Nikolaus Adler: „Bright Red“, Tanz im WuK
Ballett muss nicht unbedingt in Spitzenschuhen und Tutu daherkommen, auch ein Bühnenwerk, in dem die Bewegung zur Musik, also der Tanz, im Mittelpunkt steht, darf Ballett genannt werden. In diesem Sinne meine ich, im WuK ein feines, ja perfektes Ballett gesehen zu haben. Choreografie: Nikolaus Adler, Musik: Elektronik Gruppen + eine Prise Vivaldi; Tänzerinnen: Laura Fisher, Katharina Illnar, Lea Karnutsch, Eva-Maria Schaller; Tänzer: Alberto Cissello, Xianghui Zeng. Das Gesamtpaket: Ein genussvolles Erlebnis.
Adler hat sich von einem Lied der Performancekünstlerin und Sängerin Laurie Anderson inspirieren lassen. „World Without End” ist auf Andersons Album “Bright Red” zu finden, drei Zeilen aus der letzte Strophe lauten so:
When my father dies we put him in the ground
When my father died
It was like a whole library had burned down.
Das erklärt den Titel und womöglich auch ein wenig, wie Adler mit den Tänzerinnen und Tänzern gearbeitet hat. Ein grüner Benzinkanister gehört auch zu dieser Erinnerung an den Song. Am Ende wird mit dem Wasser drinnen die Tanzwut gelöscht, zumindest die von Katahrina Illnar. Doch im Grund kann Laurie Anderson und die Trauer um ihren Vater schnell vergessen werden, die vier Tänzerinnen und zwei Tänzer haben eine Choreografie geprobt und mit ihren eigenen Bewegungen, Gedanken und Geschichten gefüllt. Sie tanzen für sich und miteinander, stören einander, werden kurz aggressiv, um gleich wieder im Pas de deux Gemeinsamkeit zu zeigen, eine übernimmt die Sprache der anderen, sie sind sich einig und tanzen synchron. Je länger alle zusammen oder eine ganz allein, doch sicher auf die anderen wartend, auf der Büne ist, desto enger rücken alle zusammen, gleichen ihre Körpersprache an, den Gang, das Heben der Arme, das Neigen des Kopfes, das Werfen der Blicke, Blinzeln und Lächeln, und doch bleiben jede und jeder eigenartig und einzigartig.
Selten ist, dass eine freie Tanzgruppe samt Choreografen sich so musikalisch zeigt. Die von Adler ausgewählte großteils elektronische Musik unterstreicht den unaufhaltsamen Fluss der Bewegungen, drängt sich nicht auf, stört nicht und ist doch mehr als nur nebenher rauschende Begleitung.
Auch wenn Adler nach Laurie Anderson die Bibliothek als Metapher für die Menschen einsetzt, so wird nicht geschrieben, keine Pantomime, keine Bilder und Videos stören die präzisen, meist weichen Begegnungen, irritieren die Körperspannung und Konzentration.
Es ist fatal, ist diese Buch-Metapher einmal ins Gehirn gesickert, kommt man nicht mehr davon los. Schon sehe ich Kapitel mit unterschiedlichen Überschriften, in unterschiedlichen Stilen geschrieben, schon tauchen Krimis samt gefundenen Tätern auf, Liebesromane mit glücklichem Paar. Im letzten Kapitel fällt an der Hinterseite der Bühne eine weiße Wand mit einem Knall herunter, erhellt den ganzen Raum, der davor rundum schwarz ausgekleidet war. Damit erhellen sich auch die Mienen der Tänzerinnen, die Kommunikation mit den anderen, ob gesprochen oder getanzt, macht froh. Froh war nach der Premiere auch das Publikum, was mit herzlichem langanhaltendem Applaus kundgetan wird, wenn die Bücher zugeklappt sind.
Nikolaus Adler: „Bright Red“.
Konzept, Choreografie: Nikolaus Adler. Tanz, Choreografie: Alberto Cessello, Laura Fischer, Katharina Illnar, Lea Karnutsch, Eva-Maria Schaller, Xianghui Zeng. Szenografie, Kostüme: Sophie Eidenberger; Lichtdesign: Joe Albrecht; Musikalische Beratung: Wolfgang Urban. Musik: Autechre, Biosphere, Kreidler, The Black Dog, Antonio Vivaldi. Produktion, Presse: Simon Hajos / Die Kulturproduktion. Premiere: 30. April 2022. Folgevorstellungen: 1., 4., 6., 7. Mai 2022, WuK.
Fotos © Tomas Salamonski