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Abgestaubt: Wissenschaft und Wischenschaft

Simon Dittersdorf, Shabman Chamani, Fabricio Ferrari, Birgit Kellner

Nach Erkundungsspaziergängen in unterschiedlichen Gehäusen bespielt das kreative Kollektiv spitzwegerich wieder einmal eine konventionelle Bühne und zeigen, dass sich mit Staub befassen können, ohne staubig zu werden. Staub … a little mindblow hat am 28.11. im Theater am Werk Premiere gehabt.

Aus Staub geboren: Aus dem riesigen Staubkorn kriechen die vier Performerinnen. Staub. Der wird gemeinhin bekämpft, weggewischt, weggekehrt, weggesaugt, weggeblasen. Und doch ist er immer wieder, oder immer noch, da, überall und jederzeit. Im Himmel wie auf Erden. Was bleibt der Welt und ihren Bewohnerinnen anderes übrig, als sich mit dem Staub zu anzufreunden? Der Kampf gegen ihn ist schon verloren, bevor er begonnen hat. Der Mensch ist aus Staub (sagt die Bibel). Auf der Bühne steht er im Hintergrund.Die Spitzwegeriche haben das schnell verstanden und sich den Staub zu eigen gemacht. Mit ihrem fantastischen Mikroskop haben sie ein Staubkorn vergrößert, sodass die Zuschauerinnen sehen können, wie der Mensch aus Staub geboren wird. Wie wir selbst unter dem Vergrößerungsglas aussehen, zeigt die mannshohe, gar staubige Puppe, die mit beweglichen Gliedmaßen im Hintergrund die Szene beherrscht.
Der lebende Mann aus Staub (Fabricio Ferrari) tanzt mit seinem Doppelgänger, der Staubpuppe, Im Finale bekommt sie einen lebendigen Zwilling. Fabricio Ferrari, der als Putzmann mit Putzfetzen und Kübel hantiert, wird zu Staub, wie es (mehrmals!) in der Bibel behauptet wird. „Bedenke Mensch, dass du Staub bist, …“
Halt! Gepredigt, gemahnt und bekehrt wird nicht, nur ein bissel belehrt. Die Wissenschaft ist schließlich die Würze jeden Gerichts, das von und mit Spitzwegerich serviert wird. Statt Zitate aus dem Alten Testament werden Zeilen aus dem Staub-Lamento von Gerhard Rühm rezitiert und das Publikum weiß jetzt, dass der Staub auch seine poetischen Anteile hat. Birgit Kellner putzt und malt zugleich. Eine winziges achtbeiniges Monster wird sichtbar: die Staubmilbe.Mit Musik und Geräuschen, mit Gesang und Tanz, mit Wischmopp, Wettex und hüpfenden Kübeln wird dem Staub von Shabnam Chamani, Simon Dietersdorfer Fabricio Ferrari und Birgit Kellner auf der Bühne zu Leibe gerückt. Dass das nicht gelingt, ist schon festgestellt worden, also geraten die Performerinnen samt dem Publikum in eine Zeitschleife.Nicht das Murmeltier regiert, sondern das Staubtuch, in der Werbung gern als Magnet angepriesen. Immer wieder ist Putztag, immer wieder setzt sich der Staub auf alle Flächen und lockt grausige Viecher an. Da staubfressende Spinnentier ist lebendig geworden: Shabnam Chamani und Simon Dittersdorf haben sich verwandlet. Birgit Kellner, die als Livezeichnerin 1000 Worte ersetzt, kann die unsichtbare Milbe einprägsam vergrößert, auf den Boden wischen und auch mit Pinsel und Projektor an die Wand schreiben.Die als Röntgenbild gezeichnete Staublunge erweitert die von der Milbe verursachte Schrecksekunde zur Nachdenkminute. Trübe Gedanken werden gleich weg gesungen und getanzt
Wieder einmal zeigt Spitzwegerich, dass auch im Nonsens Sinn ist, dass Wissenschaft nicht staubig sein muss und das großartige Team mit dem Einsatz sämtlicher (sorgfältig abgestaubter) Medien den Staub aus den Gehirnen blasen kann. Auf der Bühne wird bis 7. Dezember gewischt und entstaubt.

Spitzwegerich in Kooperation mit dem Theater am Werk: staub … a little mindblow*, Uraufführung, 28. November 2024; Folgevorstellungen. 29., 30.11. / 5., 6., 7.12.  2024. Theater am Werk @Kabelwerk
Idee, Konzept: spitzwegerich; Text: Natascha Gangl
Von Shabnam Chamani, Simon Dietersdorfer, Fabricio Ferrari, Simon Hajos, Felix Huber, Birgit Kellner, Aslı Kışlal, Ulli Koch, Cristina Garrido Rodríguez, Martina Rösler, Christian Schlechter, Caterina Vögel, Rebekah Wild
Mit Shabnam Chamani (Performance), Simon Dietersdorfer (Live-Musik und Performance), Fabricio Ferrari (Performance), Birgit Kellner (Live-Projektion und Performance)
Fotos: © Apollonia T. Bitzan
Besonderer Dank an Gerhard Rühm für die Möglichkeit, Fragmente aus seinem Staub-Lamento zu singen!
Der Text erschien in Feribord 26, hg. v. Gerhard Jaschke, März 2017.