Thomas Desi: Tarkovsky – der 8. Film, Musiktheater
Eine großartige, spannende Multimedia-Performance, die wirklich alle Stückeln spielt: Musik, Schauspiel, Gesang und filmische Effekte im Spiegelkabinett. Thomas Desi ist ein Verehrer des russischen Filmemachers Andrej Tarkowskij (1932–1986) und hat sich intensiv mit dessen Leben und Werk beschäftigt. In „Tarkovsky – der 8. Film“ lässt er den Regisseur als Cowboy doppelt wieder erstehen und mit dem Schicksal hadern, weil es ihm nicht gegönnt ist, den 8. Film zu verwirklichen. Desi schenkt ihm den seinen.
Im Dunkel ertönen die dumpfen Töne eines selbst gebauten Blasinstruments, vielleicht eine Tuba. Die Musiker sind nur Schemen, sie sitzen hinter einem Vorhang, der sich später als Projektionswand entpuppt. Ein Mann im Cowboyhut taucht auf, sein Double ist hinter der Spiegelwand zu sehen. Ein Schuss ertönt, Tarkowskij, denn ihn mimt Gilbert Handler, und sein Doppelgänger fallen um, tot. Aber nicht ganz. Für Thomas Desi stehen sie beide wieder auf, sind fiktionale Figuren, biografischen Fakten nachempfunden. Den gesamten langen Opernabend bleibt Tarkowskij (Handler) allein auf der Bühne, kommuniziert nur mit einer weiblichen Stimme, deinem Chatpot, der in einer rot und grün blinkenden Lampeverbren ist und unbrauchbare Ratschläge erteilt. Auch mit von einem sehr sympathischen russisch sprechenden Zyklopen erhält der Wildwest-Tarkowsky Tipps fürs Leben oder Sterben. fDer, sich anmutig und tänzerisch auf der Filmwand bewegend, ist ein Roboter, weiß, schlank, ohne Arme und Beine mit einem langen Hals und einem glühenden Auge. Wie für Bühnenbild und die später aus dem Nichts erscheinenden Videos ist Peter Kogler für die mechanische Figur, die fast ein weiterer Doppelgänger Tarkowskijs ist, so synchron bewegt sich die Gliederpuppe mit ihm, verantwortlich. Gebaut hat Kuka KR 10 – Agilus die deutsche Kuka AG. Kuka – Agilus ist ein guter Schauspieler, ich sehe ihn, je länger er agiert, als lebendiges Wesen.
„Oper“ nennt Desi, der auch komponiert und ein Festival für zeitgenössisches Musiktheater, die Musiktheatertage Wien, leitet, sein jüngstes Werk, und tatsächlich sind auch Sänger (Gotho Griesmeier, Sopran; Martin Achrainer, Bassbariton, beide Ensemblemitglieder des Landestheaters Linz) am Werk, aber nicht auf der Bühne. Die Aufnahmen sind später dazu gefügt, wie sämtliche Elemente dieses Musik-Theater-Film-Robotik-Stückes. Wohlig eingefühlt ins Dunkel der Szene, gebe ich mich dem Traum hin, meinem und den von Tarkowskij, der schon längst aus der Welt gefallen ist, sich nur im Chat mit künstlichen Stimmen verbinden kann und von seinem 8. Film träumt, von dem lediglich das Skript fertig geworden ist. Der schwerkranke Regisseur ist am 29. Dezember 1986 mit 54 Jahren in Paris gestorben. Sein 8. Film, „Hoffmanniana“, sollte von den letzten Tagen des Dichters (und Komponisten) E. T. A. Hoffmann erzählen. Es ist bei seinem 7. Film, „Opfer / Sacrificatio“, entstanden 1985 in Schweden, geblieben. Die Uraufführung fand bei den Filmfestspielen in Cannes 1986 statt, knapp zwei Wochen nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, die Tarkowskij, der schon an seiner Krebserkrankung gelitten hat, schwer erschüttert hat.
Bei Hoffmann fällt einem natürlich sofort Offenbachs fantastische Oper „Hoffmanns Erzählungen“ ein, in der es auch von Doppelgängern und Spiegelfiguren nur so wimmelt. Das Libretto lehnt sich an ein Theaterstück, zusammengesetzt aus Erzählungen des Dichters, von Jules Barbier und Michel Carré an. „Der Spiegel / Serkalo“ heißt auch ein Film von Tarkowskij, entstanden 1975/75. Das Thema, wenn man denn unbedingt eines finden will, ist ähnlich dem, was Desi in seinem filmischen Operntheater erreichen will: Innen- und Weltschau.
