Markus Schinwald: „Danse Macabre“, Festwochen
Ein tiefgehendes Erlebnis! Weniger makaber als fantastisch, ein Konzert, eine Performance, ein großartiges Bühnenbild. Für all das ist der bildende Künstler Markus Schinwald verantwortlich. Sein Blick auf die mittelalterliche Bilderfolge des „Totentanzes“ ist bei den Wiener Festwochen als „Dance Macabre" im F23 aufgeführt worden. Eine Auftragsarbeit, also auch eine Uraufführung am 4. Juni im F 23, die Schinwald für die Augen geschaffen und mit der Komposition von Matthew Chamberlain für die Ohren aufgewertet hat. Das Publikum, in die Mitte des Geschehens und des großartigen Tongemäldes platziert, durfte sehen, hören und fühlen.
Erklärt werden muss nichts, jede / jeder darf selbst interpretieren, was es zu sehen und u hören gibt. Auf jeden Fall neun Performer:innen und ein Orchester, 23 Mitglieder des Ensembles PHACE. Die Bühne besteht aus weißen Paneelen, die unvermittelt verschiedene Öffnungen, Türen, Fenster, Laden öffnen, wobei auch hinter den rund um die Raum für die Zuschauer:innen aufgestellten Wänden, das Bühnenleben weitergeht. Nur spärliche Blicke dorthin sind erlaubt. Durch schmale Luken blinken die Blasinstrumente, manche Musiker:innen sitzen oben auf der Galerie und schauen auf das Publikum herab, die Tänzer:innen treten auf, produzieren sich, empfangen den Tod zu einem Tänzchen, sind überrascht oder auch erfreut, verschwinden wieder. Der Tod zieht weiter, sucht sein nächstes Opfer.
Wie Opfer kommen sie mir nicht vor, die in fantastische Kostüme gehüllten Männer und Frauen, einen Ritter sehe ich, eine Figur aus der commedia dell’arte, eine prächtige Königin, ganz in Gold und Schwarz gehüllt, und junge Mädchen, von einer sind nur ein Arm oder ein Bein zu sehen, die Tänzerin Linda Samaraweerová ist in einer sich selbst öffnenden Lade eingeschlossen.
Oleg Soulimenko hat seinen Auftritt auf dem Dach eines kleinen Hauses, setzt sich den Zylinder auf und zieht den Schlafrock an und begibt sich auf dem rundum laufenden Steg auf Wanderschaft, um Jung und Alt, Eitel und Bescheiden zu besuchen, und sich mit ihnen im Tanz zu drehen. Er ist der Tod, ein eher lustiger Mann im Schlafrock, der keine Sense trägt und gar nicht unheimlich und auch nicht böse ist. Er scheint seine Kandidaten zu lieben, und viele empfangen ihn mit Wohlwollen oder gar Freude. Doch im Orchester hört man immer wieder die Uhr ticken, wenn die Zeit für die Eine oder den Anderen abgelaufen ist.
Auch von den Zuschauer:innen ist Aktion verlangt. Man sitzt in gehörigem Abstand auf rot geflammten Hockern, die Schinwald eigens für das knapp einstündige Ereignis entworfen hat. Im Programmheft lese ich, dass wir „im Fegefeuer sitzen“. Heiß war es am Tag meines Besuches, dem 6. Juni, vor allem unter der drückenden Nachmittagssonne. In neueren Interpretationen der katholischen Lehre vom Fegefeuer wird der imaginäre Ort nicht mehr als Strafanstalt, sondern eher als Waschsalon gesehen. Das Purgatorium ist eine Reinigungsanstalt. Wie weit sich das Publikum in solche Spekulationen vertieft, bleibt offen, die meisten sind wohl gekommen, um ein von einem Künstler ersonnenes und von vielen Künstler:innen ausgeführtes Ereignis zu genießen.
Komponist Matthew Chamberlain hat sich viele Gedanken über den „Sensenmann / Reaper“ und die Darstellung des „Totentanz“ im Mittelalter gemacht und sie alle in seine Komposition aus neun Sätzen einfließen lassen. Die Overtüre besteht nur aus drei Tönen, die für das Präludium ständig wiederholt werden. Chamberlain nennt diese Sequenz „Das Ende“ und zieht sie durch die gesamte Partitur, bis zum Finale. Dann heißt es „Ende, Ende, Ende, Ende“ und es folgt nur noch ein kurzer „Danse Macabre“. Der Tod macht seinen Diener, für diesmal hat er genug geerntet. Er kehrt an einen unbekannten Ort zurück, wo ihn ein Engel (oder eher der Vater Gott mit Bart und weißem Hemd) erwartet, der in Gestalt des Jack Hauser stumm und bewegungslos an der einzig leeren Wand steht. Nach dem Applaus kann man sehen, dass der Performer keine Chance hat, sich zu entfernen, er hängt an einem Haken und muss bleiben, bis ihn der Tod abholt. Offenbar werden auch die Geistwesen nicht von ihm verschont. Noch einmal muss ich auf die großartige, melodienreiche Musik zurückkommen. Die 23 Musiker:innen sitzen rundum verteilt, sodass die Musik das Publikum quasi einschließt. Die feierlichen bis sanften Töne strömen aus allen Richtungen und sind für die wechselnde Stimmung verantwortlich. Chamberlain verzichtet ganz auf die Schmeichelmusik der Streicher, setzt nur Blasinstrumente ein, von der zirpenden Flöte über die heldenhaften Tenorposaune bis zur brummenden Tuba. Zusätzlich werden Schlaginstrumente und Sampler eingesetzt. Allein diese Komposition evoziert Bilder, die länger haften als der ephemere Tanz des netten Herrn im karierten Schlafrock mit Männern und Frauen. Zumal man sich, um wirklich alles zu sehe,n immer wieder auf dem Hocker drehen und wenden muss, weil man neugierig ist, was hinter dem Rücken oder auf der Seite passiert.
Und es passiert allerhand, auch wenn der vazierende Tod, von der Musik angetrieben, Regie führt.
Die Botschaft, die die mittelalterliche Bilderfolge vermitteln sollte, ist klar: Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann, alle kommen gleichermaßen dran. Die Frauen sind in der Reihe so weit hinten (gewesen), dass man sie gar nicht mehr sieht. Wie auch immer, es geht darum, auch der sogenannten Elite klar zu machen, dass am Ende alle Menschen gleich sind, für den Tod gibt es weder Standes- noch Klassenunterschiede. Schinwald ergänzt im Programmheft diese Aussage noch.
Sein „Dance Macabre“ soll vor allem erinnern, „dass wir mit der Gleichheit nicht auf den Tod watren sollen.“
Markus Schinwald / Matthew Chamberlain / PHACE: „Danse Macabre“,
Konzept, Regie, Bühne: Markus Schinwald: Mit Musik von Matthew Chamberlain. Mit Oleg Soulimenko, Evandro Pedroni, Jack Hauser, Linda Samaraweerová, Alice Schneider, Julia Müllner, Philippe Riéra, Imani Rameses, Elisabeth Tambwe. Ein Auftragswerk der Wiener Festwochen. Welturaufführung: 4.6. F 23. Vorstellungen: 5., 6., 8., 9. Juni 2021.
Fotos: Nurith Wagner-Straus