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„Sylvia“ – Navrin Turnbull: Debüt als Aminta

Kiyoka Hashimoto als bezaubernde Sylvia.

Oft genug hat der junge Tänzer aus Australien, Navrin Turnbull, Manuel Legris Choreografie „Sylvia“ schon gesehen, um eine Rolle als Solist zu wagen. Nach nur einer Saison wurde Turnbull zum Halbsolisten ernannt und in der 14. Aufführung des dreiaktigen Balletts als Aminta an die Rampe gestellt. Turnbull, in Stuttgart ausgebildet, hat alle Anlagen zu einem wunderbaren klassischen Tänzer, groß und schlank mit eleganten Bewegungen hat er sich auch in seinem Debüt als Partner von Kiyoka Hashimoto (Sylvia) tapfer geschlagen. Im ersten Akt noch etwas zaghaft, blass und unsicher, hat er sich, vielleicht durch Amors (der in dieser Choreografie Eros genannt wird) Kraft, freigetanzt und gemeinsam mit Hashimoto das aufmerksame Publikum begeistert.

Halbsolist Navrin Turnbull: Rollendebüt als Aminta.Trotz aller Gerüchte, die durch das Haus schwirrten, haben auch die Jägerinnen ihre Konzentration wieder gefunden und ihr Bestes geben. Was immer auch passiert: Tänzer*innen wollen tanzen, ob im Wiener Staatsballett oder anderswo.
Nicht beirren lassen hat sich Fiona McGee, die zum ersten Mal „eine Bäuerin“ getanzt hat und gemeinsam mit Marian Furnica und Nicola Barbarossa ein perfekt agierendes Trio gebildet hat. Géraud Wielick ist ein Eros nach meinem Geschmack. Er tanzt diese eher komisch angelegte Figur (der erste Auftritt ist in der Linken Hälfte des Zuschauerraumes nicht zu sehen, so sehr im Eck geschieht er) voll Würde mit großartiger Technik und der nötigen Anmut. Das peinliche Höschen irritiert ihn ebenso wenig wie die lächerlichen Flügel, die ihm Luisa Spinatelli (Bühnenbild und Kostüme) umgehängt hat. Wielick ist für mich der perfekte Eros, der auch als Hexenweiblein nicht aus dem Takt kommt und temperamentvoll mit dem Stock schlägt. Natürlich nur den Boden, wie vorgesehen.

Entzücken können auch Elena Bottaro (immer wieder) und Adele Fiocchi (zum ersten Mal). Die beiden Italienerinnen (Bottaro: Solotänzerin; Fiocchi: Halbsolistin) sind an der Mailänder Scala ausgebildet und klassische Tänzerinnen par excellence. Und der böse Frauenräuber Orion darf nicht vergessen werden. Dumitru Taran zeigt, was er kann, wenn er gefordert ist. Er tanzt einen kärftigen, wilden Orion, den nur der Alkohol bezwingen kann. Madison Young: Diana, die Göttin der Jagd.Die Heltdinnen in dieser Choreografie sind jedoch die Damen, zierlich und attraktiv, doch der Schein trügt. Es sind Kämpferinnen, die erreichen, was sie wollen. Weder Diana (Madison Young), noch die erse Nymphe (Rikako Shibamoto) noch die Bäuerin (Fiona McGee) und auch nicht Sylvia (Kiyoka Hashimoto) müssen ihre Muskeln nspielen lassen, um den Sieg zu erringen.

Die oben genannten Gerüchte sind längst zur Tatsache gereift. Mehr als 20 Tänzerinnen (vermutlich sind auch Tänzer darunter, von den Proben- und Trainingsleiterinnen weiß ich noch nichts) haben den blauen Brief erhalten: Ihr Vertrag läuft aus, der designierte Ballettdirektor, Martin Schläpfer, hat den Brief geschrieben, die kaufmännische Direktorin, Simone Wohinz, hat mitunterschrieben. Géraud Wielick: Eros, wie er sein soll.Dass ein neuer Direktor diese bestens zusammengewachsene Compagnie, die Manuel Legris auf internationales Niveau gebracht hat, neu zusammenwürfelt, war zu erwarten. Dass er die Betroffenen, die er für seine Vorstellungen nicht mehr brauchen kann, in den persönlichen Gesprächen nicht vorgewarnt hat, ist traurig. Viele waren nicht nur getroffen, sondern auch gekränkt, durch die für sie schon etwas überraschend eingetroffene schriftliche Mitteilung.
Es geht auch anders, wie Legris so erfolgreich gezeigt hat. Vom Publikum wird das sehr wohl bemerkt, wie die Auslastungszahlen zeigen.
An diesem von Legris aufgebauten Ensemble hängt ja auch eine Geschichte, die nicht nur jede einzelne Tänzerin, jeden einzelnen Tänzer betrifft, sondern die gesamte Ballettfamilie, zu der auch das begeisterte Publikum zu zählen ist. Eine so radikale Trennung tut auch diesem weh.
Stimmt die kolportierte Zahl 25, dann ist das ein schmerzhafter Einschnitt, nahezu ein Viertel der Compagnie wird gekappt.

Die Direktion teilt mit, „ein Austausch ist international üblich“. Das ist richtig. Doch ist das Übliche auch das Beste?
Legris hat sein Ensemble internationale konkurrenzfähig gemacht, ohne blaue Briefe zustellen zu lassen. Die Tänzerinnen des Wiener Staatsballetts sind bestens ausgebildet und trainiert und auf hohem technischen Niveau.Sylvia ist endlich mit Aminta vereint (Kiyoka Hashimoto, Navrin Turnbull). Sie haben jetzt genügend Zeit, sich in anderen Häusern vorzustellen und, wie Fachleute, die das Ballett von innen kennen, sagen: Sie müssen sich umstellen, es gibt keine Opernhäuser, die ein rein klassisches Ballettrepertoire pflegen. Im hochgerühmten Royal Ballet ist der unnachahmliche Wayne McGregor Resident Choreographer und seine Company, Random Dance, ist Resident am Sadler’s Wells Theatre in London. Das ist der Vorteil der rechtzeitigen Verständigung. Auch wenn es nobel und respektvoll gewesen wäre, der designierte Direktor hätte den Betroffenen die Mitteilung Aug in Aug persönlich gemacht.

Am 26., 28. und 30. September werden alle Tänzerinnen und Tänzer noch einmal zeigen, dass sie nicht nur Schwäne und Sylphiden tanzen können, sondern auch William Forsythe, Hans van Manen und Jiři Kylián.

„Sylvia“, Ballett in drei Akten. Choreografie: Manuel Legris nach Louis Mérante und anderen. Dramaturgie und Libretto: Manuel Legris und Jean-François Vazelle nach Jules Barbier und Baron Jacques de Reinach. Musik: Leo Delibes. Bühnenbild und Kostüme: Louisa Spinatelli. Licht: Jacques Giovanangeli. Dirigent: Kevin Rhodes.
Mit Navrin Turnbull (Debüt als Aminta), Kiyoka Hashimoto, Dumitru Taran, Géraud Wielick, Madison Young, Roman Lazik und vielen anderen. 20. September 2019, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Fotos von Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
In der zweiten Saisonhälfte steht das Ballett im April, Mai und Juni noch etliche Male im Kalender.