Osterfestival Tirol – Olivier Dubois: "Souls"
„Seelen“ nennt der renommierte französische Choreograf Olivier Dubois, sein neuestes Stück. Sechs Tänzer aus verschiedenen afrikanischen Ländern ziehen Spuren im Sand. Spuren der Seelen, eingeprägt, wieder gelöscht, ein Logbuch des Schicksals, ein Archiv der Schicksale. Eine Reise vom Leben zum Tod, der das Leben erst so richtig bestätigt. Ein von Trommelwirbel akzentuierter Abend, meditativ und fesselnd.
Die Körper sind bereits da, wenn das Publikum den Saal betritt, liegen regungslos im Sand, schälen sich wenn die Dämmerung sich aufhellt allmählich heraus, bewegen sich wie in Trance, als erhöben sich die Seelen aus den Gräbern,; wälzen sich übereinander, Zwillingsseelen. Nach "Elégie" (Osterfestival Tirol 2014) zeigt Dubois nun "Souls / Seelen", einen Dance macabre, der 2014 in Kairo uraufgeführt worden ist und seit dem mit Erfolg auf Tournee durch Europa.
Mystisch, magisch, mythisch ist die von Olivier Dubois mit sechs Tänzern unterschiedlicher Herkunft (Tshireletso Molambo, Südafrika, Youness Aboulakoul, Marokko, Jean-Paul Mehansio, Elfenbeinküste, Hardo Papa Salif Ka, Senegal, Ahmed El Gendy, Ägypten, Djino Alolo Sabin, Kongo) erarbeitete Performance, die von lautem Trommelrhythmus begleitet wird. Wie Kinder tollen die sechs Männer eine kurze Zeitspanne durch den Sand, werfen goldene Fontänen hoch, beenden das Spiel so schnell, wie es begonnen hat. Das Schicksal behandelt nicht alle gleich, die einen werden zu Trägern, die anderen sind Getragene. Schwer ist beider Los, als leblose Körper hängen die Getragenen, einer sogar kopfüber, an den sich im gedehnten Takt im Kreis Wandelnden. Beider Schicksal ist unabdingbar, sitzt den einen im Nacken, ist nicht abzuwerfen, hat die anderen im Würgegriff, ohne Fluchtmöglichkeit.
Bewegter Stillstand. Die bedächtigen, nahezu feierlichen, rhythmischen Bewegungen lassen die Zeit still stehen, erlauben es, die Gedanken schweifen zu lassen. Und endlich hat auch das Schwätzen und Handyspielen des Publikums ein Ende. Sogar die Letzten haben nun begriffen, dass das Stück längst begonnen hat, auch wenn es sich kaum bewegt.
Mit leeren Gesichtern, nur die Augäpfel funkeln mitunter im spärlichen Licht, wie Zombies schleppen sich die Körper durch den Sand. Aggression liegt in der Luft, metallisches Hämmern heizt sie auf und schon bricht sie los. Nun sind die Sandfontänen nicht mehr Ergebnis eines fröhlichen Spiels, sondern Waffen, wer nahe der Bühne sitzt, spürt den Staub im trockenen Mund. Schreie ertönen, jeder gegen jeden, keiner hilft dem anderen. Und dann das abrupte Ende mit Schrecken. Einer ist liegen geblieben, rührt sich nicht mehr.
Tanzender Tod. Doch das Ende ist der Anfang. Der Tote begräbt die Lebenden, bettet sie zärtlich in den Sand, jeden auf seine eigene Ruhestätte, legt sie zurecht, gibt ihnen einen sandigen Polster für den Kopf, ordnet Arme, Hände und Füße, leistet Schwerarbeit. Er ist nicht der Tote, er ist der Tod, unabdingbarer Teil des Lebens. Wenn alle fünf Körper begraben sind, tanzt der Tod durch den Sand, zeigt, dass es bei all dem Elend, dem schweren Gewicht des Schicksals auch Grund zur Fröhlichkeit gibt.