Die enge Verbindung Desis mit Tarkowskij wird in vielen Referenzen sichtbar, im Nachdenken über die Zeit, über die Natur und über Vergangenheit und Gegenwart. Auf fast 400 Seiten hat Tarkowskij unter dem Titel „Versiegelte Zeit“ seine „Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films“ aufgeschrieben. Desi hat das Buch sicher gelesen, ebenso wie „Hoffmanniana, Szenario für einen nicht realisierten Film“, erschienen bei Schirmer / Mosel, aber nur noch in Antiquariaten zu finden. Bei Schirmer / Mosel ist ein der Band "Tarkovskijs – Leben und Werk" mit Filmstills, Schriften, Polaroids erschienen.
Auch Thomas Desi hat eine „Hoffmanniana“ erdacht, ein „Musiktheater für Andrei Tarkovski“, 2004. Schon lang befasst er sich mit der Verwirklichung des technisch aufwändigen Projekts „Tarkovsky – der 8. Film“. Auf der europäischen Plattform „Fedora“, für innovative Oper- und Ballettproduktionen, „Fedora“, ist das Projekt 2018 für den jährlich verliehenen Opern-Preis nominiert worden.
Ein so komplexes Stück, aus so vielen Ebenen zusammengesetzt, ist kaum zu beschreiben, man muss sich einfach darauf einlassen, mit der Sängerin, die mit sich selbst im Quartett singt, in Gedanken mitsummen, mit Cowboy Tarkowskij mit der Welt zu hadern und doch nicht aufgeben. Desi spricht, mit Blick auf den Entstehungsprozess und die Zusammenarbeit des Teams, von einer Ping-Pong-Methode. Der Regisseur hat eine Idee, schlägt sie vor, die Partner*innen greifen sie auf, entwickeln sie weiter, „die Musik von NIHE in Tallinn, die Projektions- und Robotik-Ebene von Peter Kogler in Wien, manches in der Solofigur mit Gilbert Handler, und natürlich auch die ,Opern-Arien‘ für Gotho Griesmeier und Martin Achrainer in Linz“. Es entsteht „ein übersummarisches Ganzes“ (Desi).
Dieses „übersummarische Ganze“ erlebt seinen faszinierenden Showdown akustisch, die Flöte singt, der elektronische Klangraum wird zur düsteren Wolke, alle Register werden gezogen, Tod und Teufel treten vor meinem inneren Auge auf. Tarkowskij flüchtet aus der Realität, setzt sich die Brille auf und verschwindet in der virtuellen Welt.
Halt, die Übereifrigen müssen die Applaus bereiten Hände wieder senken, es kommt das übliche Schwanzerl. Verzicht auf einmal gedachte Gedanken, auf einmal geträumte Ideen, ist nicht der Künstler*innen Sache. Es muss noch über die Natur monologisiert werden. Bei aller Fantasie und Träumerei, p.c. muss sein. Egal, ich würde mir diesen Abend, in dem so viele Genres der darstellenden und bildenden Künste ineinander fließen, gleich noch einmal ansehen.
Aperçu: Es ein Kreuz mit der Transkription cyrillischer Buchstaben (es sind 33). Desi schreibt Tarkovsky, das WuK schreibt manchmal auch Tarkovski, wie de.wikipedia.org, beides ist nicht falsch, ebenso wie Tarkowskij, was mir die korrekteste Transkripion erscheint, denn am Ende des Namens steht ий, das klingt wie ij. Daran halte ich mich, Desis Titel bleibt unangetastet.
Thomas Cornelius Desi: "Tarkovsky – Der 8. Film"
Stücktext, Vokalkomposition, Inszenierung: Thomas Cornelius Desi 2020.
Mitwirkende: Tarkovski: Gilbert Handler; Mischa: Gotho Griesmeier; Boris: Martin Achrainer; Roboter: KUKA; Musik, Klangraum: NIHE - Ekke Västrik (analog electronics), Tarmo Johannes (Flutes, sound programming), Taavi Kerikmae (digital Electronics); Augmented Reality Design, Bühne, Robotic: Peter Kogler; Licht: Vedran Mandic; Kostüm: Katharina Kappert; Maske: Nina Beck und andere.
Roboter Beratung: Johannes Braumann / Creative Robotics / UfG Linz; Produktionsleitung. Anaelle Dézsy.
Premiere: 1.10. 2020, WuK. Zwei Weiter Vorstellungen: 2., 3.10. 2020, WuK.
Fotos: © Barbara Pálffy, Richard Beyer