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Sexualität, (k)ein peinliches Thema

Marko Jovanovic und Selina Rudlof in „Zunder“

Der Dschungel Wien, Theater für junges Publikum, feiert sein 20. Jahr und eröffnet die aktuelle Saison mit einer Uraufführung für 11–15-Jährige. Zunder von Rachel Müller widmet sich in der Regie von Manuel Horak einem Erwachsenen meist peinlichen Thema, der Sexualität. Ein fein gebautes Theaterstück, in dem das Thema Sexualität mit Offenheit, Humor und Einfühlungsvermögen behandelt wird.

Tom (Marko Jovanovic) hat ein neues Handy und landet versehentlich auf einer Pornoseite.Für die Kunst war Sexualität schon immer ein Thema und durch das Internet sind sexualisierte Inhalte auch für junge Menschen zugänglich. Reka und Tom plumpsen beim Spiel mit dem neuen Handy direkt auf eine Pornoseite. Sie taumeln zwischen ihren Gefühlen, zwischen Faszination und Abscheu, Neugierde und Verwirrung. Reka ist mehr die Neugierige, die viele Fragen hat, zu den kopflosen nackten Körpern, die sich auf animierten GIF-Dateien oder Internetseiten winden. Antworten bekommen sie keine.
Tom ist verwirrt, spürt Faszination und Abscheu zugleich, informiert sich im Internet und glaubt alles, was da so verzapft wird. Auch er sucht nach Antworten, doch so wie die Mutter von Reka ist auch der große Bruder Toms peinlich berührt, druckst herum und sagt nichts. Nicht nur die Erwachsenen, auch die Jugendlichen finden keine gemeinsame Sprache mehr.
Bald können die beiden auch miteinander nicht mehr kommunizieren, auch ihnen fehlen die Worte für ihre unterschiedlichen Gefühle, für all das, was zwischen zwei Körpern passiert und angeblich Lust weckt und Freude macht, aber von der Kirche verboten ist. Reka hat dann die wunderbare Idee, die Geschichte Sexualität in der bildenden Kunst zu recherchieren. In dieser kurzen, überaus amüsanten und auch für Erwachsene lehrreichen Szene zeigt sich das Können des gesamten Teams. Nicht ohne Grund ist Zunder Gewinnstück der Nachwuchsförderung MAGMA , einer Kooperation zwischen DRAMA FORUM und Dschungel-Wien. Der große Bruder (Huster) antwortet nur ungern auf die Fragen des verwirrten Tom (Jovanovic).
Es sind nur drei Darstellerinnen auf der Bühne, doch sie spielen viele Personen in fließendem Übergang, und doch deutlich, sodass immer klar ist, wer wer ist. Sophie Eidenberger hat das Bühnenbild mit einem praktikablen Würfel gestaltet. Der weiße Würfel kann leicht verschoben werden, wenn für den ins Stück nahtlos integrierten abwechslungsreichen und sinnvollen Tanz (Choreografie von Fabian Tobias Huster) Platz gebraucht wird. Dreht man ihn mit der offenen Seite zum Publikum, wird er zum Wohnzimmer, Kinderzimmer oder gibt den Blick auf andere unterschiedliche Aufenthaltsorte frei. Die Ausbildung der jungen Künstlerin Eidenberger setzt in Erstaunen, deshalb werde ich sie nicht verschweigen: Sophie Eidenberger hat eine echte Wohlfühl-Bühne in dunklem Rosa geschaffen (im Bild: Jovanovic, Rudlof)
BA Theater-, Film- und Medienwissenschaft (Universität Wien); Mag.a Szenografie an der Akademie der Bildenden Künste Wien /Royal Academy of Fine Arts Antwerpen. Sie macht ihren Professorinnen alle Ehre.
Die anderen Teammitglieder stehen ihr in nichts nach. Rachel Müller, die das Stück geschrieben hat, muss viel recherchiert haben. Ganz dezent verwendet sie Jugendsprache, wie man sie auch in der U-Bahn hören kann, nichts wirkt gekünstelt oder gar peinlich. Auch der Vortrag über die Sexualität in der Kunst wird, so wie die eingeblendeten Chats der Buben, die natürlich das Mädchen ausschließen von ihren pseudoerotischen Fantasien, mit Leichtigkeit und Esprit serviert, sodass sich jegliche Peinlichkeit und Sprachlosigkeit auflösen. Der Vater findet auf Rekas fragen keine andere Antwort als Handy-Verbot. (Huster, Rudlof)Als Choreograf hat der Tänzer und Darsteller Fabian Tobias Huster für die Dynamik der Aufführung gesorgt, die sinnvoll eingesetzten Videos ergänzen das Bühnenbild. Selina Rudlof und Marko Jovanovic sind zwei sympathische Teenager, locker und fröhlich, verklemmt und verlegen, doch immer natürlich, wie es die Rolle verlangt. Sie können sprechen und sich auch bewegen, Choreograf Fabian Tobias Huster, der die Nebenrollen spielt, hat keine Probleme mit den beiden. Applaus für die beiden Darstellerinnen Marko Jovanovic, Selina Rudlof.Das Publikum übrigens auch nicht, immer von Neuem holt es das Team vor den imagingren Vorhang. Das kann nur bedeuten: Liebes Team, weitermachen.   

Die zweite Uraufführung an diesem Eröffnungstag ist eine Produktion der Austrian Fashion Association in Kooperation mit dem Dschungel Wien und nicht der Rede wert. Das Beste, was ich für diese Moralpredigt, getarnt als Schnellsprechwettbewerb, ohne Dramaturgie, mit unsinnigen Video-Einspielungen und einem abruptem Themenwechsel tun kann, ist, den Mantel des Schweigens über Who cares what you wear? zu breiten.

Rachel Müller + Manuel Horak: Zunder, Konzept von Sophie Eidenberger, Manuel Horak, Fabian Tobias Huster, Marko Jovanovic, Rachel Müller.
Uraufführung: Dschungel Wien, 21. September 2024.
Text: Rachel Müller; Regie: Manuel Horak; Bühne + Kostüme: Sophie Eidenberger; Choreografie: Fabian Tobias Huster; Musik: Osgar Böhm
Performance: Marko Jovanovic, Selina Rudlof, Fabian Tobias Huster
 Fotos: © Franzi Kreis
Weitere Vorstellungen: www.dschungelwien.at