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Erika Gangl, Wegbereiterin des Freien Tanzes

Erika Gangl in ihrer Choreografie „Überall ist Babylon“. © Alfred Pescke

Erika Gangl 1939–2000, so meldet ein Stern auf der Linzer Ernst-Koref-Promenade. Der breite Weg zwischen Lentos Kunstmuseum und Brucknerhaus ist männlich, doch die 77 Sterne sind weiblich. Auf dem Walk of Fem werden Linzerinnen und ihr Beitrag für die Gesellschaft gewidmet. Eine davon, die über die Landeshauptstadt hinausgestrahlt hat, ist die Tänzerin, Choreografin und Pädagogin Erika Gangl. Eine ausführliche Würdigung wird ihr mit dem Band Erika Gangl und der Neue Tanz, eben erschienen im Hollitzer Verlag, zuteil.

Andrea Amort bei der Buchpräsentation im Volkstheater, Sommer 2024. © Anna Sommerfeld PhotographyNicht nur die Weltgeschichte, auch die Tanzgeschichte ist von Männern geprägt. Wie der Tanz selbst, diese ephemere Kunst, werden auch die den Tanz prägenden Frauen schnell zu den Ephemera, sie sind vom Verschwinden bedroht. Es muss jemanden geben, die sie festhält, diese wichtigen Tänzerinnen, Choreografinnen, Pädagoginnen. Sie sollen nicht im Schatten der Männer stehen. Andrea Amort hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Vertreterinnen der Tanzmoderne, die ab dem frühen 20. Jahrhundert den strengen Regeln des klassische Balletts Adieu sagten und ihre eigenen Wege gingen, dem Vergessen zu entreißen. Es ist nicht so wirklich überraschend, dass es vor allem Frauen waren, die Mut, Kreativität und Experimentierfreude aufgebracht haben, um Ballett und Tanz mit neuen Farben und Mustern anzureichern. Amort, durch ihre Arbeit selbst ein wichtiger Teil der österreichischen Tanzszene, hat mit unermüdlicher Recherchearbeit die heimische Tanzmoderne und deren Vertreterinnen durch Publikationen, Ausstellungen, Choreografien und ihre Lehrtätigkeit sichtbar gemacht und in die Tanzgeschichte eingeschrieben. Im Tanzstudio Gangl: „Schrei aus den Tiefen des Lebens“, Choreografie von Erika Gangl 1978 © Foto Sterz / Archiv der Stadt LinzAls Linzerin hat Amort zwar bei Erika Gangl eine Tanzausbildung absolviert, doch sich später, nach ihrem Studium in Wien, mehr der Theorie als der Praxis auf der Bühne gewidmet. Jetzt also Erika Gangl, die wohl ihr Interesse am Tanz geweckt hat.  Erika Gangl war zu Lebzeiten weit über Linz hinaus bekannt und anerkannt, jedoch nach ihrem Tod im Jahr 2000 drohte ihr Name allmählich hinter dem ihres kongenialen Ehepartners, des Komponisten Alfred Peschek, zu verschwinden. Andrea Amort war nicht die Einzige, die gegen dieses nahezu klassische Künstlerinnenschicksal etwas unternehmen wollte. Kein einEin Stern für Erika Gangl und den Tanz auf dem Walk of Fem in Linz. Angebracht wurde die Würdigung 2023 auf Initiative der Herausgeberinnen. © privatfaches Unterfangen. In Tanja Brandmayr, ebenfalls Schülerin in Gangls Tanzstudio und Gerlinde Roidinger, als Schülerin von Gangl-Schülerinnen quasi eine Enkelin, hat Amort fachkundige und emsige Mitherausgeberinnen gefunden. Die vielstimmige Publikation ist das erste umfassende Dokument über die Künstlerin, deren Namen schon in den 1970er JahrDas Projeken ein „Synonym für künstlerische Avantgarde“ war und nach eingehender Lektüre noch als solches gilt.
