varukt| Inge Gappmaier: now
Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding. / Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. / Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie. / Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen.“ Hugo von Hofmannsthal lässt die Marschallin in der Oper Der Rosenkavalier über die Zeit sinnieren. Inge Gappmaier hat mit fünf Tänzerinnen die Zeit choreografiert: now / jetzt ist der Titel der installativen Performance.
In einer von Mira König gestalteten Landschaft bewegen sich vier Tänzerinnen und ein Tänzer. Anfangs wie in Trance in scheinbar improvisierten Solos, später gibt die Komposition von Christian Schröder den Takt an, die Tänzerinnen kommunizieren miteinander, fügen sich zur synchron zu einer Gruppenchoreografie.
„Das Publikum ist eingeladen, sich selbst frei durch now zu bewegen und dem eigenen Zeitgefühl nachzuspüren.“ So steht es auf dem Programmzettel, und das ist der Haken an der Performance, die sich nicht auf den Bühnenraum beschränkt, sondern sich ins weite Foyer ausdehnt. Die beiden Räume fügen sich jedoch nicht zusammen, das Publikum bewegt sich ununterbrochen, treppauf und treppab über den Sitzbereich, hinter den Tanzenden her ins Foyer und bildet eine dichte Mauer zwischen den beiden Landschaftsräumen. Keine Chance, dem „eigenen Zeitgefühl nachzufühlen.“
Meines jedenfalls sagt mir, dass die 90 Minuten, die diese Performance dauert, zu lang sind. Es gibt keine Höhepunkte und kein Ziel. Die Tänzerinnen – Su Huber, Lea Karnutsch, Sara Lanner, Luan de Lima und Melina Papoulia – tanzen zum Summen der Musik mit weichen Bewegungen, zum Beat im Sekundentakt werden die Bewegungen härter, rascher, auch aggressiver. Die Tänzerinnen Su Huber, Lea Karnutsch und Melina Papoulia sind an der MUK ausgebildet, Inge Gappmaier hat dort zeitgenössische Tanzpädagogik studiert, ihren Master in Choreografie und Performance hat die Oberösterreicherin am Institut der Angewandten Theaterwissenschaft, JLU Gießen gemacht. Ein hervorragendes Ensemble hat für now zusammengefunden und man sich in den dahinplätschernden Minuten gut mit dem Genuss der sich durch die Landschaft bewegenden, auch in ihr ruhenden Tänzerinnen (Luan de Lima ist natürlich im Begriff Tänzerinnen inkludiert) vergnügen. Doch Zeit ist nicht nur ein sonderbar Ding, sondern auch ein abstrakter Begriff, der sich schwer fassen lässt (siehe: Zeitgefühl) und schon gar nicht tanzen lässt.
Der bewegte Körper beansprucht weniger das Gehirn als das Sonnengeflecht. Humanbiologinnen sollen mich nicht schlagen, deshalb sag’ ich es auch weniger poetisch: Das abstrakte Denken, Lernen, Problemlösen ist in einem Teil des Gehirns, der präfrontaler Kortex genannt wird, angesiedelt. Für die Emotionen ist das limbische System zuständig. Wie auch immer, Tanz und wortlose Performance sind mit der Musik verwandt, oft meist auch verbandelt. Will man abstrakte Begriffe auf der Bühne behandeln, will man denken, diskutieren, philosophieren oder analysieren, dann benötigt man die Sprache, das Wort, die Rede, das Gespräch, kurz den Logos.
Am Ende stehen die fünf Tänzerinnen als Statuen verteilt in beiden abgedunkelten Räumen. Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein.
Das erinnert mich sofort an die Monate der Pandemie. Die waren sehr konkret und haben ein Loch in die Zeit geschlagen. Es gibt ein Davor und Danach und dazwischen ein schwarzes Loch, das für Viele das Zeitgefühl verschlungen hat.
Kurz muss ich noch das Zeitgefühl der Leserinnen strapazieren: Im von Christian Frieß fein gestalteten, Gedanken anregenden Programmfalter sinniert Gappmaier über die Entstehung der Zeiteinteilung und der Zeitmessung. Aufgefaltet zeigt das Plakat eine kartierte Landschaft mit unterschiedlichen Räumen und Inseln. Was mit der Performance gesagt werden soll, erklärt sich allerdings nicht daraus.
Inge Gappmaier: now, performative Installation. Uraufführung; 25. September 2024. Folgevorstellungen: 27., 28., 29.9. 2024, brut nordwestbahnstraße.
Künstlerische Leitung. Inge Gappmaier
Tanz / Performance: Su Huber, Lea Karnutsch, Sara Lanner, Luan de Lima, Melina Papoulia
Bühne und Kostüm: Mira König; Musik, Komposition: Christian Schröder; Lichtdesign Robert Läßig
Fotos: varukt | Inge Gappmaier „now“ © Natali Glišić