"Rosalia Chladek Reenacted" im Theatermuseum
Die Ausstellung „Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne“ weist schon im Entree auf die zentrale Figur der Wiener Tanzmoderne, die Tänzerin, Choreografin und Pädagogin Rosalia Chladek (1905–1995) hin. Um eine Vorstellung von Chladeks reichem choreografischem und tänzerischen Schaffen zu bekommen, hat die Kuratorin der Ausstellung, die Tanzhistorikerin und Leiterin des MUK-Archivs Andrea Amortan Absolventinnen der MUK eingeladen, drei Abenden Chladeks Soli wieder lebendig werden lassen.
Chladeks Erbe wird in den Tanzklassen der MUK auch heute noch gepflegt und ist Grundlage der Ausbildung. So nimmt es nicht Wunder, dass viele Schülerinnen und auch die wenigen Schüler bestens mit der Chladek-Methode und den Choreografien vertraut sind und genau wissen und auch spüren, aus welchen Wurzeln ihr zeitgenössisches Bewegungsvokabular seine Kraft zieht. Acht Tänzerinnen und ein Tänzer haben sich mit den Stücken Chladeks beschäftigt, sie einstudiert, nachvollzogen, wiederholt, neu interpretiert, re-enacted, wieder in Kraft gesetzt. Zu meiner Überraschung funktionieren viele von Chladeks ausdrucksstarken Stücken auch in der Interpretation durch heutige Körper. Wider Erwarten, sind viele Stücke, die weniger Geschichten als Emotionen und Sinneseindrücke zeigen, keineswegs von hehrem Pathos getragen. Man darf sich auch ohne jeglichen Gedanken an eine Bedeutung an der puren Bewegung des Körpers erfreuen. Wie etwa in den von Martina Haager rekonstruierten und gezeigten Teilen des „Rhythmen-Zyklus" („gestampft – fließend – gebunden – Tanz mit dem Stab“). Katharina Senk hat den letzten Teil dieser Premiere dann auf ihre Weise als „Tanz. Mit dem Stab“ neu gezeigt. Im roten Hosenanzug, dramatisch und ein bisschen lasziv. Gefühlvoll, zur von Rupert Huber adaptierten Sarabande aus der „Suite im alten Stil“ von Arcangelo Corelli, hat auch Eva-Maria Kraft das im Film „Aus meinem Leben – Rosalia Chladek“ überlieferte Solo „blending“ interpretiert. Mit zarten Bewegungen zeigt Kraft in ihrem „Reenactment“ die Verschmelzung ihrer eigenen Körpersprache mit der der Ausdruckstänzerin. Auch in der Musik wird die Verwandlung des historischen Materials in eine zeitgenössische Komposition deutlich.
Wunderbar war der Zeitsprung über nahezu 100 Jahre auch in der Gegenüberstellung von Original und Neu im Teufels-Akt aus Chladeks 1938 entstandener Erzengel-Suite zu sehen. Chladek hat diese Choreografie persönlich an den Tänzer Harmen Tromp weitergegeben, der „Luzifer“ nun mit Katharina Senk und Adrian Infeld einstudiert hat. Ohne Musikbegleitung tanzen die beiden, alternierend an unterschiedlichen Abenden, ihre Version der Original-Choreografie. So richtig teuflisch aber wird erst „Urban Luzifer“ durch die Hip Hop Tänzerin Farah Deen, die ihre Interpretation ebenfalls mit Tromp einstudiert hat. Der Tänzer ist im begleitenden Text auch als Rapper zu hören. Der gestürzte Engel wird durch Deen zu einer faszinierenden Teufelin mit funkelnden Augen, die mit der Attraktivität des Bösen spielt: „Verführerisch. Verlockend. Fadenziehend. Luzifer.“ hämmert Harmen Tromps Stimme (nach Chladek).
Konnten an diesen Abenden Einsatz, Körperbeherrschung und Ausdruckskraft der Tänzerinnen auch ohne Vorwissen genossen werden, so eröffnete sich für Interessierte tatsächlich ein ganzer Tanzkosmos, wenn nicht nur eine erlernte alte Choreografie gezeigt, sondern immer wieder auch der gesellschaftliche und historische Kontext einbezogen wurde. Wenn Katharina Illnar im von Barbara Auersperg nach dem Original angefertigten Kostüm Chladeks schlichtes Stück „Totengeleit“ (1936) in „zwei Möglichkeiten der Eigeninterpretation“ zeigt. Nur minimale Bewegungen mit dem Kopf oder den Händen verändern die Stimmung. Schade, dass die Klavierbegleitung aus der Konserve erklingen musste. Ebenfalls ein Mitschnitt aus Paris mit Volker Nemmer am Klavier hat Eva-Maria Schaller als „Jeanne d’Arc“ (1934) begleitet. Auch sie hat ein nach dem Original geschneidertes Kostüm (Manora Auersperg) getragen, aber kein „Reenactment“ geboten, sondern die Szenenfolge genau nach dem Original einstudiert. „Es war mein Interesse an der weiblichen Protagonistin, weshalb ich mich entschied, Jeanne d’Arc“ zu lernen, schreibt Schaller im Programmheft und gibt zu, dass „eine enorme Reibung an dieser Figur“ in ihr entstanden ist. Schließlich hat sie den Schlüssel gefunden: „Ich stelle Jeanne d’Arc als Projektionsfläche aus. Im Spannungsfeld zwischen meinem heutigen Bewusstsein und der Bejahung von Chladeks Choreografie, liegt das Moment des Reenactments.“ So wirklich funktionieren diese Szenen aus dem Leben der französischen Nationalheldin und „Heilige“ der katholischen Kirche, nachdem sie genau von deren Vertretern zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt worden ist, nicht. So großartig die formale Darstellung Schallers dieses teilweise verzückten und auch irregeleiteten jungen Mädchens ist, so bricht doch immer heute unerträgliches Pathos durch, auch fehlt mir jeglicher Bezug zur Religiosität, um das expressive Solo zu genießen.
„Rosalia Chladek Reenacted“, Choreografien von Rosalia Chladek aus den 1920er bis 1950er Jahren, rekonstruiert, einstudiert, neu interpretiert von Farah Deen, Cäcilie Färber, Martina Haager, Katharina Illnar, Adrian Infeld, Eva-Maria kraft, Felicitas Rainer, Eva-Maria Schaller, Katharina Senk. 29., 30. und 31. März 2019 im Rahmen der Ausstellung „Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne“, Theatermuseum.
„Bits and Pieces“, Tanz-Kurzstücke, auch Ausschnitte aus dem „Reenactment“-Abend und Lectures mit KünstlerInnen und in Kooperation mit Tanz-Studierenden der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK. Ab 1. Mai 2019, Mittwoch und Donnerstag, 16 Uhr in der Ausstellung.
Aktuelle Fotos von Armin Bardel.