Im Gespräch. Nach Stille und losbrechendem Applaus, die Überraschung: Olivier Dubois, der gern als Enfant terrible des Tanzes beschrieben wird, ist ein humorvoller, umgänglicher Mensch, der sich selber lieber als Autor bezeichnet, denn als Choreograf. Hat er doch die sechs seelenvollen Männer nicht nach ihrer Tanzerfahrung oder -ausbildung gewählt, sondern nach dem, „was sie mitbringen, was sie zu geben haben. Ich habe keine Tänzer gesucht, sondern Menschen.“ So erzählt Seelentänzer Djino Alolo Sabin, dass er bevor er zu Dubois gekommen ist, nicht einmal gewusst hat, was ein Casting ist und auch seine Heimat Kongo noch niemals verlassen hat. Jean-Paul Mehansio aus Elfenbeinküste, wünscht sich, dass die täglich neu erarbeitete Performance nach der Europatournee auch in Afrika gezeigt wird: „Wie das Stück dort aufgenommen werden wird, kann ich mir nicht vorstellen. Tanzen in Afrika heißt laute Musik und heftige Bewegungen. Was wir machen ist zeitgenössischer europäischer Tanz.“
Dubois will mit seinem Stück „Souls“ nicht über Afrika und die Afrikaner sprechen – „Die sind so verschieden, dass es ein Afrika gar nicht gibt. Schauen Sie, es sind nicht einmal alle schwarz, sie sprechen auch nicht die selbe Sprache.“ –, sondern über das allgemein Menschliche. Da passt es natürlich, dass Afrika als die Wiege der Menschheit gilt. Dubois nennt seinen Ausgangspunkt eher einen geografischen: „Ich bin viel in Ägypten und von da habe ich dann eine Linie gezogen. Ob ich Anfänger oder erfahrene Tänzer nehme, ist egal, denn am Beginn jeden neuen Stückes ist doch jeder ein Anfänger.“ „Souls“ hat er gemeinsam mit dem Komponisten François Cafenne entwickelt: „Die Komposition der Musik und das Entwickeln der Choreografie gingen Hand in Hand. Aber der Chef war immer ich.“
Obwohl Olivier Dubois seine außergewöhnlichen und kaum einzuordnenden Kreationen gern mit archaischem Pathos garniert, steht er (wie seine nach der Vorstellung sichtlich erleichterten und überaus fröhlichen Tänzer) fest auf dem Boden der Tatsachen und vergisst daher nicht, dem Osterfestival Tirol seinen Dank auszusprechen: „Manchmal ist der Sand voller Steine und wir müssen viel Zeit aufwenden, um die heraus zu klauben, damit es nicht gefährlich wird. Oder er ist viel zu leicht und staubt nur, statt in der Luft stehen zu blieben. Hier war er richtig, die richtige Masse, die richtige Dichte, die richtige Farbe, alles war perfekt.“ Applaus, Applaus. Und weil auch die schönsten Seelen in einem physischen Körper wohnen, haben die Künstler genug vom Reden und wollen die verströmte Energie („Tanzen ist sehr schwer, aber auf dem Sand zu tanzen, ist noch einmal so schwer“) wieder zurück holen. Banal ausgedrückt: Zur Suppe, zur Suppe.
Ballet du Nord / Olivier Dubois: „Souls“, 24. März 2015, Dogana, Innsbruck, im Rahmen von Osterfestival Tirol 20.3. – 5.4. 2015)
Performance: „… auf den Spuren von …“, 31. März 2015, 20.15 Uhr , Salzlager, Hall in Tirol. Freier Eintritt. Mit einem Team des Ballet du Nord arbeiten tanzinteressierte Menschen aus Tirol seit Anfang März nach Olivier Dubois’ Choreografie „Tragédie“ (2012). Für die Teilnehmerinnen geht es vor allem darum, an einem kreativen Prozess teilzunehmen und zu erfahren wie ein Stück entsteht. Für kurze Zeit sind sie Mitglieder des Ballet du Nord und zeigen als unwiederbringliches Unikat das Ergebnis der Arbeit.