Sara Lanner: „Mining Minds“, brut nordwest
Mit einem doppeldeutigen Titel führt die Tänzerin / Choreografin Sara Lanner das Publikum unter die Erde und ins eigene Innere. Ausgehend vom Bergbau untersucht sie gemeinsam mit dem Tänzer Costas Kekis den Zwiespalt, der unsere Welt trennt und zugleich zusammenhält. Als bildende Künstlerin hat Lanner auch die Bühne im großen Theatersaal des brut nordwest gestaltet, das ausgeklügelte Lichtdesign und die Toncollage ergänzen die Aufführung zu einem Gesamtkunstwerk.
Premiere war 14. Oktober im neuen Domizil des brut.
„Mining“ bedeutet schürfen im Bergwerk und erinnert auch an Datamining, die Extraktion von Mustern und Wissen aus großen Datenmengen, das englische Verb to mind hat vielerlei Bedeutung, von denken und bedenken bis berücksichtigen und aufpassen. Das Substantiv meint den Geist, den Verstand, aber auch die Meinung oder die Absicht. Das titelgebende Wortspiel zeigt, wie vielfältig die Performance zu deuten ist. Doch ist es nicht Lanners Absicht, dem Publikum Vorgekautes zu servieren oder mit Pathos zu indoktrinieren. Ihre Inszenierung überlässt dem Publikum einen weiten Raum für eigene Gedanken.
Wenn Kekis als Schildkröte unter seinem Panzer auf die Bühne kriecht, scheint ein Gewitter loszubrechen, die Metallplatte auf seinem Rücken schlägt Wellen, klickt und klackt und knackt. Auf dem Boden liegen glänzende Silberplatten, auf denen sich die nackten Beine der Tänzerin spiegeln, wenn die von der Decke hängenden Grubenlampen erloschen sind und das Lampenarrangement im Hintergrund die Bühne in Tageslicht taucht.
Die Ausstattung der Bühne weist auf das Mining, Schürfen, Graben, hin. Gold und Silber, Kupfer und Eisen glänzen, Salz rieselt von oben herab, Schätze, die nur in schwerer Arbeit gehoben werden können. Doch die, die diese Werte an die Oberfläche holen, ernten nicht den Gewinn.
Lanner und Kekis bewegen ihre Körper auf unterschiedliche Weise und arbeiten doch harmonisch zusammen. Ein spannendes Duett ist das Zentrum der Aufführung, das von Gemeinsamem und Trennendem, von Kooperation und Ausbeutung erzählt. Der Sound ist sparsam eingesetzt, im Berg rattert die Lore auf den Schienen, es wird gehämmert und Steine gebrochen. Dann herrscht wieder angenehme Stille. Auf- und abschwellende Töne begleiten den oszillierenden Draht, den Kekis und Lanner so gekonnt in Schwingung versetzen, dass sich wunderbare optische Effekte ergeben. Verlassen die beiden die Lichtquelle, sieht man zwar die bewegten Hände, die den Draht halten, aber das Objekt selbst ist verschwunden. Da ist es nicht schwer, an das Schürfen immaterieller Ressourcen zu denken und auch das „Mining“ als zwischenmenschliche Begegnung zu erkennen. Recht konkret stellen Lanner und Kekis das „personal mining“ dar. Die in Bewegung umgesetzte Metaphern sind auch für Tanzfreundinnen ein wahrer Genuss.
Gegen Ende öffnet sich die schwarze Wand, eigentlich nur ein Vorhang, im Hintergrund und das Paar tanzt in die helle Tageswelt hinaus, doch auch hier liegen am Boden Artefakte aus dem Bergbau. Wir sind Teil des Prozesses und müssen uns entscheiden, wie wir uns verhalten.
Kekis und Lanner, von Hanna Hollmann in korrespondierende, doch unterschiedliche Kostüme gekleidet, bieten eine sehenswerte Performance und vermitteln ohne Aufdringlichkeit, aber mit schönen Bewegungen und perfekter Körperbeherrschung auch Bedenkenswertes. Der Applaus bleibt nicht aus.
„Mining Minds“. Künstlerische Leitung Sara Lanner, Choreografie, Performance Costas Kekis, Sara Lanner. Lichtdesign und Raumkonzept Bruno Pocheron; Sound Peter Plos, Kostüm Hanna Hollmann. Dramaturgie, Beratung Gabrielle Cram. Performative Objekte und Raumkonzept Sara Lanner. 14., 15., 16., 17. Oktober 2021, brut nordwest.