ImPulsTanz: Kosmos Wiener Tanzmoderne
Der Tanzhistorikerin Andrea Amort ist es ein Anliegen, die Geschichte der Wiener Tanzmoderne aus dem Archiv heraus zu holen und auf der Bühne erlebbar zu machen. Für die von ihr 2019 kuratierte Ausstellung im Theatermuseum „Kosmos Wiener Tanzmoderne“ hat sie eine Reihe von jungen Tänzerinnen versammelt, die sich mit der reichen Fülle der Wiener Tanzmoderne auseinandergesetzt , Werke einstudieren, auf ihre Weise interpretiert haben, und sich auch zu eigenen Choreografien inspirieren gelassen haben. Ein Großteil dieses Begleitprogramms der Ausstellung ist im Rahmen von ImPulsTanz am 25. Juli im MuTh gezeigt worden.
Ausgangspunkt für das vielfältige Programm war das Werk der Tänzerin und Choreografin Rosalia Chladek (1905–1995), die bis 1977 in Wien als Tanzpädagogin am Konservatorium der Stadt Wien (heute MuK) und an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst (heute Universität) gelehrt und Tänzerinnen ausgebildet hat. „Vor allem durch ihren Beitrag“, meint Amort, „hat der ‚Kosmos‘ der Wiener Tanzgeschichte heute noch Bestand.“ Schon für die Aufführungen im Theatermuseum wurde auch dreier weiterer Exponentinnen gedacht: Werke Hanna Berger, Gertrud Bodenwieser und Gertrud Kraus haben das Programm ergänzt, sodass der ursprüngliche Titel, „Rosalia Cladek Reenacted“ aktuell in „Kosmos Wiener Tanzmoderne“ geändert worden ist. Der Erweiterung dieses Kosmos durch die Erinnerungen an die vielen anderen Wiener Tanzkünstlerinnen der Zwischenkriegszeit im 20. Jahrhundert steht nichts mehr im Wege.
Die Aufführung der Einstudierungen und Eigenkreationen auf der akustisch und optisch bestens ausgestatteten Bühne des MuTh hat bewusst gemacht, unter welch schwierigen Bedingungen die Tänzerinnen im März 2019 ihre Solos auf dem knarrenden Parkettboden des Eroicasaals im Theatermuseum gezeigt haben. Alle Teile der Neueinstudierung haben sich zu ihrem Vorteil verändert, weil die Tänzerinnen genügend Bewegungsfreiheit und Raum haben und die Licht und Klang der Begleitmusik stimmen. Und natürlich auch, weil die Tänzerinnen an ihren Interpretationen und eigenen Choreografien weitergearbeitet haben. Schon im ersten Stück, dem dreiteiligen Solo nach Rosalia Chladek, getanzt von Eva-Maria Schaller, war das klar. Was mir damals vor zwei Jahren wohl auch durch Wohnzimmeratmosphäre im Eroicasaal als übertriebenes Pathos erschienen ist, habe ich im MuTh nicht mehr gefunden. Schaller ist nicht nur das junge Bauernmädchen Jeanne mit ihrer Vision, sie verkörpert auch die Kämpferin in der silbernen Rüstung und schließlich die eingesperrte und gefolterte Johanna, die nichts von ihrer Vision aufgibt und voll Gottvertrauen auf ihre Rettung wartet. Ein ganzes Leben in 15 Minuten. Die historische Figur wird zu einer gegenwärtigen, Chladeks Solo gehört jetzt Eva-Maria Schaller. Susi Wisiak hat es 2019 mit ihr einstudiert.
„Totengeleite – Zwei Möglichkeiten der Eigeninterpretation“ wird nach einer Choreografie Chladeks von 1936 von Katharina Illnar getanzt und ebenso gewonnen. Vor allem, weil Illnar diesmal von Elnaz Bekham live am Klavier begleitet wird. Ihr Solo „Luzifer“, 1938 im Konzerthaus von Stockholm gezeigt, hat die Tänzerin Rosalia Chladek persönlich an den Tänzer Harmen Tromp weitergegeben. Der wiederum hat mit der Tänzerin Farah Deen eine heutige Version, den städtischen Teufel 2019, „Urban Luzifer“, einstudiert. Politische Korrektness, so meint Deen, erlaube es heute nicht mehr, den Begriff „urban“ zu verwenden und streicht ihn deshalb bewusst durch. „Urban Luzifer“, das Böse ist nicht mehr erkennbar, es tarnt sich mit Glutaugen und lockenden Gebärden, besticht durch Schönheit. Deen tanzt zu den von Tromp gesprochenen Worten, die Luzifers Zauberkünste deutlich machen.Katharina Senk tanzt ihre Version von Chladeks „Tanz mit dem Stab“ aus dem Rhythmen-Zyklus und Cora Kartmann fügt dem Ausstellungsprogramm eine neue Facette hinzu: „meadow on the ground and all over me“ ist eine Recherche zum Bewegungsmaterial von Gertrud Bodenwieser zur Musik von Ludwig van Beethoven (Erster Satz der Pathétique) und Arthur Rubinstein. Deutlich macht sie mit den weich schwingenden Armen und vielen Drehungen, wie sehr sich der Stil der 15 Jahre älteren Bodenwieser von dem Chladeks unterscheidet. Über einen Kamm ist die Wiener Tanzmoderne nicht zu scheren.
Eva-Maria Kraft zeigt ein Reenactment einer Choreografie Chladeks, „blending“ genannt, und Eva-Maria Schaller kommt noch einmal auf die Bühne, diesmal als „Die Unbekannte aus der Seine“, einem nur fragmentarisch erhaltenem Solo von Hanna Berger. Die Arbeit daran mit Esther Koller hat Schaller so inspiriert, dass sie den fehlenden ersten Teil imaginiert und mit zwei weitere kurzen Stücken Bergers eine eigene Performance geschaffen hat. Sie zeigt diese am 31. Juli 2021 im Rahmen von ImPulsTanz.
Zum Abschluss tanzt Loulou Omer ihre mit dem Autorenfilmer Goran Rebic erarbeitete Erinnerung an Gertrud Kraus. Omer ist in Israel geboren, wo ihre Familie direkt neben der von Kraus nach ihrer Flucht gegründeten Tanzschule gewohnt hat. Der Mutter der Wiener Tänzerin hat mitgetanzt und war Mitglied der Compagnie von Gertrud Kraus. Als Andrea Amort Loulou Omer eingeladen hat, an dem Tanzabend im Rahmen der Ausstellung teilzunehmen, hat sie keine Ahnung von der Bindung der Tänzerin, die von Tel-Aviv nach Wien genommen ist, an die 1977 verstorbene Tänzerin, die von Wien nach Tel-Aviv ausgewandet ist, gehabt.
Diese anregende und wertvolle Präsentation im MuTh war gut besucht und jede Darabietung ist von einem interessierten Publikum heftig beklatscht worden.
„Kosmos Wiener Tanzmodernde“. Künstlerische Gesamtleitun: Andrea Amort; Produktionsleitung: Inge Gappmaier. Tänzerinnen: Farah Deen, Katharina Illnar, Cora Kartmann, Eva-Maria Kraft, Loulou Omer, Eva-Maria Schaller, Katharina Senk. 24. Juli 2021, MuTh / ImPulsTanz Festival.
Fotos: © Armin Bardel
Demnächst: „Recalling her Dance – A choreographic Encounter with Hanna Berger“ von und mit Eva-Maria Schaller. 31. Juli 2021 MuTh / ImPulsTanz Festival.