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„La fille mal gardée“: Die 3. Witwe

Marcin Dempc tanzt Alain © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Publikum wie Tänzer lieben die Witwe Simone, Mutter der eigenwilligen Lise im Ballett „La fille mal gardée“. Tänzerisch wie darstellerisch herausfordernd, wird diese Rolle, die viel Raum für vorsichtige Improvisation lässt, traditionell von einem Mann getanzt, komisches Talent vorausgesetzt. In der aktuellen Serie, triumphierte Roman Lazik, nach ihm haben Eno Peçi und Andrey Kaydanovskiy die Holzschuhe angezogen.

Im Gegensatz zum ebenso berühmten und beliebten „Holzschuhtanz“ im dritten Akt der Oper „Zar und Zimmermann“ (Albert Lortzing), der einem holländischen Nationaltanz nachempfunden ist, stammt die Einlage der Mutter Simone aus der englischen Grafschaft Lancashire, wo auch mit hämmernden Sohlen gesteppt wird. Wäre Frederick Ashton, der Choreograf, ein Alpenländer gewesen, so hätte er wohl einen Schuhplattler eingebaut. Die Musik, die Komponist (und Arrangeur) John Lanchbery den gaggergelben Holzschuhen (insgesamt sind es fünf Paar, denn mit der Witwe tanzen beschwingt auch vier Jugendliche Witwe mit tolapatschigem Schwiegersohn in spe (Kaydnovskiy, Democ) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor nge Mädchen) verpasst hat, ist so etwas wie das Leitmotiv der launischen Alleinerzieherin.

Andrey Kaydanovskiy, der zuletzt die Rolle nach seinem Geschmack interpretiert hat, lässt sich auf keinerlei Spassetteln ein, weiß genau, dass das Komische nicht an die Rampe gespielt werden darf und das Gelächter am herzlichsten ist, wenn Komik überraschend sichtbar wird. Das ist offenbar auch dem anderen Rollendebütanten klar: Marcin Dempc ist Alain, den Lise, das schlecht gehütete Mädchen, unter keinen Umständen heiraten will, was Mutter Simone zur Verzweiflung und sogar zu einer Ohrfeige treibt.  Dempc ist ein possierlicher Bursche, der seinen roten Regenschirm umklammert , weil er sich von ihm besser beschützt fühlt, als vom Vater. Der hat den Ahnungslosen im Einvernehmen mit der verwitweten Bäuerin bereits verkuppelt. Dempc bleibt nüchtern und zurückhaltend, konzentriert sich auf die Schritte und Sprünge zur Musik und das ist tatsächlich witzig genug.

Lise, sylphidenhaft; Colas, eingesprungen (Hashimoto, Sosnovschi) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Auch eine neue Lise hat es geschafft, den Mann zu heiraten, in den sie verliebt ist: Kiyoka Hashimoto ist eine entzückende Sylphide und macht immer wieder deutlich, dass die Urfassung des Balletts („Le Ballet de la paille / Das Strohballett“) zu den „romantischen Balletten“ zählt und Ashton dies auch in den Solos und Pas de deux des Hauptpaares durchaus durchschimmern lässt. Dennoch, Lise ist keine Sylphide sondern ein g’standenes Bauernmädel, fröhlich, widerspenstig und verliebt. Da fehlt Hashimoto noch einiges an Ausdruck und Lockerheit.
Seit der Wiederaufnahme des Balletts am 28. November 2015 ist „La fille“ mit großem Erfolg noch 8 Mal getanzt und gespielt worden. Das macht sich im Corps de Ballett bemerkbar. Die Schlampereien und Nachlässigkeiten entspringen der Müdigkeit, auch nimmt die Aufführungspraxis wenig Rücksicht auf Feiertage und Familienbesuch. Das Theater hat immer Vorrang. Gegen den aufkommenden Schlendrian kommen auch die Solist_innen nur schwer an. Es mangelt an Pfeffer und Salz.

Dass daher der Dirigent Paul Connelly mit dem Staatsopernorchester (im Orchestergraben können die Damen und Herren einander ja abwechseln) am nachdrücklichsten beklatscht wird, ist nicht verwunderlich.
Doch das Publikum weiß auch konzentrierte Arbeit und nimmermüde Energie zu schätzen. Auch einer, der gekonnt über den Misthaufen stolziert und und gockelhaft mit den Flügeln schlägt, wird lautstark bedankt. Dieser hingebungsvolle Herr des Hühnerhofs ist immer wieder Marian Furnica. Er trägt den Hahnenkamm mit Witz und Würde.
 Der Hahn (Ausschnitt) © Wiener Staatsballett / Michael Pöhn

Doch nun wird die nötige Pause gewährt. Erst in drei Wochen muckt Lise noch einmal auf und fliegt Colas in die Arme. Der wird sie sicher fangen, denn Jakob Feyferlik tanzt seine erste abendfüllende Rolle als Solist; fliegend ist Natascha Mair als Lise (ebenfalls zum ersten Mal) zu sehen. Weniger aufgeregt aber nicht minder aufregend werden Eno Peçi (Tänzer im Rock) und Dumitru Taran (der Mann mit dem Regenschirm) sein. Sie haben ihre Rollen bereits im Dezember erprobt.

„La Fille mal gardée“, Wiener Staatsballett in der Staatsoper. Mit Rollendebüts am 26. Dezember: Kiyoka Hashimoto, Lise, Andrey Kaydanovskiy, Witwe Simone, Marcin Dempc, Alain und Andrey Teterin, Colas. Gesehen am 30. Dezember 2015. Teterin war verletzt, Mihail Sosnovschi ist als Colas eingesprungen.
Letzte Vorstellung in dieser Saison: 20. Jänner 2016, Staatsoper.