Conrad, der die mit Médora geraubten Sklavinnen freilässt und damit den kühnen Birbanto erzürnt, den er schließlich töten muss, und Médora, die Schöne, die in Conrads Räuberseele das Gute findet – wird an den Strand geschleudert. Da liegen sie, in trockenen Kleidern und können sich endlich der Liebe widmen. Doch da ist der Vorhang bereits gefallen.
Nicht nur das Happy End mag dem Publikum gefallen. Die drei abwechslungsreichen Akte und die herovrragenden Leistungen der Tänzerinnen und Tänzer wurden zurecht mit Applaus bedacht. Der klassische Tänzer Legris bekennt sich vorbehaltlos zum klassischen Ballett, ist zwar für Neues offen, doch seine Liebe gehört der Vergangenheit. Die Frage ob ein alter Schinken neu aufgebacken werden muss, ist daher obsolet. Der Meister ist sicher: „Die Wiener werden das Ballett lieben.“
„Le Corsaire“, Ballett in drei Akten, Choreografie: Manuel Legris nach Marius Petipa u.a. Bühnenbild und Kostüme: Luisa Spinatelli. Licht: Marion Hewlett. Dramaturgie und Libretto: Manuel Legris und Jean-François Vazelle nach Lord Byron, Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges und Joseph Mazilier.
Musik: Adolphe Adam u.a., ausgewählt von Manuel Legris und zusammengestellt von Igor Zapravdin. Musikalische Einrichtung: Thomas Heinisch und Gábor Kerény. Choreografische Assistenz: Albert Mirzoyan.
Dirigent: Valery Ovsianikov.
Premiere: 20.3. 2016, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Weitere Vorstellungen: 21., 23.,28., 31. März, 2. April.
Bilder: © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor