Sex and Crime bunt gemischt – Willi ist schuld
Es wird getanzt und gestampft, gesungen und gebrüllt und am Ende auch geduscht. William Shakespeare ist Pate für zwei Abende über und mit Sex and Crime. Billy’s Joy und Billy’s Violence sind Komödien und Tragödien Shakespeares durch die Brille der Needcompany gesehen. Beide Stücke werden während des ImPulsTanzFestival im Akademietheater präsentiert. Das Mordsspektakel stammt aus dem Jahr 2021; der Freudentanz hat in Wien seine Uraufführung überlebt. Der Premierenapplaus am 11. Juli war nicht gerade überwältigend.
Nach 40 Jahren kann die renommierte Die Needcompany, ein Familienbetrieb, 1986 gegründet von Jan Lauwers und Grace Ellen Barkey, kaum noch überraschen. Auch nicht mit Fantasien über und Zitaten von William Shakespeare.
Nicht nur bei Billys Originalen geht es direkt und recht deftig zu Sache, auch in der Adaption von zehn shakespeareschen Tragödien werden auf der Bühne wahre Gewaltorgien gefeiert. Victor Afung Lauwers hat die Texte geschrieben, im Blut wälzen sich Grace Ellen Barakey, Louise Lauwers, Juan Navarro, Maarten Seghers und andere. „Empfohlen ab 16“, warnt ImPulsTanz auf der entsprechenden Seite.
Dann doch lieber Billy’s Joy. Davor wird nicht gewarnt und es gibt auch wenig zu sagen, und was gesagt / geschrieben worden ist, stimmt nicht ganz. Billy’s Joy ist, s. o., eine Uraufführung. Blut spritzt keines, doch lustig ist es auch nicht auf der Bühne. Es wird zwar katalanisch gekocht und riecht etwas angebrannt und gerauft, nicht nur unter Männern und Bären. Ja, ein Bär ist auch da, er schält sich bald aus dem Fell und geht in die Küche. Der Bär nennt sich Pourquoi, das ist Französisch und bedeutet warum. Vermutlich sind solche Wortspiele tiefsinnig. Wie es sich für ein Drama gehört, hat auch dieses etwas wirre und verwirrende Musik-Theater-Tanzstück fünf Akte. Der Erste spielt im Märchenwald, Sycorax ist die Feenkönigin, doch sie gehört gar nicht in den Sommernachtstraum und auch nicht zu Romeo und Julia, sondern in Billy’s Tempest, weil sie die Mutter des Naturburschen oder Kannibalen Caliban, des geplagten Sklaven in der Tragödie "Der Sturm", ist. Julia hat sich übrigens in Eden umbenannt und ich ahne schon wieder so einen Tiefsinn. Das Paradies liegt unter dem kurzen Rock.
Die Hexe Sycorax ist längst tot bevor der Sturm einsetzt, doch auch als Feenkönigin bleibt sie streitlustig und garstig, das bekommt vor allem Oberon zu spüren. Und weil sich das ganze Schlamassel eindeutig in einer Sommernacht abspielt, ist der erste, der auftritt, der Esel, der wird dann zum Narren, der in keiner Komödie des alten Bill fehlen darf. Im Stück heißt er Fluido, und der Tiefsinn lässt mich an Plastilin und klebrige Gesichtsgels denken. Weil wir aber im Akademietheater sitzen und nicht in der Physikstunde, so steht der Fluido einfach für den Kurzreim: Nix is fix. Darum geht es sicher auch, doch vor allem um Liebe und Versöhnung, also um das Gute in der Welt. So liest es sich im Programmheft. Das Gute und Schöne mag es im Märchenland ja geben, aber nicht, wenn die Needcompany sich dort ansiedelt. Romeo verwandelt sich in einen Spiegelschrank, damit der die plappernden Teenies bei ihrem Sexpalaver belauschen kann. Das Publikum ist gezwungen, dem hohlen Gewäsch ebenfalls zuzuhören. Romeo und Julia / Eden kennen einander schon, doch dass sie eigentlich Katharina, die Widerspenstige, ist, fällt ihm nicht auf. Diese Komödie über eine Zähmung ist, wie ich als weibliches Heterowesen es sehe, in Wahrheit eine Tragödie. Das muss jeder Frau klar sein. Mit dem Ehering am Finger wird Katharina zum Käthchen, neigt den Kopf und krümmt den Rücken. Pfui! Eine Tragödie mit Tarnhelm. Eher zum Heulen als zum Lustigsein. Pardon, Verirrung, es geht ja um das berühmte Liebespaar, das an Liebe nicht interessiert ist, sondern an eher herzhaften erotischen Köstlichkeiten. Romeo hängt als Spiegelkasten waagrecht im Seilzug, Julia liegt am Boden und versucht, durch Hohlkreuz hinten und Bauchwölbung vorn ihre empfindlichen Regionen in die Nähe des hübschen Kerls zu bringen. Ob die Übung erfolgreich war, wird entweder nicht gezeigt oder ich habe es verschlafen.
Zum Glück sind wir schon im 4. Akt angelangt und da wird „Taler, Taler, du musst wandern“ mit einer güldenen Krone gespielt. Das erinnert mich an Johann Kresniks (1939–2019) unter die Haut kriechendes Tanztheaterstück über Macbeth, doch das ist schon wieder eine Tragödie und gehört nicht hier her. Muss ich mich für Assoziationen entschuldigen? Nein, sagen die Normaldenkenden. Oder die andere, die Nichtnormaldenkende? Gibt es eigentlich auch die Nichtdenken? Egal, die Kategorie der Irgendwiedenkenden haben für das Bühnenvolk, also, alle im Theater, ob auf der Bühne oder davor, keinerlei Relevanz.Auch in der Welt der Needcompany gibt es niemanden, die / der sich mit solchen von einer Hauptfrau erfundenen Kategorien beschäftigt. Ein Gutpunkt! Und auch dafür, dass die angekündigten 105 Minuten nicht überschritten worden sind, sonst wäre womöglich der Applaus noch lahmer und das Schulterzucken und Gähnen noch deutlicher geworden. Der Name Jan Lauwers zieht noch immer und die Needcompany wird als Highlight des diesjährigen Impusltanz Festival angepriesen. Der Spielort Akademietheater lässt auch auf Qualität hoffen. Immerhin war Lauwers mit seiner Company von 2009 bis 2014 Artist in Residence am Burgtheater (Direktion: Matthias Hartmann), auch hat er sich sogar Verdienste um die Republik Österreich erworben, dafür hat er 2021 ein Goldenes Ehrenzeichen bekommen. Also noch einmal Applaus.
Needcompany: Billy’s Joy, Uraufführung, 11. Juli 2023, ImPulsTanz. Akademietheater.
Text: Victor Afung Lauwers; Musik: Maarten Seghers
Kreation: Jan Lauwers, Grace Ellen Barkey, Emily Hehl, Nao Albet, Gonzalo Cunill, Romy Louise Lauwers, Juan Navarro, Maarten Seghers, Meron Verbelen, Martha Gardner; Dramaturgie: Elke Janssens
Technische Leitung und Licht: Koen De Saeger; Technisches Team: Jannes Dierynck, Raphael Noel, Jérémy Michel; Ton: Ditten Lerooij; Requisiten und Kostüme: Charlotte Seeligmüller.
Foto: © Wonge Bergmann im Auftrag der Needcompany
Weitere Aufführungen: 13., 14. Juli 2023. Billy’s Violence: 14.Juli 2023, 19 Uhr.