Drei Herausgeberinnen und eine lange Liste von Mitarbeiterinnen, Zeitzeuginnen, Helferinnen, Tipp- und Auskunftgeberinnen machen den Band Erika Gangl und der Neue Tanz, im Untertitle als Versuch einer kritischen Würdigung definiert, zu etwas Besonderem. So besonders wie die Leistung der Gewürdigten war auch die Präsentation des Bandes im Rahmen des diesjährigen ImPulsTanz Festivals am 30. Juli. Es wurde nicht nur geredet und erzählt, sondern auch getanzt und musiziert. Nach der Uraufführung von „Bruch Stück“ in der Roten Bar anlässlich der Buchpräsentation. Günther Gessert hat die Vertikalharmonika gespielt, die junge Tänzerin Rebekka Pichler hat unter Anleitung von Marina Koraiman Gangls Bewegungsprinzipien interpretiert. © Anna Sommerfeld PhotographyErika Gangls Tanzstudio war wieder belebt und das Publikum in der überquellenden Roten Bar im Volkstheater beeindruckt. Das Neue an Gangls Tanz und Choreografie, so ist in der Präsentations-Performance zu lernen, war ihre Hinneigung zur Neuen Musik und ihr Verständnis dafür. Klar, ihr Ehemann, Alfred Peschek (1929–2015), war ein renommierter Komponist und als Enfant terrible der Linzer Musikszene bekannt. Doch auch John Cage oder Olivier Messiaen waren Gangl vertraut.  
 Ausschnitt aus „Erdenklang“, einem Computerakustischen Tanztheater. Inszenierung und Choreografie Erika Gangl; Musik Hubert Bognermayr und Harald Zuschrader. Uraufführung 1982 bei der Ars Electronica in Linz. ©  Ernst Eder.Das Buch umfasst eine breite Themen-Palette, die über die Person Gangls hinausführt und mit einer Sammlung von Erinnerungen ehemaliger Studentinnen im Tanzstudio eröffnet wird. Danach wird Gangls Arbeit eingebettet in die Wiener und Linzer Tanzgeschichte und auch die Frage nach der Linzer Tanzszene heute wird ersucht zu beantworten. Die Achse Linz-Wien hat Erika Gangl durch ihr Studium bei Rosalia Chladek (1905–1995), der Wiener Galionsfigur des Freien Tanzes, selbst geschaffen. Beiträge sind auch dem Avantgarde-Duo Gangl-Peschek und dessen Auftreten in Linz sowie der pädagogischen Methode Gangls gewidmet. Nicht zu vergessen die Texte der drei Herausgeberinnen und jene, die sich mit dem Schaffen der Autorinnen, die allesamt selbst in künstlerischen Feldern arbeiten, befassen. So ist der Band, der einen Namen vor sich herträgt, eigentlich ein Walk of Fem des Tanzes in Theorie und Praxis.

Andrea Amort, Tanja Brandmayr, Gerlinde Roidinger (Hg.): Erika Gangl und der Neue Tanz. Versuch einer kritischen Würdigung, 230 Seiten, mit Biografien der Mitarbeiterinnen, einem umfangreichen Anhang und zahlreichen Abbildungen, Hollitzer Verlag, 2024. € 45,00 Cover des Bandes „Erika Gangl und der Neue Tanz“. © Hollitzer Verlag
Als Nachfolgeveranstaltungen der gelungenen Buchpräsentation am 30. Juli 2024 im Rahmen von ImPulsTanz im Volkstheater Wien werden weitere Performances als Tribut to Erika Gangl organisiert. Feststeht der Termin in Linz am 2. Dezember 2024 im Kepler-Salon der Universität Linz. in Kooperation mit RedSapata.
Fotos der performativen Buchpräsentation: Anna Sommerfeld; alle anderen Bilder sind Buchillustrationen.